: Das Kraut, das man zusammen raucht
Cannabis ist eine Pflanze der Armen, der Künstler, der Hausmänner. Und der Sozialen. Das Schöne am Hasch ist die Langsamkeit der Droge, die dem herrschenden Effizienzwahn ein Schnippchen schlägt und Zeit gewinnt
Kiffer sind die bodenständigste Gruppe unter den Drogennehmern. Verträumt oder mürrisch, schwanken sie häufig in ihren Stimmungen, doch selbst in den wilden Assoziationsketten, die der Haschrausch begünstigt, scheinen sie erdverbunden, denn der Rausch ist gleichzeitig eine intime Erfahrung. Berauscht fühlt man sich verbunden mit den Berauschten und hört am Vormittag auf irgendwelchen Raves die unglaublichsten Geschichten von Kraftsportlern zum Beispiel, die man sonst nie kennen gelernt hätte. In Thailand ist Cannabis „das Kraut, das man zusammen raucht“. In England redet man ein wenig im Park, spielt mit dem kleinen Sohn Fußball und raucht ein paar Spliffs zwischendurch, was als perfekter Sonntagnachmittag gilt. Unter den Haschischfreunden gibt es viele Sportler; Backgammonspieler, Schwimmer, Jogger, Tischtennisspieler, Fußballer in Freizeitmannschaften, die oft „THC sowieso“ heißen. Von Mountainbikern, Snowboardern oder Skatern ganz zu schweigen.
Cannabis ist das Kraut der Armen. Kiffer sind Schüler, Studenten, Künstler, Arbeitslose, Hausmänner. Und arbeiten auch oft in sozialen Berufen. In arrivierteren Kreisen wird weniger gekifft, eher retronostalgisch, wie Sex Pistols hören. Im Jugendzimmer des 16-jährigen HipHop-Sohns einer Freundin hingen viele Poster mit Cannabispflanzen oder Slogans wie „Keine Nacht ohne Drogen“. Kiffen ist ihm mehr so ein dahergelaufener Fun. Nur Bücher hatte er nicht, mit denen er seine Erfahrungen vergleichen konnte; von denen er sich später dann hätte absetzen können. Seine Mutter fand die Zimmerplakatierung nicht so gut, ich bemühte mich um eine akzeptierende Drogenberatung im Stile von „Weniger ist mehr“. Bekifft hatte er das Gefühl, zu den Kiffern zu gehören, die er netter fand als die anderen. Dies diffuse Solidaritätsgefühl unter Kiffern kommt wohl daher, dass Leute, die Hasch rauchen, oft ähnliche Sozialisationserfahrungen gemacht haben, von denen sie sich im Rausch auch zu distanzieren versuchen.
In den Achtzigern fand ich Kiffer blöde, langweilig, spießig, grauenhaft ordentlich und oft ekelhaft selbstzufrieden. In den Neunzigern waren die jungen Kiffer im Umfeld von Techno super. Vorteilhaft am Hasch ist die Langsamkeit der Droge, die dem herrschenden Effizienzdenken, Materialismus etc. widerspricht, so im Sinne von: „Die Droge ist der Verbündete des Menschen im Kampf gegen die Maschine. Denn Drogen bedeuten Zeitgewinn für das Subjekt, Maschinen bedeuten Zeitverlust“ (Heiner Müller).
Mike ist ein richtiger Kiffer, einer, der sich einen Joint dreht, bevor er sich den einen Schuh anzieht, und den nächsten Joint dreht, wenn er sich den zweiten Schuh anzieht, und dann unbedingt noch einmal rauchen will, bevor er endlich das Haus verlässt. Ich gehe gern zur alljährlichen Hanfparade. Am besten auf der Hanfparade gefallen mir die 50-Jährigen mit langen Haaren, bunten Hemden, kleinen Bierbäuchen zuweilen, die früher wohl mal Rocker waren oder vielleicht auch Haschrebellen.
DETLEF KUHLBRODT
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