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Blühende Landschaften im Osten

aus Dschalalabad SVEN HANSEN

Kurz hinter dem Stadtrand von Dschalalabad grüßt ein Schild in blauer UNO-Farbe: „Willkommen in einem drogenfreien Afghanistan“. Schon nach wenigen Kilometern ist das Gegenteil der Fall. Zuerst versteckt zwischen Weizenfeldern, dann immer offener und schließlich fast überall sind hier die Felder mit Schlafmohn zu sehen, aus dessen Kapseln Opium und daraus dann Heroin gewonnen wird. Von Afghanistan aus werden hauptsächlich die Drogenmärkte in Europa beliefert. Gesät wurde der Schlafmohn im November und Dezember, also während und unmittelbar nach Vertreibung der Taliban, geerntet wird hier im April und Mai. Jetzt jäten die Bauern das Unkraut zwischen den zurzeit etwa löwenzahngroßen Mohnpflanzen.

„Opium bauen wir hier schon seit den 70er-Jahren an“, sagt Achmad, während er den Ghettoblaster leise stellt, der ihn vom Feldrand aus bei der Arbeit mit Musik unterhält. Die ostafghanische Grenzprovinz Nangarhar mit der Hauptstadt Dschalalabad war einst bekannt für ihre Zitrusfrüchte. Heute ist sie, nach dem südlichen Helmand, die zweitgröße Drogenprovinz des Landes und produziert etwa ein Viertel des afghanischen Opiums.

Anbau verboten, Handel nicht

Aus Afghanistan kamen 70 Prozent der Weltopiumproduktion, bis die Taliban vor eineinhalb Jahren ein Anbauverbot für Schlafmohn durchsetzten. Damit versuchten sie vergeblich ihre internationale Anerkennung zu erreichen. Nach Angaben des Internationalen Drogenkontrollprogramms der UNO (UNDCP) ging die afghanische Opiumproduktion 2001 trotz der Ausweitung des Anbaus in den Gebieten der Nordallianz um 91 Prozent zurück. Doch das Verbot betraf nur den Anbau, während der Drogenhandel nicht beschnitten wurde. Der ging nach den Rekordernten in den Jahren 1999 und 2000, als landesweit 3.300 und 4.600 Tonnen Opium produziert wurden, ungehindert weiter.

„Wer hier in der Gegend Macht hatte, durfte auch im letzten Jahr der Taliban noch anbauen“, sagt Achmad. „Manche kamen auch nur mit einer Strafe davon, doch den meisten wurde es wirklich verboten.“ Im letzten Jahr vor dem Verbot produzierte der 24-jährige Achmad auf seinem etwa einen Fünftel Hektar großen Feld 11 Kilo Rohopium. Dafür bekam er damals 15.000 pakistanische Rupien, etwa 300 Euro. Heute baut seine Familie auf ihren insgesamt fünf Hektar beim Dorf Daulatzi im Chaparhar-Distrikt wieder überwiegend Schlafmohn an. „Hier pflanzen das jetzt alle, die das schon früher gemacht haben“, sagt Achmad. Die Bauern würden jetzt durch den hohen Opiumpreis bestärkt, der nach dem Verbot auf bis zu 680 Euro pro Kilo anstieg.

Freundlich, offen und entspannt

Während des Gesprächs sind Achmad und die inzwischen dazugestoßenen Bauern so freundlich, offen und entspannt, als sei es die gewöhnlichste Beschäftigung der Welt, Opium zu produzieren. „Unser Problem ist das Wasser, das hier sehr knapp ist“, sagt Achmad. „Wenn wir Weizen anbauen, müssen wir siebenmal bewässern, bei Opium nur zweimal. Und für Opium bekommen wir zehn- bis zwanzigmal mehr als für Weizen.“

Von Programmen der UNO und anderer Organisationen, Schlafmohn durch die Kultivierung anderer Pflanzen zu ersetzen, will Achmad nichts gehört haben. Auch nicht davon, dass die Interimsregierung von Hamid Karsai den Anbau von Schlafmohn am 17. Januar offiziell verboten hat. Zumindest hat sie es hier nicht durchgesetzt. Das hätte die Regierung wohl auch noch weiter geschwächt. „Wir brauchen Bewässerung und Jobs“, sagt Achmad, der durchaus gewillt scheint, bei entsprechenden Angeboten auf den Drogenanbau zu verzichten. „Die Hilfe sollte aber nicht an die Regierung fließen, sondern direkt an uns Bauern.“

Zwei Kilometer weiter berichtet der Bauer Kharim, sein ganzes Dorf lebe vom Opiumanbau. „Als die Taliban mit ihren Soldaten herkamen und uns den Opiumanbau verboten, haben unsere Dorfältesten protestiert. Doch die Taliban haben einfach die Felder mit Traktoren umgepflügt“, berichtet der 35-Jährige. „Jede Familie hat dabei viel Geld verloren, jetzt sind wir mit mehreren 100.000 Rupien verschuldet.“

Nach dem Sturz der Taliban kehrten in Nangarhar die Warlords an die Macht zurück, die schon früher in den Drogenhandel und andere Schmuggelgeschäfte verwickelt waren. Regierungschef Karsai ist auf diese Warlords angewiesen, um in den Provinzen überhaupt etwas Macht zu haben. Doch da deren Kämpfer, die auch Polizei und Militär genannt werden, noch immer kein regelmäßiges Gehalt bekommen, sind sie ohnehin auf Nebengeschäfte angewiesen.

„Das Opium wird von hier nach Pakistan geschmuggelt“, sagt Kharim. Er zeigt dabei auf die schneebedeckten Gipfel am Horizont, die Afghanistan vom Nachbarland trennen. Die Händler seien Pakistaner, die würden schon im voraus auf die Ernte Kredit geben und das Opium dann in ihrem Land zu Heroin verarbeiten. Kharim meint, wolle man etwas gegen den Drogenanbau unternehmen, sollte man im 30 Kilometer entfernten Tora Bora, wo Ussama Bin Laden einst eine Bergfestung in Höhlen bauen ließ, einen Staudamm errichten. „Dann hätten wir Wasser und auch elektrischen Strom. Mit dem Wasser könnten wir dann Kartoffeln und Zuckerrohr anbauen.“

„Das schicken wir zu Ihnen!“

Im nächsten Dorf, Gauda Chisma, berichtet der 70-jährige Hafizullah, dass er vor dem Verbot zuletzt 35 Kilogramm Opium produziert habe. Im Dorf hätten die Taliban die Mohnfelder abgebrannt, die Bauern aber wenigstens zum Teil entschädigt. Bei der Durchsetzung des Verbots habe auch die Dürre geholfen. Doch beides sei jetzt zum Glück vorbei. Mit dem Mohnanbau sei hier schon begonnen worden, als die US-Luftwaffe noch die benachbarte Taliban-Kaserne bombardierte. „In diesem Jahr erwarte ich eine Ernte von 25 bis 30 Kilogramm Opium“, sagt Hafizullah, der nicht einmal Schuhe trägt.

Das Opium sei einfach anzubauen und einfach zu verkaufen, es sei geradezu ideal, meint er. Ja, er wisse um die negativen Folgen, deshalb rauche hier auch niemand das Opium selbst. „Das schicken wir doch zu Ihnen“, sagt ein anderer Bauer aus der inzwischen zusammengeströmten Menge, die herzlich lacht. Ein Mann erklärt mit ernster Miene: „Wenn wir heiraten wollen, bleibt uns gar nicht anderes übrig, als Opium zu produzieren. Denn ohne Opium-Einnahmen können wird den hohen Brautpreis gar nicht bezahlen.“ Der betrage rund 30.000 Euro. Einige sagen, von der UNO sei noch niemand dagewesen, andere erinnern sich dunkel an einen Besucher vor zwei Jahren. Hilfe sei ihnen aber nicht angeboten worden, und Kredite bekämen sie auch nur von den Opiumhändlern.

Die in der vergangenen Woche veröffentlichte UNDCP-Prognose für Afghanistan, die auf Untersuchungen in 208 Dörfern aus fünf afghanischen Provinzen basiert, sagt für dieses Jahr eine Opiumproduktion von 1.900 bis 2.700 Tonnen auf 45.000 bis 65.000 Hektar voraus. Das entspricht etwa dem Niveau von Mitte der 90er-Jahre. „Die Schlafmohnproduktion in Afghanistan ist damit wieder auf einem relativ hohen Niveau“, so UNDCP. In einigen Dörfern sei bis zu 70 Prozent der Anbaufläche mit Schlafmohn bepflanzt.

„Kommen Sie im April wieder“, sagt zum Abschied einer der freundlichen Opiumbauern. „Dann blüht hier der Mohn purpurrot, und die ganze Gegend sieht wunderschön aus.“

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