: Geheimagentenam Gendarmenmarkt
Zwillingsbrüder kämpfen um die Macht (und vor allem um die Rolle der Hauptfigur): Alain Robbe-Grillets neuer Roman „Die Wiederholung“ spielt im Berlin des Jahres 1948
Als vor einem Jahr in Frankreich der neue Roman von Alain Robbe-Grillet erschien, sprach man von einer literarischen Sensation. Der mittlerweile achtzigjährige Miterfinder des Nouveau Roman hatte nämlich 1981 seinen letzten Roman veröffentlicht und zwischendurch, nachdem Stürme sein Schloss in der Normandie verwüstet hatten, auch gesagt, dass er nichts mehr schreiben wolle.
„Die Wiederholung“, die nun auch auf Deutsch – „im Rahmen des Förderprogrammes des französischen Außenministeriums vertreten durch die französische Botschaft in Berlin“ – erschienen ist, wurde jedenfalls ausgiebig abgefeiert. Die Libération sprach vom „modernsten Autor der Saison“. Le Monde widmete dem Kulturereignis um das „Nationaldenkmal der französischen Literatur“ drei Seiten, und Robbe-Grillet, der ehemalige Schlossbesitzer und zeitweise durchaus erfolgreiche Filmemacher (1961 bekam er einen Goldenen Löwen für „Letztes Jahr in Marienbad“) mit Hang zu sadistischen Sexszenen, tourte durch die Gegend. Dabei streifte er im letzten Winter, begleitet vom französischen Botschafter, auch Berlin, wo er unter anderem über seinen Lieblingsfeind Houellebecq herzog.
„ ‚Die Wiederholung‘ ist ein typischer Nouveau Roman geworden“, so der rüstige Schriftsteller. „Die Hauptfigur löst sich in mehrere Gestalten auf. … Außerdem gibt es keine klare Linie in der Geschichte, denn es gibt zwei Erzähler, die sich die Hauptrolle streitig machen. Zwillingsbrüder kämpfen um die Macht des Ich-Erzählers.“ Soso. Interessant. Anfangs denkt man auch an Kierkegaard, der erstens ja mal ein Buch gleichen Titels veröffentlicht hatte und zweitens auch gerne mit verschiedenen Erzählern arbeitete, die sich gegenseitig immer wieder korrigieren, und drittens von Robbe-Grillet ab und zu auch zitiert wird.
„Die Wiederholung“ spielt in Berlin, 1948. Der Held, ein Geheimagent, bei dem man ein bisschen an Godards Eddi Constantine denkt, fährt in die zerstörte Stadt. Er soll Sachen protokollieren. Ansonsten ist sein Auftrag unklar. Am Gendarmenmarkt beobachtet er einen Mord. Am nächsten Morgen ist der Tote weg und der Held heißt plötzlich anders. Im Verlauf des Romans erlebt er unter vier verschiedenen Namen allerlei Abenteuer, begegnet Doppelgängern, mordet diesen oder jenen, logiert in seltsamen Zimmern seltsamer Gasthäuser, besucht verruchte Nachtbars, deliriert sadistische Folterszenen mit halbwüchsigen Mädchen und wird ab und an von der Polizei verhört. Die Berichte, die „der angebliche Henri Robin“ schreibt, werden von einem anderen Erzähler kommentiert usw., und am Ende ist man auch nicht schlauer, ohne das eigene Nichtschlauersein nun für einen großartigen Erkenntnisgewinn zu halten. Es passiert etwas, die einzelnen Szenen, die mehr aus kunstvollen Beschreibungen mit vielen Spiegeln, Doppelgängern, Trompe-l’oeil-Effekten denn aus Handlung bestehen, bauen irgendwie auch aufeinander auf; alles ist sicher kunstvoll miteiander verschaltet, man fühlt sich zuweilen wie in einem zu stylish geratenen Nouvelle-Vague-Film. Langweilig oder schwer zu lesen ist es auch nicht, aber irgendwie denkt man am Ende dann doch: Was soll’s und so what.
Dass jemand nie der Gleiche bleibt, dass der Erzähler einschläft, um am nächsten Tag als anderer aufzuwachen, dass die Perspektiven oft wechseln, die Autorität der Hauptperson infrage steht, ist als ästhetisches Verfahren längst Gemeingut geworden; im Videoclip, in der Werbung, im Film und in der Literatur. Aber es wäre natürlich auch etwas seltsam, von einem 80-Jährigen nun etwas völlig Neues zu erwarten. DETLEF KUHLBRODT
Alain Robbe-Grillet: „Die Wiederholung“. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002, 250 S., 24,90 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen