: Bremen durch die Lupe
Jan Frey und seine Texte über den Alltag sind im Internet angekommen. Die Website www.kleinmexiko.de ist die Fortsetzung des 1997 begonnenen Projektes „Klein Mexiko“
„Natürlich bin ich verrückt, aber das weiß ich schon, das müssen Sie mir nicht noch erklären“, kontert Jan Frey, als er während einer Reportage über Drogensüchtige in der Vorstadt am Sielwall-Eck angeraunst wird. Seit halb acht Uhr morgens ist er auf den Beinen, 12 Stunden „Drogenszene“ will er dokumentieren. Ermutigt durch Freys Reaktion, beginnt sein Gegenüber plötzlich, seine Lebenskrisen aufzuzählen. Und schon ist sie da, die Alltagsgeschichte, die Geschichte jenseits dessen, was Journalisten als „öffentliches Interesse“ bezeichnen.
Seit 1997 trägt Jan Frey solche Geschichten zusammen, geduldig, akribisch und – vor allem – in maximal möglicher Ausführlichkeit. Frey lässt nichts weg und spitzt nichts zu, er will der Wirklichkeit so nahe als möglich kommen – egal wie spektakulär oder banal sie ist. Er versucht das Unmögliche, nämlich Geschehnisse und Gespräche eins zu eins in Text zu übersetzen.
Veröffentlicht hat er die Texte bislang in seiner Zeitschrift „Klein-Mexiko“. Nun hat er „Klein-Mexiko“ ins Internet gestellt: www.kleinmexiko.de ist auf 122 Einzelseiten Bremen durch die Lupe besehen. Wie schon in der gedruckten Version ist die Web-Site strikt in Schwarz-Weiß gehalten. Klar, dass bei Freys Projekt manches auf der Strecke bleiben muss: Lay Out beispielsweise kümmert Frey nicht, und wenn Fotos unscharf sind – egal.
„Das Internet ist für mich ein Ort, der mich bescheiden und kleinmütig macht“, bekennt er in seiner Internet-Kolumne „All-Tägliches“. In dieser Wissensflut, könne man sich nur auf kleine Dinge beschränken, sagt er. Bescheidenheit und Objektivität zeichnen den ungewöhnlichen Schreiber aus. „Froh wäre ich, wenn meine Geschichten in den Köpfen der Menschen eine Sensibilität für difizile Themen wecken würden. Mir geht es darum, fest zu halten – fest zu halten, was irgendwann verschwunden sein wird.“
Die Entscheidung, „Klein-Mexiko“ im Internet zu veröffentlichen, rührt nicht zuletzt daher, Druckkosten zu sparen. „Größenwahnsinnig“ bezeichnet er seine erste Auflage des gedruckten Heftes, die immerhin 1.000 Exemplare stark war. Bei Heft Nummer Drei ist die Auflage auf 330 gesunken. Mehr als 300 Exemplare sind eben nicht zu verkaufen, wenn es erstens um ein außergewöhnliches, etwas schräges und außerdem anstrengendes Projekt geht. Und wenn zweitens ein Einzelkämpfer antritt, der von der Produktion bis zum Vertrieb alles alleine macht und auch die Finanzierung gänzlich alleine trägt.
Der Name des Projekts spielt übrigens auf ein Stück Bremer Geschichte an: Klein Mexiko, das ist ein Spottname, entstanden aufgrund der sozialen Verhältnisse, die in den 1920-er Jahren in der kleinen Siedlung am Bremer Hulsberg herrschten. Auf engstem Raum lebten dort Arbeitslose, Alte und kinderreiche Einwanderer. Jetzt lebt Jan Frey unter einem der kleinen Dächer und hält mit seinem Projekt die Erinnerung an diesen Stadtteil wach.
Nur schade, dass er jetzt nicht mehr so oft in der Vorstadt mit seinen Heften in der Hand zu sehen ist. Verschwindet der Dokumentator des Alltags via Internet nun selbst aus dem Alltag? „Nein, das Kind ist jetzt groß genug, dass ich wieder an eine gedruckte Form denken kann.“ Hoffentlich, denn der Charme der Schreibmaschinen-DinA4-Blätter ist im Internet verloren gegangen. Hannes Krug
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