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Der Blinde und das Licht

Mythische Welten und utopische Fernen: „Luminous“ von Saburo Teshigawara im Haus der Berliner Festspiele

Japan kommt näher. In den Büchern von Haruki Murakami liegt es gleich neben Betten und Sofas. Die Geschichten passen zur Nacht. So hochtechnisiert ist dieses Japan der Romane, dass Männer ihre Gehirnhälften wie unterschiedlich operierende Computer nutzen können. Und so nahe den Geistern ist dieses Land, dass Frauen, junge Mädchen zumal, wie losgebunden von der Gesellschaft agieren und gute Verbindungen zu parallelen Universen unterhalten.

Mit diesem Japan der Literatur haben die Stücke von Saburo Teshigawara viel gemeinsam. Auch sie leben von einem irritierenden Zeitbegriff, der ein irreales Gleiten zwischen mythischen Welten und utopischen Fernen möglich macht. Die Körper von Teshigawaras Tänzern vermögen Unglaubliches zu leisten und divergierende Ströme von Energien fließen durch ihre Glieder in einer unvorstellbaren Dichte. Vor allem aber ist Teshigawara für seine plötzlichen Wechsel berühmt zwischen Spannungsfeldern, die mit Licht, Tönen und Bewegung aufgeladen sind bis zur Hysterie und dem Umkippen in Stille und Leere.

Sein Stück „Luminous“ ist durchzogen von einem Verlangen nach Transzendenz und Spiritualität, das von seinem Pathos nichts zu wissen scheint. Es gilt dem Licht, das als Voraussetzung allen Seins thematisiert wird. Gedichte, die der schwarze Schauspieler Evroy Deer zitiert, beschreiben die Abhängigkeit jeder Wahrnehmung vom Licht. Tänzer, die in fluoreszierende Hüllen wie eine zweite Haut gekleidet sind, laden sich auf in flackernden Blitzen. Füße flattern wie die Flügel einer gefangenen Motte zwischen Scheiben aus matt strahlendem Licht. Der Ton vergrößert die Bewegungen und lässt sie mit dem Raum verschmelzen. Holen andere nur Luft, saugen die Tänzer Teshigawaras den Atem des Weltalls ein.

Aber es gibt nie nur einen Raum in den Stücken des Choreografen, der als bildender Künstler zugleich auch seine Bühnenbilder gestaltet. Auf die Bühne von „Luminous“ trägt ein blinder Tänzer die Vorstellung eines zweiten Raums, der ohne Licht auskommen muss. Dieser innere Raum kann sich von jedem Punkt aus in alle Richtungen entfalten. Als Stuart Jackson erstmals auf die Bühne kommt, dreht er sich von klimpernden Geräuschen windmühlenähnlich angetrieben mit weit fliegenden Armen. Erst später begreift man, dass sein System der Orientierung nicht mit dem der anderen identisch ist. Das ist berührend, aber wird auch ein wenig verklärt.

Die schönsten Szenen entfalten sich dagegen zwischen Teshigawara selbst und den Tänzerinnen, die sich in ganz eigene, exzessive Energiezustände schleudern. Sie mischen die komplexe Bewegungssprache des Meisters mit urbaner Wildheit auf. Sie sind Schwestern der Girlies in Comic und Cyberspace. Sie spielen mit Programmierungen und finden einen eigenen Bewegungswitz in Collagen verschiedener Stile. Sich aus unterschiedlichen Identitätsvorlagen ständig neu zusammenzuflicken, gehört zu ihren leichtesten Übungen. Wer sie einmal gesehen hat, wird sie seinem Japanbild einverleiben.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Luminous“, heute, 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

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