: Verwirrende Beleuchtungen
Flutlichtanlagen, angestrahlte Burgruinen und Skybeamer sind nicht nur für Sternengucker ein Problem. Auch viele Tiere finden sich nicht mehr zurecht, wenn die Nacht zum Tag wird. Umweltschützer fordern Maßnahmen gegen die Lichtverschmutzung
von KENO VERSECK
„Das Geräusch war wie in einem Gruselfilm, ganz unheimlich“, erinnert sich der Ulrichsteiner Bürgermeister Erwin Horst. „Es ist an einem Samstagabend passiert, ich kam ausgerechnet mit einem Bekannten, der Biologe ist, aus einer Pizzeria und frage ihn noch, ob das wohl Vögel sind. Kurz darauf hatten wir plötzlich 2.000 Kraniche im Ort. 13 Tiere sind leider gegen Hausmauern geflogen und gestorben.“
Der Vorfall, von dem Erwin Horst berichtet, geschah im November 1998, gegen Ende der Zugvogelzeit. Die Kraniche waren verspätet aus Norddeutschland gen Afrika aufgebrochen, in einer zu großen Formation, bei Nebel und starkem Gegenwind. Über dem hessischen Städtchen Ulrichstein wurden die entkräfteten Tiere, die längst über Frankreich hätten sein müssen, von Flutlichtstrahlern verwirrt, die auf dem dortigen Schlossberg nachts eine Burgruine anstrahlen.
„Eine Zeit lang flogen viele wild kreischend um den Berg“, erzählt Erwin Horst, „dann landeten die meisten Kraniche am Stadtrand auf den Wiesen, einige hundert auch mitten im Ort. Wir haben sofort die Lampen auf der Burg und die Stadtbeleuchtung ausgeschaltet. Am übernächsten Tag sind sie dann weitergeflogen.“
Seit der Nacht vom 7. November 1998 sind die Ulrichsteiner umsichtig: Jedes Jahr zur Zugvogelzeit im Herbst rufen Ornithologen im Bürgermeisteramt an. Dann werden die Strahler auf dem Schlossberg zwei Monate lang nicht mehr angestellt.
Die Kranichnotlandung von Ulrichstein führen Umweltschützer als ein Paradebeispiel dafür an, wie manche Tiere auf zu viel künstliches Nachtlicht reagieren. Doch es geht ihnen nicht nur um einzelne Anlagen wie Skybeamer oder Flutlichter, sondern um öffentliche Beleuchtung überhaupt. Das Schlagwort heißt Lichtverschmutzung.
„Die meisten Leute können mit dem Wort nichts anfangen“, sagt Sibylle Winkel, Biologin beim Naturschutzbund (Nabu) und Expertin zum Thema. „Aber Lichtverschmutzung ist als Umweltproblem nicht zu unterschätzen. Überall an den Rändern der Ballungsräume werden durch zu viel und durch falsche Beleuchtung Insekten, Vögel und Tiere aus den angrenzenden Biotopen herausgesaugt oder verwirrt.“
Selbst viele Umweltschützer sind erst in den letzten Jahren auf das Thema aufmerksam geworden. Erfunden haben den Begriff Lichtverschmutzung ursprünglich Astronomen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es in vielen Teilen der Welt, vor allem fast überall in Westeuropa und den USA, keinen normal dunklen Nachthimmel mehr gibt. Deutlich wird das nicht erst beim seltenen Anblick eines sternenübersäten Nachthimmels über einer Wüste. Es genügt, nachts von weitem einen Ballungsraum zu betrachten: Noch in Dutzenden Kilometern Entfernung ist über dem Horizont eine glimmende Dunstglocke zu erkennen.
Für Astronomen und Hobbysterngucker ist das zwar mehr als nur ein Ärgernis, für manche Tiere hingegen lebensbedrohlich. Am meisten betroffen von künstlicher Beleuchtung sind nachtaktive Insekten. Sie werden von Lichtquellen mit Strahlungsanteil im blauen, violetten und ultravioletten Bereich angezogen und umkreisen diese meistens so lange, bis sie an der Hitze der Lampe verbrennen oder sich in offenen Lampenschalen verfangen und sterben. Sind Lampen mit Schirmen oder transparenten Gehäusen überzogen, werden Insekten zumindest bei der Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung behindert.
Warum nachtaktive Insekten von solchen Lichtquellen magisch angezogen werden, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Vermutlich orientieren sie sich normalerweise am Mond- und Sternenlicht. Fest steht, dass ihre Augen extrem empfindlich sind und das Empfindlichkeitsmaximum ihrer Augen im kürzerwelligen Lichtbereich liegt. Daher können sie zum Teil noch die für Menschen unsichtbare UV-Strahlung sehen.
„Die zunehmende Lichtverschmutzung bewirkt eine schleichende, aber auf Dauer dramatische Ausdünnung der Insektenfauna“, sagt Gerhard Eisenbeis, Zoologe an der Universität Mainz, der die Wirkung von künstlichem Nachtlicht auf Insekten erforscht. „Langfristig könnte sich das auf das gesamte Ökosystem auswirken, denn Insekten sind ja auch Teil der Nahrungsketten oder haben eine wichtige Funktion als Bestäuber für Pflanzen und Bäume. Allerdings wäre noch viel Forschung nötig, um das im Einzelnen zu klären.“
Ähnliches gilt für Zugvögel, von denen viele in der Dunkelheit unterwegs sind. Sie werden vom Licht aus Leuchttürmen, an Ölplattformen auf See, an Fernsehtürmen oder von Wolkenscheinwerfern auf Flugplätzen angezogen. In Deutschland haben Ornithologen zahlreiche Fälle dokumentiert, als Vögel durch Skybeamer oder riesige Flutlichtanlagen wie die am Atommülllager Gorleben stundenlang irritiert wurden.
„Es gibt ziemlich sicher einen Zusammenhang zwischen Ursache Licht und Wirkung Irritation von Vögeln, obwohl oft andere Umstände wie schlechtes Wetter hinzukommen“, sagt Klaus Richarz, Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. „Allerdings haben wir beobachtet, dass Zugvögel viel weniger im Frühjahr, sondern vor allem im Herbst gefährdet sind, wenn sie durch die meist ungünstigen Witterungsbedingungen sehr tief fliegen und dann empfindlich auf künstliches Nachtlicht reagieren.“
„Lichtverschmutzung?“ – Eine Pressesprecherin beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn hat das Wort noch nie gehört und fragt entgeistert, was es bedeuten soll. Auch nach Tagen kann sie niemandem im Amt finden, der kompetent zum Thema Auskunft geben kann. Manche Umweltschützer und Wissenschaftler halten das für symptomatisch. Es gebe bei staatlichen Umweltbehörden wenig Interesse am Problem Lichtverschmutzung, klagen sie.
Das hessische Umweltministerium war interessiert – nachdem Sibylle Winkel zusammen mit befreundeten Umweltschützern vor drei Jahren erstmals eine Aufklärungskampagne gegen Skybeamer startete. Letzten Herbst, kurz vor Beginn der Zugvogelzeit, unterzeichneten Umweltministerium und Gaststätten- und Hotelverband eine freiwillige Vereinbarung, laut der Besitzer von Skybeamern im Herbst darauf verzichten, die Anlagen einzuschalten.
Hessen ist das erste Bundesland mit einer derartigen Selbstverpflichtung von Gewerbetreibenden. Die Vereinbarung wird zumindest von allen Verbandsmitgliedern eingehalten, „schwarze Schafe“ gibt es nur wenige. „Seit letztem Jahr bekommen wir in der Vogelschutzwarte viel weniger Alarmmeldungen über verirrte Zugvögel“, freut sich Klaus Richarz.
Tschechien ist seit kurzem das erste Land der Welt, in dem im Rahmen eines Anfang Juni in Kraft getretenen „Gesetzes zum Schutz der Atmosphäre“ auch ein Lichtverschmutzungsverbot gilt. Der Paragraf definiert Lichtverschmutzung als „jede Form von künstlicher Beleuchtung außerhalb der Fläche, für die sie bestimmt ist, vor allem wenn sie über die Horizontebene gerichtet ist“.
Der Brünner Astronom und Umweltschützer Jenik Hollan, der wissenschaftlicher Berater bei der Gesetzesformulierung war, ist zuversichtlich, was seine Umsetzung angeht: „Anlagen wie Skybeamer sind schon jetzt verboten. Städte und Gemeinden werden durch das Gesetz gezwungen, ihre Nachtbeleuchtung zu modernisieren.“
Die Aufnahme einer ähnlichen Bestimmung wie der tschechischen in das Bundesemissionsschutzgesetz fordern auch deutsche Umweltschützer und Astronomen. Einer von ihnen, der Leiter des Osnabrücker Planetariums, Andreas Hänel, hat in einer Studie ausgerechnet, wie viel Geld nachts schlicht in den Himmel gestrahlt wird. „Durchschnittlich gehen allein durch schlechte Abschirmung von Lampen mindestens 15 Prozent der Nachtbeleuchtung über die Horizontebene hinaus“, so Hänel. „Eine Stadt wie Osnabrück gibt für diese völlig sinnlose Beleuchtung jährlich etwa 50.000 Euro aus.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen