: Seitenhiebe gegen Russlands Regierung
In seinem Bericht zur Lage der Nation wirft Präsident Putin seinem Premier wirtschaftspolitische Konzeptlosigkeit vor
MOSKAU taz ■ Jedes Jahr im Frühling legt der russische Präsident beiden Kammern der Duma einen Bericht zur Lage der Nation vor. Selten enthalten Ausblick und Rechenschaftsbericht etwas wirklich Spektakuläres. Das mag auch der Grund sein, warum diesmal mit dem Inhalt der Präsidialadresse besondere Geheimnistuerei betrieben wurde.
Der Effekt blieb nicht aus. Kaum hatte Wladimir Putin die einstündige Rede im Kreml beendet, schnellten die meisten russischen Aktienkurse nach oben. Die Investoren waren beruhigt. Putins Rede bot keinen Anlass zur Beunruhigung. Sein Fazit: Einiges habe sich verbessert, Grund zur Zufriedenheit gebe es nicht. Die günstige wirtschaftliche Konjunktur im Vorjahr habe noch nicht die Lebensbedingungen eines Großteils der Bevölkerung verbessert.
Verhaltene Kritik übte der Kremlchef an der Regierung Michail Kasjanows, die keine Anstalten gemacht hätte, dem seit Jahresbeginn abgeschwächten Wachstumskurs mit einem neuen Konzept zu begegnen. Putins Unzufriedenheit mit dem Kabinett ist seit längerem bekannt. Nur schien diese Kritik etwas ungerecht. So als müsse der Kreml, der seit Putins Herrschaft eine Atmosphäre der Harmonieseligkeit gefördert, Entwicklungsimpulse neutralisiert und Russland langsam eingeschläfert hat, nun künstlich für Gegensätze sorgen. Außerdem können auch negative Bewertungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Russland der Präsident die Rahmenrichtlinien der Politik vorgibt.
Putin hat die Regierung zu einem technokratischen Vollstreckungsorgan degradiert. Die Außenpolitik folge einem pragmatischen Kurs, rechtfertigte Putin seinen Schulterschluss mit dem Westen. Dazu hätte es keine Alternative gegeben. Russlands nationales Interesse bestehe in einer langfristigen und vollwertigen Integration in die internationale Gemeinschaft und Weltwirtschaft. Voraussetzung sei die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Wirtschaft. Den Forderungen nach Protektion und einem Aufschub des Eintritts in die Welthandelsorganisation erteilte er damit eine deutliche Abfuhr.
Zumindest in der Wirtschaft lässt Putins Politik den Willen zu Reformen erkennen. Gesellschaftspolitisch stehen die Dinge anders. Über Tschetschenien verlor er nur wenige Worte. Die militärische Phase sei abgeschlossen, meinte Putin ausgerechnet an einem Tag, als in der nahe Grosny ein blutiger Gewaltakt mindestens 13 Menschen das Leben kostete. Seit zwei Jahren lässt der Kreml regelmäßig das Kriegsende verkünden. Dennoch widmete sich Putin auch dem Umbau der Armee als einem zentralen Reformvorhaben. Man werde dabei jedoch nichts überstürzen. KLAUS-HELGE DONATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen