: Was ein Schuh kostet
Ngadinah fertigt Turnschuhe in Indonesien. Wollte sie hier ein Paar kaufen, müsste sie dafür einen Monatslohn hinlegen
aus Köln ANETT KELLER
Zunächst sieht es wie ein ganz normaler Einkaufsbummel aus. Drei Frauen, zwei Deutsche und eine Asiatin mit Kopftuch vorm Regal eines Schuhgeschäftes in der belebten Kölner Innenstadt. Ngadinah nimmt einen Turnschuh in ihre schlanken braunen Hände. Weißes Leder, drei blaue Streifen. „Das Modell kenn’ ich“, sagt sie.
Die 30-jährige Ngadinah ist Fachfrau. Als Arbeiterin einer Fabrik nahe der indonesischen Hauptstadt Jakarta näht sie seit 15 Jahren Schuhe zusammen, ihre Firma ist Zulieferer von adidas. Die Deutschlandreise ist Ngadinahs erster Auslandsaufenthalt, und sie ist nicht zum Urlaubmachen hier. Sie soll von ihrer Arbeit berichten, uns, die wir als Konsumenten am anderen Ende der Produktionskette stehen.
Mehr als ein Dutzend Mal wird sie Journalisten heute ihre Geschichte erzählen. Wie sie verhaftet wurde, weil sie tat, was hier, im Heimatland von adidas, normal ist: einer Gewerkschaft angehören, Versammlungen abhalten, für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Ngadinah ist eine von mehreren Näherinnen aus Ländern des Südens, die zum Kongress der Clean Clothes Campaign (CCC) an diesem Wochenende eingeladen wurden. In der Kölner Sporthochschule berichteten die Frauen aus Sportswear-Zulieferbetrieben von Indonesien bis El Salvador.
Die CCC besteht seit über zehn Jahren in zehn europäischen Ländern. Die Kampagne, ein Zusammenschluss aus Kirchengruppen, Verbraucherinitiativen und Gewerkschaften, will sozialere Mindeststandards für die ArbeiterInnen durchsetzen. Der „Fit for Fair“-Kongress soll erstmalig alle Beteiligten zusammenführen. Deshalb sitzen neben Ngadinah und einer CCC-Vertreterin auch William Anderson, beim adidas-Konzern für Umwelt und Soziales in Asien zuständig, und André Gorgemans vom Weltverband der Sportartikelindustrie auf dem Podium.
„Aber wir haben ja einen Standard“, verteidigt Anderson seinen Konzern. Man habe sich dem Standard der Fair Labour Assoziation (FLA) angeschlossen. Auch Gorgemans bemüht sich, zu versichern, das sei „ein Kodex, mit dem jeder leben könne“. Richtig ist, dass dieser Kodex sich am Standard der International Labour Organization (ILO) orientiert, und das sei schon mal ein Fortschritt, sagt auch die CCC. Problematisch sei aber das Festhalten an gesetzlichen Mindestlöhnen der Herstellerländer, die zwar gerade so zum Überleben, aber nicht darüber hinaus reichten. Absolut inakzeptabel sei außerdem die mangelnde Kontrolle. Die CCC hat deshalb 1998 eigene Richtlinien entwickelt, die die Verpflichtung zur unabhängigen Kontrolle einschließen.
Die Kampagne kritisiert außerdem, dass die Kosten für die Umsetzung der Standards von den großen Konzernen meist einfach an ihre Zulieferer weitergegeben würden. Die FLA-Richtlinien schrieben zwar vor, dass Arbeitsbedingungen zu verbessern seien, aber nicht, wer die Kosten dafür zu tragen habe.
Im Frühjahr 2001, während eines Gewerkschaftskongresses, sprach die Indonesierin Ngadinah in einem Fernsehinterview über die Missstände in ihrer Fabrik. Kurz darauf wurde sie verhaftet. Die Begründung: Störung der öffentlichen Ordnung. Nach zwei Wochen wurde die Haftstrafe in Hausarrest umgewandelt. Bis August sollte es dauern, bis Ngadinah sich wieder völlig frei bewegen konnte. NGOs und schließlich auch adidas selbst hatten sich für die Aktivistin eingesetzt.
Timothy Connor hat im Auftrag der NGO „oxfam“ eine Studie über Arbeitsbedingungen bei indonesischen Nike- und adidas-Zulieferern erstellt und dabei auch Ngadinahs Fabrik untersucht. Sein Fazit: Die Arbeiter leben in extremer Armut. Mütter sind oft gezwungen, ihre Kinder weit weg bei Verwandten unterzubringen, weil die staatlich festgeschriebenen Mindestlöhne zum Überleben nicht reichen. Überstunden sind deshalb der Normalfall.
Connor bestätigt, dass der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen eine Gratwanderung ist, weil die Arbeiter sehr wohl wüssten, wie schnell Fabriken geschlossen würden. Billige Arbeit gibt es genug – wird der Arbeiterschutz zu teuer, ziehen Konzerne weiter. Anderson von adidas begründet die Schließung von Fabriken genau andersherum: Dies sei die letzte Sanktionsmöglichkeit, die dem Konzern bleibe, wenn er feststelle, dass die Standards bei den Zulieferern nicht eingehalten würden. Wie ernst es die Global Player mit diesen Standards aber wirklich nehmen, zeigt sich schon daran, dass die meisten Sportschuhe in China gefertigt werden, wo es überhaupt keine freien Gewerkschaften gibt.
Adidas wird in drei Wochen die deutsche Fußballmannschaft mit dem WM-Schuh ausstatten, dessen Modell auch in Ngadinahs Fabrik genäht wird. Von einem Paar Schuhe, das 100 Euro kostet, werden in der Dritten Welt etwa 0,4 Euro in Arbeitslöhne investiert. Ein Drittel des Kaufpreises, also runde 30 Euro, fließt dagegen in die Werbung. Eine Kongressteilnehmerin fragt Anderson „ganz naiv“, warum man von diesem Betrag nicht ein halbes Prozentchen abknapsen könne, dann würde es so vielen Arbeitern in der Dritten Welt besser gehen. Der Manager antwortet: „Das sind zwei Welten. Die Werbung passiert hier, die Arbeit in der Dritten Welt.“
Es sind wahrlich zwei Welten, die sich hier auf dem Kongress treffen. Ngadinah hat sich im Schuhladen davon überzeugt, dass der Preis, den deutsche Konsumenten für ein einziges Paar Schuhe ausgeben, ihren Monatslohn bei weitem übersteigt. Doch da Indonesier höfliche Menschen sind, wird sie nicht wütend, sondern sagt nur leise, sie wisse auch nicht, wer daran schuld sei, die Regierung oder ihre Arbeitgeber.
Die Werbung der Konzerne richtet sich an die Konsumenten. Und genau die will auch der Kongress ansprechen. Gerade zur Fußball-WM wolle man einmal zusammenfassen, wie es um die Erfüllung der Sozialstandards stehe. Bislang hat kein deutscher Konzern den Verhaltenskodex der CCC mit der Einwilligung zum unabhängigen Monitoring unterzeichnet.
Ein Beispiel aus New York zeigt, wie sich Konsumentenbewusstsein auch ändern kann. Nachdem ein Sozialarbeiter ein paar Bronx-Kids aufklärte, wie es um die Herkunft ihrer Nikes bestellt war, machten diese mobil. Etwa 200 Elf- bis Dreizehnjährige zogen vor den Erlebnissupermarkt „Nike Town“ und schütteten dort ihre alten Sportschuhe aus. Ihr Slogan: „Nike, wir haben dich gemacht. Wir können dich auch vernichten.“
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