piwik no script img

Big-Brother-Award für Schill

Verfassungsschutzgesetz: Kritik am Lauschangriff nimmt weiter zu. Jetzt auch Kirche, Ärztekammer und Polizeigewerkschaft gegen Entwurf der Innenbehörde

Dieses Gesetz führe „seelsorgerische Gespräche, die absolut vertraulich geführt werden müssen, ad absurdum“, fürchtet Propst Jürgen Bollmann. Der Vertreter der evangelischen Bischöfin Maria Jepsen kritisiert den Entwurf des neuen Hamburger Verfassungsschutzgesetzes als Angriff auf den „Kernbereich der verfassungsrechtlich geschützten Religionsausübung“. Und der designierte Präsident der Hamburger Ärztekammer, Michael Reusch, fordert, „das Berufsgeheimnis unangetastet zu lassen“.

Die Gesetzesnovelle aus Ronald Schills Innenbehörde sieht weit reichende Verschärfungen vor. Danach soll es dem Verfassungsschutz der Hansestadt erlaubt werden, auch ohne konkreten Tatverdacht Menschen zu überwachen sowie ihre Dienst- und Privaträume mit Wanzen und Kameras zu kontrollieren. Dies soll auch für Berufsgruppen gelten, die ein Recht oder eine Pflicht zu schweigen haben: MedizinerInnen, PastorInnen, RechtsanwältInnen und JournalistInnen sollen belauscht werden, wenn es Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie Kontakt zu möglicherweise verdächtigen Personen haben könnten.

Diese Vorschriften gehen weit über das neue Gesetz für den Bundesverfassungsschutz hi- naus, das jüngst im Zeichen der Terrorismusbekämpfung von Rot-Grün beschlossen wurde und schon erhebliche Verschärfungen enthält. An der geplanten Hamburger Umsetzung haben bereits der Datenschutzbeauftragte sowie SPD und GAL in der Hansestadt heftige Kritik geübt; jetzt lassen auch immer mehr Verbände kein gutes Haar an der Novelle, die nächsten Dienstag erstmals öffentlich vor dem Rechtsausschuss der Bürgerschaft beraten werden soll.

Widerstand gegen die „Lizenz zum Lauschen“ kündigte gestern die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an. „Wir wollen keinen Überwachungsstaat“, erklärte die Vizechefin von ver.di Hamburg, Ulrike Fürniß. Schills Gesetzentwurf gefährde die Pressefreiheit. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) empfahl gestern, den Entwurf „schleunigst in der Versenkung verschwinden“ zu lassen. Es wäre vernünftiger, die Regelungen des Bundesgesetzes zu übernehmen, wie es auch Hamburgs SPD und der Vizechef der Hanse-FDP, Joachim Sproß, fordern.

Innenstaatsrat Walter Wellinghausen, der zurzeit zu „Gesprächen über Terrorismusbekämpfung“ in den USA weilt, verteidigte gestern die Novelle. Zwar stehe die Innenbehörde „Verbesserungsvorschlägen offen gegenüber“. Allerdings reagiere man in den USA, so Wellinghausen, „mit Kopfschütteln auf den Parteienstreit gerade in dieser Stadt über die Bekämpfung des internationalen Terrorismus“.

Hamburgs Jungliberale beeindruckt das wenig. Sie nominierten gestern Ronald Schill für den „Big-Brother-Award“.

sven-michael veit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen