DIE REGIERUNG BERLUSCONIS GERÄT UNTER DEN DRUCK DER MAFIA: Die Bosse werden ungeduldig
Eines kann man Mafiabossen gewiss nicht vorwerfen: dass sie geschwätzig seien. In Kreisen, in denen schon eine hochgezogene Augenbraue oder ein heruntergezogener Mundwinkel bisweilen tödliche Botschaften enthält, ist jedes Wort eine Tat. Schon vor ein paar Wochen haben die Bosse „drastischere Formen des Protestes“ gegen ihre Haftbedingungen angekündigt; der jetzt bekannt gewordene Geheimdienstrapport macht deutlich, dass die Herren nicht von Sit-ins, sondern von Mord sprachen.
Dabei hatte alles so schön angefangen zwischen der Regierung Berlusconi und der Mafia. Nicht nur hatte Pietro Lunardi, Minister für Infrastrukturen, gleich verkündet, dass man mit der „ehrenwerten Gesellschaft“ leben müsse. Auch Berlusconis Furor, die Staatsanwälte endlich in die Schranken zu weisen, schuf eine zumindest objektive Interessenkonvergenz. Zudem sitzen in der Parlamentsfraktion von Forza Italia reihenweise Rechtsanwälte und Journalisten, deren Hauptsport es in den letzten Jahren war, gegen Mafia-Kronzeugen statt gegen Mafiosi zu polemisieren und die harten Haftbedingungen für die Bosse zu kritisieren.
Mit entsprechend großer Sympathie verfolgten zahlreiche Bosse den Aufbau von Forza Italia in Sizilien; dort gewann die Regierungskoalition bei den letzten Wahlen ausnahmslos alle 61 Direktmandate. Doch auf der anderen Seite, der Seite der Regierungsmehrheit, folgten den Worten bisher keine Taten. Berlusconi regiert – und die Mafiosi schmoren weiter im Knast. Und das, obwohl Berlusconi mit seinem Mitarbeiter Marcello Dell’Utri über einen Intimus verfügt, der auf seinem Lebensweg haufenweise Bosse traf und in einem eigenen Prozess einen heftigen Kampf gegen die Kronzeugen der Cosa Nostra führt.
„Veralbert“ fühlen sich die Bosse, wie sie in einem Brief wissen ließen. Ein bisschen Mafiabekämpfung für die öffentliche Meinung, ein bisschen Zusammenleben mit der Mafia – beides zugleich geht nicht. Die Cosa Nostra bringt das jetzt zu Protokoll. Berlusconi täte gut daran, die Botschaft zu beherzigen. MICHAEL BRAUN
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