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Vaterländischer Religionskrieg

Russische Nationalisten und orthodoxe Kirche wollen am Sonntag landesweit gegen den Katholizismus protestieren. Katholiken in Russland werden zunehmend schikaniert

MOSKAU taz ■ Von Kaliningrad bis Wladiwostok soll am Sonntag die Protestwelle vor katholischen Gotteshäusern reichen, zu der kremlnahe Patrioten und Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche aufgerufen haben. Anlass für die seit Monaten wachsenden Unstimmigkeiten war zunächst die Umwandlung apostolischer Vertretungen der katholischen Kirchen zu ordentlichen Episkopaten in Russland, was von russischen Nationalisten als aggressiver Akt des Westens gedeutet wird. Nach der Errichtung US-amerikanischer Militärbasen an Russlands Grenzen sei dies ein weiteres Indiz dafür, wie der Westen unter dem Deckmatel der Anti-Terror-Allianz den Druck auf Moskau erhöhe, sagte Gennadi Raikow, Vorsitzende der Vaterlandspartei und Mitinitiator des Protestes. Die Orthodoxie unterhält selbst seit langem in westeuropäischen Ländern Bischofsämter.

Der Grund, warum sich die Kirchenoberen diesem Protest anschließen, dürfte indes noch ein anderer sein: Die orthodoxe Kirche fürchtet die Konkurrenz anderer Glaubensrichtungen. Zehn Jahre nach dem Niedergang des Kommunismus hat sie an Attraktivität in der Bevölkerung verloren. Denn Seelenheil und Wohlergehen der Gläubigen sind orthodoxen Würdentragern eher einerlei. Arme, Alte und Kranke werden in Russland von Ausländern betreut, wenn überhaupt.

Die Orthodoxie bemüht sich stattdessen um eine möglichst enge Bindung an die weltliche Macht. Obgleich die russische Verfassung Religionsfreiheit garantiert, versucht das Moskauer Patriarchat, seinen Glauben als eigentliche Staatsreligion zu präsentieren. Die russisch-orthodoxe Kirche versteht sich als Wehrgemeinschaft. Wichtiger als christlich seelsorgerisches Tun im Innern ist die Abgrenzung gegenüber vermeintlichen Feinden.

Dabei kann sich der Klerus auf die stille Duldung des Kreml stützen. Inzwischen erinnern die unversöhnlichen Maßnahmen, die Staat und Patriarchat ergreifen, an mittelalterlichen Kirchenstreit. Vor zwei Wochen riss die Grenzpolizei das russische Visum aus dem Pass des katholischen Priesters Stefano Caprio, als der das Land verlassen wollte. Er stehe auf einer schwarzen Liste, teilten ihm Beamte mit. Kurz zuvor war der polnische Bischof Jerzy Mazur, der in Sibirien der flächenmäßig größten Diözese der Welt vorsteht, an der Wiedereinreise nach Russland gehindert worden. Diese Woche wurde der Franziskaner Damian Stepien, auch er ein Pole, von der Polizei beim Verlassen einer Kirche überpräft. „Als die Polizei erfuhr, dass ich auf Einladung der katholischen Kirche hier bin“, so der Geistliche, „stach der Polizist ein Loch in das Foto und warf den Pass in die Mülltonne.“

Proteste aus Warschau wiegelte das russische Außenministerium ab: Grundlage der Entscheidungen seien ernsthafte Beschwerden über das Vorgehen des Heiligen Stuhls in Russland. Was konkret für Verstimmung sorgte, wurde nicht verraten. Einen Streitpunkt hatte Rom zumindest ausgeräumt: Die Kurilen und Sachalin führte es noch unter ihrem japanischen Namen aus der Zeit vor der Annexion durch die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, als „Präfektur Karafuto“. Das wurde nun geändert.

Der russische Patriarch Alexej II. macht kein Hehl aus seinen Vorbehalten: Der Katholizismus sei eine westliche Religion, demgegenüber müsse Moskau an seiner Überlieferung festhalten. Die Orthodoxie wird also nicht nur als Synonym für die russische Nation verwendet, sie zwingt deren Mitglieder auch unter das Joch eines Kollektivglaubens. Wer sich für eine andere Konfession entscheidet, verlässt die Gemeinschaft. Für Individualisten hat die russische Orthodoxie keinen Platz. So gebärdet sie sich als eine der letzten Bastionen des sowjetischen Kommunismus.

KLAUS-HELGE DONATH

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