kommentar: Triumph der Angst nach dem Triumph des Faschisten
Le Pen wird weiter im Hintergrund lauern
Die Wiederwahl des schwächsten und umstrittensten Präsidenten der V. Republik zu einer neuerlichen Amtszeit im Élysée-Palast ist keine gute Nachricht. Jacques Chiracs Sieg ist das Ergebnis einer Wahl, bei der die Wähler keine Wahl hatten. Er ist ein Sieg des kleineren Übels, ein Triumph der Angst – in einem Moment allergrößter Gefahr für die französische Republik.
Sein Wahlsieg mag auf den ersten Blick überwältigend aussehen – eine Entwarnung ist er nicht. Die Rechtsextremen sind in Frankreich zu einer zentralen politischen Kraft geworden. Sie steigen seit zwei Jahrzehnten – nur von konjunkturellen Rückgängen unterbrochen – unaufhörlich in der Wählergunst. Sie haben kulturelle, nachbarschaftliche und gewerkschaftliche Netze aufgebaut, das kollektive Bewusstsein erobert und – zuletzt mit der Teilnahme von Jean-Marie Le Pen an der gestriegen Stichwahl – ihre Ideen popularisiert. Von einer Protestwahl kann keine Rede sein. Die Front National wird künftig mehr Einfluss ausüben. Schon bei den Parlamentswahlen im Juni können ihre Kandidaten in mehr als 100 Wahlkreisen Zünglein an der Waage spielen. Dann werden lokale Wahlen folgen.
Mit moralischen Appellen und Entrüstung lässt sich der Vormarsch von Le Pen langfristig nicht aufhalten. Denn seine Stärke ist die Schwäche der anderen. Bevor er seine hasserfüllten Antworten gibt, spricht er Fragen an, die viele Franzosen bewegen. Die Republikaner haben es einem rassistischen Demagogen überlassen, der selbst vor Anspielungen auf das NS-Regime nicht zurückschreckt, die Ängste ihrer Landsleute vor der Arbeitslosigkeit, den Folgen der Globalisierung und dem Verlust von Souveränität an die EU zu bündeln.
Solange die französischen Republikaner es nicht schaffen, diese Kapitulation der Politik vor der Wirtschaft umzukehren, haben sie nicht gegen den Rechtsextemismus gesiegt. So lange sie sich vor diesen zentralen Fragen der Politik drücken, wird Le Pen im Hintergrund lauern. So lange wird der gestrige Sieg der Republik ein Erfolg der Angst bleiben. Einer, der nicht von Dauer sein wird.
DOROTHEA HAHN
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