: Multifunktionäre unter sich
Die Akteure der Agrarlobby sprechen sich gegenseitig von jeder Schuld frei. Kein Wunder: Wo der eine Chef ist, ist der andere Stellvertreter
von NICK REIMER
Gerd Sonnleitner ist ein viel beschäftigter Mann. Zumal in diesen Zeiten. „Bisherige Öko-Zertifizierungen reichen offenbar nicht, wie die in Nitrofen involvierten Firmen zeigen“, erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Deshalb nimmt er das jetzt selbst in die Hand. Punkt 1: „Wir werden die Ökobauern verteidigen.“ Punkt 2: „Die Agrarorganisation CMA wird eine Verkaufsförderungsaktion starten.“ Punkt 3: „Die Landwirtschaftliche Rentenbank wird zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellen.“
Sonnleitner kann das leicht verkünden: Er ist nicht nur Bauernpräsident, sondern auch Verwaltungsratsvorsitzender der Rentenbank. Und er sitzt im Aufsichtsrat der CMA – der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft.
Ziel der CMA, einer Marketing-GmbH mit Sitz in Bonn, ist etwa, die „übergeordneten Interessen der Agrarwirtschaft wahrzunehmen“, Absatz und Verwertung von deutschen Agrarprodukten zentral zu fördern oder „das Verbraucherverhalten zu sichern und zu stärken“. Sonnleitner trifft im Aufsichtsrat immer Manfred Nüssel. Der ist dort stellvertretender Vorsitzender. Im Nebenberuf. Im Hauptberuf ist er Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes. 3.600 landwirtschaftliche Genossenschaften sind dort organisiert, darunter Firmen wie der Futtermittelhersteller GS agri, der Bioeierproduzent Grüne Wiese Biohöfe, oder derGetreidehändler Norddeutsche Saat- und Planzgut AG (NSP) und die Futtermittel-und Getreidehandelsgesellschaft mbH &Co KG (Fugema). Die Namen schon mal gehört? Kein Wunder: Nahezu alle Akteure des Nitrofenskandals sind Mitglieder im Deutschen Raiffeisenverband.
„In diesen Raiffeisen-Betrieben gibt es eine Kultur des Verschweigens“, hatte Verbraucherministerin Renate Künast gesagt. Was Raiffeisen-Chef Manfred Nüssel brüsk zurückweist. „Dem Verband lagen zu keinem Zeitpunkt Informationen zu den dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Vorgängen vor.“ Nüssel wirft Künast „pauschale Verunglimpfung“ vor. Es sei schlichtweg falsch, zu behaupten, die Genossenschaften hätten Kontrollen verhindert. Nüssel: „Im Gegenteil: Seit Jahren wenden die genossenschaftlichen Futtermittelhersteller Qualitätssicherungssysteme an und betreiben ein wirkungsvolles Schadstoffmonitoring.“
Unterstützt wird Nüssel dabei von der „Fördergemeinschaft nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL). Die nämlich erklärte: „Ein verlässlicher Verbraucherschutz lässt sich weder mit alten ‚Grabenkämpfen‘ noch mit einseitigen Schuldzuweisungen gewährleisten. Dass in diesem Fall ein ‚Kartell‘ aus zertifiziertem Öko-Futtermittelhersteller und Ökobetrieben geschwiegen zu haben scheint, macht die Sache keineswegs besser.“ Der Vorsitzende der FNL ist übrigens Gerd Sonnleitner, Manfred Nüssel ist Mitglied des Vorstandes.
Spätestens hier wird klar, dass für Nüssel dasselbe gilt wie für Sonnleitner: Nüssel ist ein viel beschäftigter Mann. Zum Beispiel ist er Mitglied des Vorstandes und Aufsichtsrat der R&V-Versicherung. Die hatte im Auftrag des Raiffeisen-Mitgliedes GS agri im März ein Gutachten zu den wirtschaftlichen Folgen der Nitrofenverseuchung erarbeitet. GS-agri-Chef Paul Römann ist nicht nur Raiffeisen-Genossenschaftler. Er besitzt auch 50 Prozent des Öko-Putenfleisch-Produzenten Grüne Wiese. Und: Römann ist Beirat bei der R&V-Versicherung. Innerhalb des Gutachtens war bei der Bundesanstalt für Fleischforschung (Baff) eine Probe in Auftrag gegeben worden, die positiv war. Gemeldet hat das niemand.
Der stellvertretende Vorsitzende der Fördergesellschaft der Baff heißt übrigens Manfred Härtl. Man ahnt schon: Das ist ein Nebenjob. Hauptberuflich ist er Chef des Verbandes der deutschen Fleischwirtschaft (BDF). Selbstredend ist der BDF Gesellschafter der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, CMA, und Härtl deshalb – wie Sonnleitner und Nüssel – Mitglied im Aufsichtsrat der CMA.
In Münster ging gestern die Generalversammlung der Raiffeisen-Genossenschaft Nord-West eG über die Bühne. Gerd Sonnleitner sprach: „Künast hat ihr Ministerium und die ihr unterstellten Behörden nicht im Griff.“ Künast hält dagegen: „An solchen alten Strukturen, die sehr stark auf Profit aus sind, scheitern oft Bemühungen, zusammen mit den Bauern etwas Zukunftsfähiges und Transparentes zu organisieren.“
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