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Rätselhafte Teilchen

„Skyview“ heißt das Forschungsprojekt, mit dem hochenergetische Strahlen aus dem Kosmos nachgewiesen werden sollen. Für einige Schulen in Nordrhein-Westfalen eine einmalige Gelegenheit, an einem internationalen Experiment teilzunehmen

von KENO VERSECK

Superschnelle Protonen aus aktiven Galaxien, hypothetische Teilchen aus Energieblasen? Der Astrophysiker Wolfgang Rhode von der Universität Wuppertal ist überrascht, dass etwas so Abstraktes, mit dem sich weltweit nur eine vergleichsweise kleine Gemeinde von Forschern beschäftigt, auf Interesse in der Öffentlichkeit stößt. „Nachdem wir das Projekt vorgestellt hatten, meldeten sich mehr potenzielle Teilnehmer als erwartet. Deshalb machen wir zurzeit keine Reklame mehr, sonst müssten wir Absagen schreiben.“

Das Projekt, über das Rhode spricht, heißt „Skyview“. Es ist ein Teleskop zur Beobachtung der kosmischen Strahlung, die aus den Tiefen des Alls auf die Erde trifft. Genauer: zur Beobachtung der mysteriösen hochenergetischen kosmischen Teilchen. Sie werden zwar seit Jahrzehnten nachgewiesen. Doch bis heute kann niemand sagen, woher sie stammen und was sie auf ihre hohe Energie gebracht hat.

Gebaut werden soll das Skyview-Teleskop im Ruhrgebiet auf einer Fläche von 5.000 Quadratkilometern. Im Schnitt würde je Quadratkilometer ein Teilchendetektor stehen. Zusammengeschaltet, funktionieren sie als riesiges Teleskop. Kleinere Teleskope dieser Art gibt es bereits in den USA und in Japan, das bisher größte wird derzeit in Argentinien gebaut. Das Einzigartige am Skyview-Projekt: Die Detektoren sollen an Schulen im und um das Ruhrgebiet aufgestellt werden, Physiklehrer und Schüler in die Forschung mit dem Teleskop einbezogen werden.

Als Wolfgang Rhode, einer der Skyview-Projektleiter, diese Idee bekannt machte, fragten schnell mehr Lehrer an, als vorerst teilnehmen können: Für ein Skyview-Pilotteleskop, das ab Herbst an Wuppertaler Schulen arbeiten soll, mussten die Physiker Absagen erteilen. Rhode erklärt sich das Interesse so: „Vor allem für Schüler besteht die Möglichkeit, Naturwissenschaft und Technik anders zu erleben als trocken und kompliziert.“ Mit Skyview könnten Lehrer ihren Schülern die Teilnahme an einem internationalen Experiment auf höchstem Niveau anbieten.

Das Skyview-Teleskop soll mit der Beobachtung der hochenergetischen kosmischen Teilchen dazu beitragen, eines der wichtigsten astrophysikalischen Probleme zu lösen – laut einem kürzlich erschienenen Bericht des renommierten „National Research Council“ in den USA immerhin eine der „elf wichtigsten Fragen zum Universum“.

Kosmische Strahlung trifft konstant auf die Erdatmosphäre und macht einen wesentlichen Teil der natürlichen Radioaktivität aus. Sie besteht größtenteils aus einzelnen Protonen, also Atomkernen des Wasserstoffs, aber auch aus Atomkernen schwererer Elemente und anderen Teilchen wie Elektronen. Sie rasen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durchs All. Ihr überwiegender Teil stammt aus der Milchstraße, unserer Galaxie: vermutlich aus Supernovae, den Explosionen sehr massereicher Sterne, oder aus Objekten wie Pulsaren, kleine, extrem dichte und schnell rotierende Überreste eines Riesensternes.

Beschleunigt werden die Teilchen ähnlich wie in der Bildröhre eines herkömmlichen Fernsehers: In ihr schwingen Elektronen an einer Glühkathode und werden durch das Anlegen einer Spannung „abgesaugt“ und in Richtung Bildschirm beschleunigt. Bei kosmischen Objekten dienen die Magnetfelder als Teilchenbeschleuniger.

Entdeckt wurde die kosmische Strahlung bereits 1912. Vor allem niederenergetische Teilchen, die von der Sonne stammen, sind schon mit kleinen Detektoranlagen zu „sehen“. Nachgewiesen wurden seit 1960 aber auch einige wenige Teilchen – insgesamt zwei Dutzend –, deren Energie so hoch ist, dass kein bekanntes kosmisches Objekt als Beschleuniger in Frage kommt. Ihre Energie beträgt 100 Trillionen Elektronenvolt und liegt damit bereits im makroskopischen Bereich: Es ist die Energie eines Tennisballs, der von einem Weltklassespieler übers Netz geschlagen wird – konzentriert auf ein einziges Proton.

Nicht nur der Ursprung der Teilchen ist rätselhaft. Dass sie auf der Erde ankommen, widerspricht auch der bekannten Physik. „Irgendetwas an unseren Theorien ist falsch“, sagt Wolfgang Rhode. „Wenn die Teilchen aus aktiven Galaxien stammen, müssten sie auf dem Weg zu uns vom Strahlungshintergrund absorbiert werden. Vielleicht gibt es aber im intergalaktischen Raum weniger absorbierende Strahlung, als wir annehmen. Das wäre eine unangenehme Schlussfolgerung, weil dann einige Dinge im Standardmodell zur Geschichte und zum Aufbau des Universums revidiert werden müssten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Relativitätstheorie bei extrem hohen Energien nicht mehr stimmt.“

Erschwert wird die Lösung des Problems schon allein dadurch, dass hochenergetische kosmische Teilchen äußerst selten auf die Erdatmosphäre treffen: nur einmal pro Jahrhundert und Quadratkilometer. Um sie nachzuweisen, muss also eine riesige Fläche mit Detektoren versehen werden. Der Nachweis geschieht dabei indirekt: In den oberen Atmosphärenschichten prallen die Teilchen auf Luftmoleküle, zerfallen und hinterlassen einen Schauer von sekundären Elementarteilchen wie Elektronen oder Myonen, deren Zahl Millionen bis Milliarden betragen kann. Diese Sekundärteilchen breiten sich bis hinunter zur Erdoberfläche in flachen Wolken aus, die mehrere Quadratkilometer groß sein können. Wird eine derartige Teilchenwolke registriert, können Rückschlüsse auf das Primärteilchen gezogen werden, etwa wie groß seine Energie war oder aus welcher Richtung es kam.

Die Detektoren von Skyview bestehen aus einem lichtempfindlichen Kunststoff in einer Dunkelkammer. Wenn die Sekundärteilchen auf den Kunststoff treffen, gibt dieser einen winzigen Lichtblitz ab. Ein Lichtverstärker wandelt den Blitz in ein elektrisches Signal um. Aus solchen Signalen schließlich können die Forscher Berechnungen zum ursprünglichen Teilchen vornehmen.

Mit Skyview wollen Physiker zwar in erster Linie Grundlagenforschung betreiben, doch nach den Vorstellungen der Initiatoren würde der pädagogische Aspekt des Projektes eine große Rolle spielen: Physiklehrer und Schüler würden die Datenübertragung von Detektoren an einen Zentralrechner überwachen, die Wartung der Apparate an ihrer Schule wie regelmäßige Eichmessungen übernehmen. Zudem könnten sie Detektoren auch für eigene Experimente nutzen. Die Skyview-Wissenschaftler wiederum würden Lehrern und Schülern die Forschungsergebnisse in allen Details zugänglich machen, ihnen Anleitungshilfen für eigene Experimente geben oder dabei helfen, Unterrichtseinheiten zum Thema Astro- oder Teilchenphysik zu erstellen.

Das Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal ist eine der fünf Schulen in der Stadt, die ab Herbst an dem Skyview-Pilotprojekt teilnehmen. Der Physiklehrer Norbert Peikert hat das Projekt in seinem Leistungskurs vorgestellt und einen Teil der 15 Schüler für das Experiment begeistern können. „Wir waren schon an astronomischen Observatorien oder bei Radioteleskopen“, sagt Peikert. „Aber das waren nur Besuche mit Vorträgen. Bei Skyview wäre die Teilnahme an der Forschung für die Schüler fast so, als ob sie schon an der Uni studieren würden.“

Noch ist die Finanzierung von Skyview nicht gesichert. Das Projekt würde 30 bis 40 Millionen Euro kosten, sagt der Astrophysiker Karl-Heinz Kampert von der Universität Karlsruhe, der derzeit in Nordrhein-Westfalen, auf Bundesebene und auch in anderen europäischen Ländern für Skyview wirbt. Bisher hat nur das Bundesforschungsministerium Mittel zur Verfügung gestellt, mit denen eine Machbarkeitsstudie, eine Skyview-Testanlage an der Universität Wuppertal und das Pilotprojekt an Wuppertaler Schulen finanziert werden.

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