: Biobranche vermutet Sabotage
Weiter Suche nach Ursache des Pflanzengifts Nitrofen im Biogetreide und -geflügel. Bundesländer wollen trotzdem Öko-Landbau-Gesetz blockieren. Agöl vor Aus. Osteuropäische Staaten verbieten Einfuhr von bestimmten deutschen Produkten
von NICK REIMER
Das slowenische Gesundheitsamt hat harsch auf die Giftfunde in deutschem Biogeflügel reagiert und gestern alle Hipp-Produkte verboten. Auch die Tschechische Republik verhängte Handelssanktionen: Ab sofort dürfen kein deutsches Geflügel oder Geflügelprodukte eingeführt werden. Das tschechische staatliche Veterinärverwaltung in Prag befristete das Verbot zunächst auf 14 Tage. Bis dahin werde eine Klärung des Falles von deutscher Seite erwartet.
Gestern jedenfalls klärte sich nichts Wesentliches. Beim Fischen im Trüben beteiligt sich nun auch die Stiftung Ökologie und Landbau (SÖL). Mit Verweis auf die „unwahrscheinlich hohe Konzentration“ des Nitrofens schließt die SÖL Sabotage als Ursache nicht aus. „Der Grenzwert ist um das 60fache überschritten. Da kann man eine zufällige Verunreinigung in einem Lager nahezu ausschließen“, so SÖL-Vorstand Uli Zerger. Stefan Palme, der agrarpolitische Sprecher mehrerer in Berlin-Brandenburg vertretenen Bioanbauverbände, spricht sogar von einem „Anschlag gegen die Bioszene“.
Vielleicht fallen derlei resolute Töne bei den Anbauverbänden, weil die Branche selbst mit Versäumnisvorwürfen konfrontiert ist. Der Öko-Anbauverband „Naturland“ hatte schon Anfang April Kenntnis über Nitrofen-verseuchte Produkte, diese aber nicht weitergegeben. „Wir sind auf den Skandal nach einem Tipp des Anbauverbandes Bioland aufmerksam geworden“, sagt Verbraucherschutzministerin Reante Künast. Damit widerspricht sie der Darstellung von Gerald Herrmann, dem Naturlandgeschäftsführer, der die erste Information an Künast für sich reklamiert. Bioland-Geschäftsführer Thomas Dosch nennt die Informationspolitik seines Kollegen „unglücklich bis ungeschickt“. Die Branche dürfe sich jetzt aber nicht auseinander dividieren lassen. So viel nämlich steht für Dosch fest: „Den Ökobauern selbst, also den Erzeugern, kann überhaupt kein Vorwurf gemacht werden. Im vorgelagerten Bereich wurde offensichtlich kriminell gehandelt.“
Genau dieses Auseinanderdividieren passierte aber gestern. Die Gäa, drittgrößtes Mitglied des Branchenverbandes Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau (Agöl), erklärte gestern ihren Austritt. Was quasi das Ende der Agöl bedeutet: Gottfried Marth, Geschäftsführer des zweitgrößten deutschen Öko-Anbauverbandes Biopark: „Dadurch macht die Agöl keinen Sinn mehr.“ Allerdings sei ein starker Branchenverband wichtig. Marth: „Deshalb geht es jetzt darum, ein neues Dachgremium zu schaffen.“ Die wichtigste Lehre, die Marth aus dem Skandal zieht: Wir müssen uns wieder stärker auf eigene, geschlossene Produktionskreisläufe besinnen“. Überall dort, wo dies nicht möglich sei, müssten stärkere Eigen- und staatliche Kontrollen „das Risiko absolut minimieren“.
Einen Schritt in diese Richtung könnte heute der Bundesrat mit dem dort zur Abstimmung stehenden Ökolandbaugesetz tun. Es soll die Strafen verschärfen und private Labors zur Meldung von Unstimmigkeiten zwingen. Im Vorfeld machten die unionsgeführten Länder allerdings klar, dass sie Künasts Gesetzesentwurf scheitern lassen würden. Nicht nur das. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz erklärte, die Sondersitzung des Agrarausschusses hätte gezeigt, dass Künast „versagt hat“. Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrich Heinrich, forderte gar Künast Rücktritt. „Dumm, dreist, verantwortungslos“ nannte Katrin Göring-Eckardt, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, diese Forderung.
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