: Der Preis des Verdrängens
Jahrelang haben die Industriestaaten die Aidsepidemie in Afrika ignoriert. Nur wenn sie endlich wirksam helfen, ist die Krankheit noch einzudämmen
von DOMINIC JOHNSON
Auf dem Papier war es noch nie so einfach, Aids zu bekämpfen. Die notwendigen Programme sind weltweit bekannt und allgemein akzeptiert: Aufklärung der Bevölkerung darüber, wie man sich verhalten muss, um eine Infektion mit dem Virus oder seine Weitergabe zu vermeiden; systematische HIV-Tests und Zugang zu billigen und sicheren Aids-Medikamenten; als Voraussetzung dafür ein starker politischer Wille. Und seit vorigem Jahr gibt es erstmals einen globalen Mechanismus, um Milliardensummen zur Aidsbekämpfung in die ärmsten Erntwicklungsländer mit den höchsten Infektionsraten zu schaufeln: den „Globalen Fonds zum Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria“, von UN-Generalsekretär Kofi Annan ins Leben gerufen und auf zehn Milliarden Dollar pro Jahr angelegt.
In der Realität aber wird der Kampf gegen Aids immer schwerer. Denn auch in Ländern wie Uganda, Sambia und Senegal, wo die notwendigen Programme greifen, ist der Virus noch lange nicht besiegt – jede Nachlässigkeit zieht neue Infektionsschübe nach sich.
Die weltweiten Kampagnen gegen die Pharmaindustrie zur Verbilligung der Aidsmedikamente und für den Einsatz billigerer Kopien haben zwar Preissenkungen von bis zu 90 Prozent bewirkt. Aber auch das können sich viele Kranke nicht leisten, und viele nationale Gesundheitssysteme in Afrika sind nach wie vor zu unterfinanziert, um die Fehlbeträge zu decken. Bis heute werden laut UN-Aids von den 28,5 Millionen Infizierten Afrikas nur 30.000 mit Aidsmedikamenten behandelt.
Der Globale Aids-Fonds erweist sich bislang als Enttäuschung. Statt zehn Milliarden Dollar hat er bislang nur Zusagen von zwei Milliarden Dollar erhalten, wovon noch längst nicht alles tatsächlich gezahlt wurde. Bewilligt hat der Fonds lediglich Programme im Wert von 616 Millionen Dollar über zwei Jahre, davon etwa zwei Drittel Aids-bezogen. Statt zehn Milliarden Dollar gegen Aids pro Jahr gibt es also nur 200 Millionen – zwei Prozent der einst geforderten Summe. Die weltweiten Gesamtausgaben für den Kampf gegen Aids lagen letztes Jahr bei 2,8 Milliarden Dollar.
Wenn diese Woche die Aidsbekämpfer der Welt in Barcelona zusammentreffen, dürfte sich also der Fokus gegenüber früheren solchen Konferenzen verändern. Vor vier Jahren in Sambia ging es noch vor allem darum, in Afrika das Schweigen um die Seuche zu brechen. Vor zwei Jahren in Südafrika waren die hohen Medikamentenpreise ein Hauptthema. Dieses Mal in Spanien wird das Unvermögen der Reichen, den Armen die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die Diskussionen beherrschen.
Zehn Milliarden Dollar – das ist so viel, wie die Bauern der OECD-Länder in zehn Tagen an Agrarsubventionen erhalten oder wie die US-Bürger in zwei Monaten für Erfrischungsgetränke ausgeben. „Am 11. September 2001 starben 3.000 Menschen in einem schrecklichen Terrorakt, und in wenigen Tagen sprach die Welt von hunderten von Milliarden Dollar für den Kampf gegen den Terror“, erregt sich der UN-Sonderbeauftragte für Aids in Afrika, der pensionierte kanadische Diplomat Stephen Lewis. „2001 starben 2,3 Millionen Afrikaner an Aids – und man muss bitten und betteln, um ein paar hundert Millionen Dollar aufzutreiben.“
Wenn sich daran nichts ändert, so schätzte UN-Aids in seinem vorige Woche veröffentlichten Jahresbericht, werden 68 Millionen Menschen bis zum Jahr 2020 an Aids sterben, 55 Millionen davon in Afrika südlich der Sahara.
Erst Ende letzter Woche prognostizierte die „Global HIV Prevention Working Group“, ein internationaler Zusammenschluss von Aidsexperten, dass die Zahl der HIV-Infizierten ohne Milliardenzusagen für neue Präventionsprogramme weltweit in den nächsten acht Jahren um 45 Millionen steigen werde. Derzeit wächst die Zahl der Virusträger jährlich netto um vier Millionen; diese Zahl werde bis 2007 auf fünf Millionen steigen, könne aber leicht auf 1,5 Millionen gesenkt werden, so die Experten.
„Wir haben es nicht geschafft, in den frühen Stadien der Epidemie in Afrika entschlossen zu handeln, und dafür zahlen wir jetzt den Preis“, sagte der Vorsitzende der Working Group, David Serwadda von der Makerere-Universität in Uganda. „Aber wir haben noch die Chance, die nächste Generation in Afrika zu retten und Epidemien in Indien, Russland und China zu verhindern“. Die Aufklärung der Bevölkerung über Kondome per Radio oder Schulunterricht müsse in diesen Ländern massiv verstärkt werden. Experten zeigen auch auf afrikanische Länder mit großer oder instabiler Bevölkerung wie Nigeria, Äthiopien, Kongo und Angola als prioritäre Gebiete zur Erweiterung der Aidsbekämpfung, die gerade in Bürgerkriegsländern sehr schwierig ist.
Der Globale Aidsfonds, um dessen Stärkung es geht, ist dabei nicht vor Kritik gefeit. Die Hilfsorganisation „Oxfam“ kritisiert in einer Vorlage für die Barcelona-Konferenz die Vergabepraxis des Fonds scharf: Er hätte sich viel mehr auf Generika konzentrieren und mit grenzüberschreitend koordinierten Großeinkäufen billige Preise und die Einhaltung von Produktstandards sichern sollen.
Der Fonds berücksichtige in seinen Kriterien für Mittelvergabe frauenspezifische Probleme nicht gesondert – zum Beispiel Kampf gegen die soziale Stigmatisierung HIV-infizierter Frauen und gegen sexuelle Gewalt. Und Nichtregierungsorganisationen würden schlecht einbezogen, was die Überprüfung der geförderten Programme angeht.
Nach Meinung von UN-Aids-Chef Peter Piot wird es bis zum Jahr 2005 dauern, bis der Aidsfonds voll funktionsfähig ist. Nach der ersten Runde von Mittelzusagen hat der Fonds letzte Woche seine zweite Ausschreibung für förderungsfähige Projekte veröffentlicht. Bis zum 27. September können Anträge gestellt werden; Anfang 2003 werden die Zuschläge erteilt. Bis dahin werden erneut weit über eine Million Menschen auf der Welt an Aids gestorben sein.
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