: Brandanschlag zum Jubiläum
Kurz vor dem 10. Jahrestag des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen fliegen beim Sonnenblumenhaus wieder Brandsätze
BERLIN taz ■ Unbekannte Täter haben wenige Wochen vor dem 10. Jahrestag des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen in der Nacht zum Samstag Brandanschläge auf das Büro der Arbeiterwohlfahrt im so genannten Sonnenblumenhaus und einen Asia-Shop in unmittelbarer Nähe des Hauses verübt. Menschen wurden nicht verletzt. Die Polizei schätzt den Sachschaden auf weniger als 10.000 Euro. Die Feuerwehr konnte die Brände schnell löschen.
Augenzeugen hatten gegen ein Uhr nachts die Polizei alarmiert, als Unbekannte die Fensterscheiben des Geschäfts für asiatische Lebensmittel mit Steinwürfen zerstörten. Eine Stunde, nachdem Beamte den Schaden begutachtet hatten, kehrten die Angreifer offenbar zu dem Geschäft zurück und warfen die Brandsätze.
Ein Sprecher der Polizei erklärte, man ermittle wegen schwerer Brandstiftung „in alle Richtungen“. Zeugen hätten zwei unbekannte Jugendliche beim Werfen der Brandflaschen beobachtet. Laut Aussagen von Anwohnern trifft sich seit einigen Monaten eine Clique eindeutig rechter Jugendlicher hinter dem Sonnenblumenhaus. Am Freitagabend hätten dort rund zwanzig Personen lautstark neonazistische Musik gehört und gefeiert.
Ende August 1992 war es vor dem Haus drei Tage lang zu schwersten fremdenfeindlichen Angriffen gekommen. Rund 3.000 Anwohner und Naziskins aus dem gesamten Bundesgebiet hatten den Plattenbau, in dem sich damals die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter befanden, mit Steinen und Brandflaschen beworfen. In der Nacht zum 24. August 1992 setzten die Angreifer das Haus in Brand. Rund 150 VietnamesInnen sowie eine Handvoll deutscher UnterstützerInnen, ein Kamerteam des ZDF und der Rostocker Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter konnten sich nur knapp vor den Flammen aufs Dach des Hauses retten. Im Juni dieses Jahres verurteilte das Landgericht Schwerin im letzten von lediglich 35 Prozessen gegen Beteiligte des Pogroms drei Schweriner Naziskins wegen versuchten Mordes zu Bewährungsstrafen. In dem Sonnenblumenhaus leben heute vor allem Deutsche.
„Sollte es sich bewahrheiten, dass die Anschläge vom Wochenende durch Rechte verübt wurden, hätte das eine fatale Symbolwirkung“, sagte der Sprecher des Schweriner Innenministeriums, Christian Lorenz. Die Landesregierung habe bislang Erfolge bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus verzeichnet. Demgegenüber erklärte Tim Bleis vom Verein „Lobbi“, der in Mecklenburg-Vorpommern Opfer rechter Gewalt betreut, in den letzten Monaten habe man landesweit eine Zunahme von Angriffen auf Migranten und Flüchtlingen registriert. „Einige Betroffene der Anschläge vom Wochenende befürchten eine neue Welle rassistischer Gewalt auch in Rostock-Lichtenhagen.“ Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, warnte: „Wer jetzt Einwanderung zum Wahlkampfthema macht, hat offenbar aus dem Pogrom vor zehn Jahren nichts gelernt.“HEIKE KLEFFNER
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