: Nur noch der Bauch macht die Frau
In den Wahlkampfprogrammen der Parteien kommt Weibliches nur unter einem Aspekt vor: wenn es um die Gebärfunktion geht. Statt von Frauen und Männern wird viel von „Menschen“ gesprochen – eine durch und durch entpolitisierende Redeweise
von MARLENE STREERUWITZ
Hochwasser in Österreich. Die besichtigenden Politiker und Politikerinnen vor den Fernsehkameras. Alle sind schockiert. Suchen nach Fassung. Nach Beschreibung des Gesehenen. Je nach Alter sagen sie dann, dass das so sei, wie es im Krieg ausgesehen haben müsse. Oder. Dass es im Krieg so ausgesehen habe.
In der Logik dieser Kriegsmetapher wird dann von Wiederaufbau gesprochen. Und alle reden und schreiben über die von dieser Naturkatastrophe Betroffenen, von „den Menschen. Da.“ Es sind „diese Menschen. Da.“, denen geholfen werden muss. Nicht Männer und Frauen und Kinder. Nicht Bürgerinnen und Bürger und ihre Angehörigen und Familien. Es sind keine Personen, auf die das Mitleid sich richtet. Mit dem Verlust allen Hab und Guts ist auch eine persönliche Erkennbarkeit verloren gegangen. Die Opfer sind nur noch Menschen. In der Sprache wird das nachgestellt, was in der Wirklichkeit die Wassermassen getan haben.
Mit „den Menschen. Da.“ wird nationaler Schulterschluss via Medienzirkus geübt. Ein Fernsehmoderator rät den Fraktionsvorsitzenden aller Parteien, sich doch aufgrund dieses Notstands in Zukunft besser miteinander zu vertragen. Nicht so viel zu streiten. Im Parlament. Wegen „der Menschen. Da.“. Und die Politiker und Politikerinnen lächeln und nicken. Sie werden nett sein. Wegen „der Menschen. Da.“. Dieses Wort „Mensch“. Das wird hier wie in Wahlkampfzeiten eingesetzt. Als wären Personen diese unbeschriebenen Blätter, denen nun ein Parteiprogramm eingeschrieben werden könnte. Hier ist das halt gerade ein Hilfsprogramm.
Dieses Wort „Mensch“ politisch eingesetzt ist entpolitisierend. Politisch keimfrei. Das ist praktisch. In Österreich laufen nun politische Maßnahmen unter der Bezeichnung „Hilfe für die Menschen. Da.“. Für die Regierungskoalition sind diese Zerstörungen durch Flut die Rettung. Steuerreform. Nulldefizit. Abfangjägerkauf. Die Hochwasserhilfe wird ein einziger Ausredenkatalog. Weil sie für „die Menschen. Da.“ ist. Und nicht für Wählerinnen und Wähler.
So gibt es immer auch ein Glück. Im Unglück. Und noch ein Mechanismus ist an dem Wort „Mensch“ in der Politik so angenehm. „Mensch“ ist ein politisch nicht angreifbares Archilexem. Kein Politiker und keine Politikerin. Kein Medienmann und keine Medienfrau. Niemand muss neben der männlichen auch die weibliche Bezeichnung in den Mund nehmen. Oder womöglich das Wort „Frau“. So gesehen herrscht in der Politik dann immer Katastropheneinsatz. Auch im deutschen Wahlkampf. Wenn das Wort „Frau“ noch Verwendung findet, dann nur noch im Zusammenhang mit der Frage, woher die Kinder kommen sollen. Es ist die Gebärfunktion, die die Frau politisch gerade noch zur Erscheinung bringt. Bei den beiden großen Parteien.
Im CDU-Regierungsprogramm spielt dann auch der „Mensch“ die Hauptrolle. Aber die CDU hat ja auch ein Menschenbild, und das hat ein C im Namen. Familie ist ja da, wo Kinder sind. Wie die da hinkommen, das wird in der Ehevorbereitung besprochen. Bei der CDU gibt es überhaupt nichts Weibliches im Programm. Es geht hier immer um den „Menschen“. Der wird nur einmal zum „Bürger“, wenn es um Sicherheitsfragen und die Polizei geht. Es gibt den „Patienten“, den „Unternehmer“, den „Selbständigen“. Die Bürgerin oder die Patientin oder die Unternehmerin. Die kommen nicht vor. Dafür gibt es die Wahlmöglichkeit „Hausfrau“ besonders erwähnt. Das ist kerniger männlich, als ich mir vorstellen hatte können. In so reizend neoliberalen Zeiten ist frau wenigstens Prätention gewöhnt. Die FPÖ in Österreich würde sich eine solche Eindeutigkeit nicht leisten. Sprachpolitisch existieren bei der CDU jedenfalls nur der Mensch und alle männlichen Bezeichnungen. Das Weibliche ist in den männlichen Benennungen mit ausgedrückt. Ist dem Männlichen subsumiert. Vorgeführt wird dieses grammatische Verschmelzungsmodell dann auch auf allen Ebenen.
Politisch vordergründig drückt sich das in der Beurteilung aus, Katherina Reiche eigne sich zur Familienministerin, weil sie gerade in der „Familienphase stehe“. Frau Reiches deutlich sichtbare Schwangerschaft begründet den Auftritt in der Politik. Frauen müssen eben immer noch etwas Besonderes mitbringen. Um Karriere zu machen. Morgengaben. Die haben dann immer mit weiblichen Attributen zu tun. Hier der Bauch. Aber es kann auch Schönheit sein.
Das ist das Gegenteil von Gleichstellung, und die Konkurrenz wird den Frauen gegeneinander aufgehalst. Welcher wird das Mitspielen gestattet? Diesmal halt einer Schwangeren, weil man nach Meinung von Herrn Stoiber alles über das Thema Familie wissen kann, wenn frau selber gerade eine beginnt. Und. Frau Reiche lieferte dann ja auch Diskriminierendes. Zum Dank. Und selber heiraten wird sie ja auch.
Die Subsumierung unter das Männliche. Das wird von Frau Stoiber selbst dann so selbstverständlich vorgeführt, dass frau es fast übersehen könnte. Oder sogar gerührt von einem gelungenen Modell reden. Wie Frau Stoiber so selbstverständlich über ihren Mann reden kann. Wie sie so genau weiß, was er will. Wie sie ihn interpretiert. Wie sie sich als seine Stimme des Volkes einschätzt. Da ist sie ganz die auf ihn Bezogene. Die ihn Fördernde. Und das ist keine Teamarbeit. Das ist die ganz normale Liebesarbeit der katholisch bürgerlichen Ehefrau. Aber Frau Stoiber hat 34 Jahre dieser Liebesarbeit hinter sich. Die von ihr geförderte Karriere ihres Mannes erhöht die Chancen, dass die Eheerosion zünftig konservativer Bayernpromis sich nicht bis zu ihr durchnagt.
Waigel. Uschi Glas. Beckenbauer. Das Modell „immer jüngere Zweit-, Dritt- oder Viertfrau“. Das könnte ihr Mann sich nicht leisten. Oder?
Doris Schröder-Köpf dagegen lebt in diesem Modell. Verschmelzungsfantasien mit dem eigenen Mann kommen da nicht vor. Sie fände es seltsam, für ihren Mann die Lebensrealität der anderen darzustellen. Und ihre Texte will sie sich auch nicht von ihm korrigieren lassen, wie die Journalisten das vermuten. Sie kann ihre eigene Rolle kühl einschätzen. Und nervös ist sie für sich selbst und nicht für ihn. In Erziehungsfragen würde frau lieber die Ansichten von Renate Schmidt von ihr hören. Und hoffentlich ist dieses dann doch wertkonservative Hingerede über Grenzen für Kinder nur für den Wahlkampf gemeint. Was sollte ihre Tochter schon gewinnen, wenn sie ihr einen Kinobesuch abgetrotzt hat.
„Aber es ist keine Frage von Frau oder Mann, sondern eine Sache der Generation.“ Sagt Sandra Maischberger über ihren Erfolg zum Spiegel-Journalisten. Nun könnte frau dazu feststellen, dass die TV-Journalistinnen des deutschen Fernsehens dann immer nur Polit-Männer befragen. Die Macht ist noch lange nicht strukturell so verteilt, dass hier Gleichgewicht herrschte. Und auch für TV-Journalistinnen sind es diese weiblichen Zusatzattribute, die den Zutritt gewähren. Und gut. Das mag frau pragmatisch als Einstieg benützen. Die SPD-Familienministerin muss weiterhin die jungen Frauen auf das Risiko hinweisen, das ein Ausstieg aus dem Beruf wegen der Kinder mit sich bringt. Wahlfreiheit ist das nicht. Die Gleichstellung der Frau ist ein bisschen weitergekommen. An der Wirtschaft ist sie gescheitert.
Im Spiegel-Aufsatz über die Arbeitslosigkeit der Mittelschicht nach dem Zerplatzen der „bubble“ kommen immerhin schon nur noch doppelt so viele Beispiele von Männern wie von Frauen vor. Das ist Fortschritt für ein Magazin, das sich den Spott über den Begriff gender mainstreaming zwei Seiten kosten lässt. Es gab Zeiten, da hätte der Spiegel nur über Männer als Ich-AG berichtet. Aber weiterhin kommt in diesem Bericht über die Postbubble-Arbeitslosigkeit die Lebenssituation Frau nicht vor. Diese Frauen haben keine Kinder. Die sollten ja später kommen und wenn sich jetzt kein Job finden lässt, dann wird es auch keine geben.
Und hier führt alles auf diesen Unterschied zurück, den auch die CDU nicht unter die Bezeichnung „Mensch“ unterbringen konnte. Wie kommt die Gesellschaft zu Kindern. Ohne grundlegende Gleichstellung bedeutet das Einschränkungen für die Frau. Wie bisher. Da kann Frau Stoiber noch so herzig aus ihrem Dirndl lächeln. Und noch so viele Töchter in Talkshows schicken, in denen der Widerspruch durch netten Einspruch gegen den Papa aufgelöst wird. Frauen mit Kindern sind seit jeher Ich-AG mit vollem Risiko und ohne Altersversorgung. Nur über Familienkonstruktion lässt sich dieses Risiko nicht eindämmen. Im Gegenteil. Es geht darum, Abhängigkeitsverhältnissen zu entkommen, und dafür ist gender mainstreaming in allen Bereichen nötig. Vorgeschrieben ist das ja. Die EU verlangte eine weitgehendere Befassung mit dem Thema Frau, als die großen Parteien das im Wahlkampf anbieten. Und postfeministische Berührungsängste das zulassen.
Übrigens. Auch bei der Katastrophenhilfe nach der Flutkatastrophe muss gender mainstreaming angewandt werden. Es wird nämlich nicht den „Menschen. Da.“ geholfen. Sondern Männern und Frauen.
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