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„Falsche Beweise“ überall

Die Flugzeugattentate wurden von ranghohen US-Militärs organisiert, behauptet der französische Politologe Thierry Meyssan. Sein Buch, konsequent selektiv geschrieben, verkauft sich gut

aus Paris DOROTHEA HAHN

Und wenn am 11. September alles ganz anders war? Wenn statt einer Boeing eine Rakete ins Pentagon gerast ist? Wenn das World Trade Center nicht von zwei Passagiermaschinen, sondern von Sprengstoff, der in den Türmen deponiert war, zum Einsturz gebracht wurde? Wenn an Bord der Flugzeuge kein einziger islamistischer Terrorist gesessen hat? Und wenn die Spur zu den Verantwortlichen der blutigsten Attentate in der amerikanischen Geschichte nicht nach Afghanistan, sondern in die Spitze des US-Militärapparats führt?

Der Franzose Thierry Meyssan behauptet genau das. Im Internet, in Büchern und auf Konferenzen erklärt der 45-jährige Politologe, die „offizielle Version“ sei falsch, das FBI produziere „falsche Beweise“. Und US-Präsident George W. Bush lüge.

Als Alternative präsentiert Meyssan seine Sicht der Ereignisse. Danach hat eine Gruppe von Führungskräften der US-Armee die Attentate organisiert, um Präsident Bush unter Druck zu setzen und die Öffentlichkeit auf eine Militarisierung der Politik einzustimmen. Mit Erfolg, wie Meyssan feststellt: „Das US-Regime ist nach rechts gerutscht.“ Nutznießer seien der militärisch-industrielle Komplex, die Erdöllobby und die Pharmaindustrie. Sie hätten mehr erreicht, „als sie sich erträumen konnten“.

In Frankreich galt Meyssan als seriöser Linker. Er ist Führungsmitglied der radikalen Linkspartei, die unter Lionel Jospin den Forschungsminister stellte. Und er leitet das Réseau Voltaire, ein antiklerikales Netzwerk, in dem Linke Politik und Gesellschaft diskutieren. Meyssans Arbeiten über den katholischen Opus Dei wurden von Journalisten viel zitiert, seine Recherchen über den Ordnertrupp der rechtsextremistischen Front National bildeten 1999 gar die Grundlage für eine parlamentarische Untersuchungskommission.

Im Zentrum von Meyssans These steht das Pentagon. Die „offizielle Version“ über den American-Airlines-Flug 77, der mit 64 Menschen an Bord in das Pentagongebäude raste, kommentiert er ironisch: „Das Flugzeug hat sich beim Aufprall pulverisiert, ist im Feuer geschmolzen und hat sich in der Hitze in Gas verwandelt. Dennoch konnte es vom FBI einige Monate später praktisch vollständig rekonstruiert werden.“ Für Meyssan ist es ein „materielles Unding“, dass eine Boeing 757 das Verwaltungsgebäude getroffen haben soll. Seine Begründung ist eine Mischung aus gesundem Menschenverstand – das Loch in der Fassade ist zu klein für ein Flugzeug –, offiziellen Dokumenten und Expertenmeinungen. Demnach kann eine Boeing nicht knapp über dem Erdboden – zwischen Parterre und erstem Stock – waagerecht in ein Gebäude rasen. Und von der Maschine müssten Reste der Flügel auf dem Rasen davor zu finden sein.

Das klingt spannend, macht einen wissenschaftlichen Eindruck. Denn Meyssans Bücher sind mit Fußnoten gespickt. Doch die Sache hat einen Haken: Es fehlen Beweise. Meyssan hat an seinem Pariser Computer Agenturnachrichten und Zeitungsartikel gelesen, Fotos verglichen und das Internet durchstöbert. Und eine konsequent selektive Methode angewandt: Er zitiert, was seine These stützt. Alles andere blendet er aus oder nennt es ein Ergebnis von „Manipulation“ und „Propaganda“.

Anwohner des Pentagons, die in ersten Berichten von einem Lärm „wie von einer Rakete“ und von einer „Bewegung wie von einer Cruise-Missile“ sprachen, lässt Meyssan ausführlich zu Wort kommen. Dass dieselben Leute später nicht mehr von einer „Rakete“ redeten und viele andere es nie taten, ist für ihn ein Zeichen der Gehirnwäsche in den USA. Autofahrer, die das Attentat auf das Pentagon beobachteten, geht es bei Meyssan ähnlich. Sie wollen ein Zivilflugzeug der American Airlines gesehen haben, das ins Pentagon rast? Sie irren, sagt Meyssan, denn sie wurden durch Berichte über die vorausgegangenen Attacken auf das World Trade Center „psychisch beeinflusst“. Kurzen Prozess macht Meyssan auch mit Fragen, die nicht in sein Konzept passen. Was aus Flug Nummer 77 der American Airlines wurde? „Die Maschine ist möglicherweise in einen Nationalpark zwischen Virginia und Ohio gestürzt“, spekuliert er, „da gibt es nur Bären als Zeugen. Die Spuren wurden verwischt.“ Wo die Menschen an Bord geblieben sind? „Ich glaube nicht, dass ihre Leichen je gefunden werden.“ Wieso niemand von den vielen Mitwissern des Komplotts – in der Armee, in den Geheimdiensten, in der zivilen Luftfahrt, in der US-Regierung – auspackt? „Weil sie alle selbst auf unterschiedliche Weise beteiligt sind.“

Die Wucht der Ereignisse des 11. September hat weltweit viele inspiriert, auf eigene Faust nach Erklärungen auf offene Fragen zu suchen: Haben Teile der US-Sicherheitsdienste nicht eng mit Ussama Bin Laden zusammengearbeitet? Sind in den Tagen vor dem Attentat nicht umfangreiche Insidergeschäfte an der Börse getätigt worden? Brauchten die Attentäter nicht Komplizen im Innern der USA? Abstruses machte die Runde. In Syrien heißt es, der israelische Geheimdienst Mossad stecke hinter den Anschlägen. In arabischen Ländern hält sich die Behauptung, die jüdischen Angestellten im WTC seien gewarnt worden. In den für Verschwörungstheorien empfänglichen USA stellen Obskurantisten Rechnungen rund um die Ziffer 5 an, die dem fünfeckigen Pentagongebäude seinen Namen gab – und kommen auf reines Teufelszeug. Andere fühlen sich an die Gruselgeschichte von der „Parallelregierung“ erinnert, die aus dem Off operiert. In der globalen Gerüchteküche ist Meyssan der Einzige, der das US-Militär direkt für die Attentate verantwortlich macht. „Meine Bücher sind keine Verschwörungstheorie“, sagt er, „ich betreibe investigativen Journalismus.“

Auf dem Buchmarkt und im Web (www. effroyable-imposture.net) macht Meyssan Furore. In Frankreich hat er 210.000 Exemplare seines ersten Buchs, „L’effroyable imposture“ (Der entsetzliche Betrug), verkauft. Im Sommer schob er mit „Pentagate“ noch eins hinterher, um seine Kritiker zu entkräften. Inzwischen ist Meyssan in 18 Sprachen übersetzt. Für seinen Pariser Verleger Patrick Pasin, der auch Verschwörungstheorien über Lady Dis Unfall und über die angeblich in einem Fernsehstudio inszenierte Mondlandung vermarktet hat, ist Meyssan der erste Kassenschlager. In diesem Monat erscheint Meyssans erstes Buch – im Eigenverlag – auch auf Englisch („The Big Lie“) und Deutsch („Der inszenierte Terrorismus“).

Kritiker haben Meyssan auf beiden Seiten des Atlantiks verrissen. In den USA wirft man ihm Antiamerikanismus vor, seine Thesen seien eine „Ohrfeige für die Angehörigen der Opfer“, in Frankreich unterstellt man ihm „intellektuellen und politischen Selbstmord“, „Pariser Paranoia“ und „Geschichtsrevisionismus“. Mit den vielen Feinden kann Autor Meyssan leben. Und über den Antiamerikanismus-Vorwurf lacht er: „Ich gehöre einer linken Partei an, die für freies Unternehmertum ist.“ Aber seine Ehre ist ihm wichtig. Wegen übler Nachrede hat er zwölf französische Medien – u. a. Le Monde und Paris Match – verklagt.

Gegen andere Widrigkeiten wehrt sich Meyssan weniger hartnäckig. Die Drohmails aus den USA etwa, von denen er an manchen Tagen „vier bis zehn“ erhalten haben will, hat er gelöscht, an ihren Inhalt kann er sich nur vage erinnern. „Pass auf“, soll öfter darin gestanden haben, „irgendjemand wird die Ehre der USA rächen.“ Vorsichtshalber reist er nicht in die USA: „Das Risiko ist zu groß.“

Glaubt Meyssan selbst an seine Thesen? „Ich habe keine absolute Wahrheit“, antwortet er vorsichtiger als üblich, „aber ich habe die Gewissheit, dass die USA viele Dinge geheim halten.“ Schließlich ist da noch Meyssans stärkstes Argument, es soll belegen, dass US-Militärs zu „so etwas“ fähig sind: die Operation „Northwoods“. Ein geheimer Plan, den hohe US-Militärs im März 1962 ausgeheckt haben sollen – Meyssan reproduziert ihn in seinem Buch als Faksimile.

Unter dem eindeutigen Titel „Rechtfertigung für eine US-Militärintervention in Kuba“ schlagen US-Generäle darin Anschläge auf US-Bürger und Exilkubaner vor, das Versenken eines Schiffs und den Abschuss eines Passagierflugzeugs. Die Attentate sollten Kuba angelastet werden und als Rechtfertigung für den Sturz Castros dienen.

Wie ernst der Plan war, den ein US-Journalist im letzten Jahr erstmals veröffentlichte, ist nur noch schwer zu rekonstruieren. General L. L. Lemnitzer, Chef des Generalstabs, der das Geheimdokument am 13. März 1962 unterschrieben hat, ist verstorben. Präsident John F. Kennedy, der den Plan 1962 ablehnte, wurde ein Jahr später ermordet. Und der damalige Verteidigungsminister Robert McNamara will den Plan nie gesehen haben.

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