: Wahltheater in der russischen Provinz
Der neu gewählte Gouverneur von Krasnojarsk passt Teilen der Wirtschaftselite nicht. Putin will ihn durchdrücken
MOSKAU taz ■ Nach den Regeln der Arithmetik war alles klar: Bei den Gouverneurswahlen in Krasnojarsk vor zehn Tagen hat Alexander Chloponin 48 Prozent der Stimmen gewonnen und damit rund 6 Prozentpunkte mehr als der Chef der Krasnojarsker Duma, Alexander Uss. Der 38-jährige Chloponin wurde bereits als „Politiker der Zukunft“ gefeiert: Als ehemaliger Manager gehört er einer neuen, technokratischen Politikerklasse an.
Doch Chloponins Sieg ist in den Augen des Krasnojarsker Establishments schlecht fürs Geschäft. Bei dem Urnengang in der wirtschaftlich wichtigen Region kämpften nur im Vordergrund Chloponin und Uss gegeneinander. In Wirklichkeit ist es die Schlacht zweier Wirtschaftsgiganten: Hinter Uss steht der Aluminiumriese RusAl, der unter dem Schutz des Jelzin-Clans steht und in Krasnojarsk bisher politisch den Ton angab. Der Herausforderer wird von seinem ehemaligen Arbeitgeber Norilsk Nickel unterstützt, dem zweiten großen Unternehmen der Region, das zur Industrie- und Finanzgruppe Interros gehört.
Ein Wahlsieg Chloponins würde die bisherigen Machtstrukturen in Krasnojarsk auf den Kopf stellen und den Begünstigungen der alten Garde ein Ende setzen. Zum Beispiel der faktischen Steuerfreiheit von RusAl: Obwohl die beiden Krasnojarsker Wirtschaftsgiganten etwa gleich groß sind, bestreitet Norilsk Nickel 60 Prozent der Steuereinnahmen der Region, während der RusAl-Betrieb mit rund 9 Prozent nur Kopeken abliefert. Alarmiert vom Resultat setzte der mächtige Aluminiumriese die Wahlkommission unter Druck und der Urnengang wurde für ungültig erklärt. Es sei am Wahltag widerrechtlich Werbematerial verteilt worden, hieß es, es habe Einschüchterungen und Betrug gegeben. In Moskau hegte kaum jemand Zweifel, dass der Entscheid der Wahlkommission politisch motiviert ist. Der liberale Politiker Boris Nemzow warf Uss vor, sich mit „byzantinischen Methoden“ den Sieg sichern zu wollen. Dieser gab sich Mühe, den Ruf des Wahlmanipulators loszuwerden: Für den neuen Wahlgang, der für März angesetzt wurde, werde er nicht mehr kandidieren, erklärte er. Dazu wird er auch keine Gelegenheit haben. Ein Gericht hat die Annullierung aus technischen Gründen gekippt.
Zwar leistet die Wahlkommission in Krasnojarsk Widerstand, doch der Kreml hat klar gemacht, dass man zur Not selber durchgreife: Gestern sprach Russlands Präsident Wladimir Putin ein Machtwort. Per Dekret wurde Chloponin zum amtierenden Gouverneur erklärt. Doch die Rolle des redlichen Maklers, der in der Provinz für Recht und Ordnung sorgt, passt nicht ins Bild. Zwar hat sich Moskau bei der Wahl von Krasnojarsk zurückgehalten. Doch beim zweiten aktuellen Wahlskandal sieht das anders aus. Bei den Bürgermeisterwahlen in Nischni Nowgorod hat der Kreml voll auf seinen Favoriten gesetzt und mit einem Machtwort alle Zweifel an dessen Sieg ausgeräumt. Die Wähler wissen genau, wie dieses Spiel läuft: Aus Frust haben in Nischni Nowgorod fast 30 Prozent „gegen beide Kandidaten“ votiert. Der Sieger errang 35 Prozent. ZITA AFFENTRANGER
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