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Ein Mord und zwei Enzian

Als Michael Verhoeven Vietnam nach Bayern verlegte, sprengte er die Berlinale (Vox, 0.15 Uhr)

von JAN-RÜDIGER VOGLER

Das verehrte TV-Publikum möge heute Nacht die Augen offen halten, um einem mörderischen Drama beizuwohnen, das sich zur Groteske entwickelte, die Komik und Tragik vereinte, Intrigen und Solidarität gebar sowie Skandale auf und vor der Leinwand offenbarte. Vorhang auf!

November 1966, Vietnam. Amerikanische Soldaten nehmen ein Mädchen gefangen, vergewaltigen es, töten es. Ein Soldat, der sich dem Verbrechen verweigert hat, will seine Kameraden vor Gericht bringen, wird von seinen Vorgesetzten jedoch als Verräter gebrandmarkt. Die Täter werden zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, deren Umfang aber in weiteren Prozessen so reduziert wird, dass sie in die Armee zurückkehren können.

1989 setzte Regisseur Brian De Palma dieses authentische Ereignis mit Michael J. Fox und Sean Penn in Szene. Der Hollywoodfilm „Die Verdammten des Krieges“ wurde ein kommerzieller Erfolg. Bereits zwanzig Jahre zuvor hatte Michael Verhoeven das gleiche Ereignis inszeniert. „O. K.“ heißt das Werk, mit dem er zwar kein Geld machte, jedoch den größten Skandal in der Geschichte der Internationalen Filmfestspiele zu Berlin auslöste. Die Jury der Berlinale geriet in Streit ob des vermeintlich „antiamerikanischen“ Werks, das als offizieller deutscher Beitrag im Wettbewerb war. Mitglieder der Jury verließen erbost die Vorführung, forderten den Ausschluss anderer Juroren oder legten ihr Mandat nieder. Der Jurypräsident versuchte den Ausschluss des Films durchzusetzen, die Festspielleiter belogen Publikum und Presse.

Verhoeven und sein Produzent Rob Houwer heizten in eilig einberufenen Pressekonferenzen den nicht ungelegen kommenden Skandal an, der Zoo-Palast, das Berliner Premierenkino, wurde besetzt, andere Regisseure zogen ihre Filme zurück. Schließlich löste sich die Jury auf: Die 20. Berlinale 1970 ging ohne Preisvergabe zu Ende.

Wie konnte der gleiche Stoff so unterschiedliche Reaktionen hervorrufen? Ein Grund: Während De Palmas Werk ein Nachschlag auf eine Reihe von Vietnamfilmen war, verteidigten die US-Boys Anfang der 70er noch die westlichen Werte im Dschungel des Klassenfeindes. Ein zweiter: Ein internationales Festival – zumal in der Trutzburg Berlin zur Zeit des Kalten Krieges – ist ein dankbares Forum für einen Film, der sich mit Ereignissen in einem heißen Krieg beschäftigt. Doch vor allem ist es seine künstlerische Form, die das deutsche Werk zum roten Tuch für schwarze Moralhüter machte.

Verfremdung und Nähe

Denn Verhoeven, dem Kritiker damals paradoxerweise vorwarfen, kommerzielle Filme zu drehen, bediente sich in „O. K.“ des künstlerischen Mittels der Verfremdung, um sein antimilitaristisches Anliegen vorzutragen. Er verlegte die Handlung in ein süddeutsches Waldstück, in dem mit US-Uniformen bekleidete Darsteller in deftigem bayerischen Dialekt das Verbrechen aus Vietnam nachspielten. So brachte er das ferne Geschehen dem deutschen Publikum nahe.

Junge ungediente Männer namens Friedrich von Thun, Hartmut Becker, Wolfgang Fischer und Ewald Prechtl stellen sich zu Beginn des Filmes als Schauspieler vor, ehe sie in die Rolle von gelangweilten Soldaten schlüpfen und die Vergewaltigung und Erschießung einer jungen Frau betreiben, die in Gestalt der damals 16-jährigen Realschülerin Eva Mattes dahergeradelt kommt. Als der von Gustl Bayrhammer dargestellte Captain davon erfährt, urteilt dieser nach dem Genuss zweier Gläser voll flüssigen Enzians: „Der Mord ist außerhalb der Zivilisation geschehen, nämlich auf dem Schlachtfeld“, und eine Strafanzeige würde der Sache des Friedens schaden.

Sicher kann der Film als selbstgerechtes Agitationsstück von Gutmenschen abgetan werden. Dann: gute Nacht! Wer jedoch wach bleibt, mag erkennen, welche Kraft in der unkonventionellen, keineswegs öden Erzählstruktur steckt. Wahrscheinlich läuft das Werk heute unter weitgehendem Ausschluss jener Öffentlichkeit, die Krieg derzeit als legitimes Mittel der Politik befürwortet. So erhält das Karl-Kraus-Zitat, das ihm als Motto voransteht, einmal mehr aktuelle Bedeutung: „Der Menschheit ist die Kugel bei einem Ohr hinein- und beim anderen hinausgegangen.“ Vorhang zu!

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