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Ausstellung des Unausstellbaren

Lässt sich der Holocaust zu Ansichtszwecken in museale Formen zwängen? Ab heute wagt es das Deutsche Historische Museum. Der Versuch ist zu loben

von PHILIPP GESSLER

Natürlich kann keine Ausstellung dem Menschheitsverbrechen „Holocaust“ gerecht werden. Wie auch? Nicht darstellbar ist das „Unnennbare“, wie Hans Ottomeyer, Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums (DHM), es bezeichnete. Die Ermordung von sechs Millionen Menschen kann nicht auf Stellwänden beschrieben, kann nicht durch noch so anschauliche Exponate illustriert werden. Selbst die Sprache sträubt sich zu beschreiben, was in Gaskammern geschah, nachdem das Zyklon B eingefüllt wurde und Menschen sich im Todeskampf gegenseitig zertrampelten, ehe sie erstickten. Vielleicht können überhaupt nur Autoren die Schoah darstellen – und selbst da: Kann man über Auschwitz ein Gedicht schreiben?

Dennoch: Heute Abend wird eine Ausstellung in Berlin eröffnet, die als Thema die Schoah hat: „Holocaust. Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung“, heißt die Schau im Kronprinzenpalais mitten in der deutschen Haupstadt. Unter den Linden, einen Steinwurf entfernt von Schinkels Neuer Wache, wo vor der vergrößerten Plastik Käthe Kollwitz’ der Toten von „Krieg und Gewaltherrschaft“ gedacht wird. Einen prominenteren, wohl auch symbolträchtigeren Ort wird man an der Spree kaum finden: mittendrin, unübersehbar, störend. So muss es sein. Aber waren nicht schon sehr viele „Holocaust“-Ausstellungen zu besichtigen? Was soll daran originell sein?

Die Überraschung: Tatsächlich gab es seit dem Ende der Nazizeit vor mehr als 55 Jahren nie den Versuch, die Schoah so umfassend zu dokumentieren wie in dieser Ausstellung. Andere Staaten, von Kanada über die USA und Südafrika bis nach Australien haben in den 80er- und 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts „Holocaust“-Museen gebaut. In Deutschland stand die Erhaltung der originalen Schauplätze im Land der Täter im Vordergrund, wie der Direktor der Berliner „Topographie des Terrors“, Reinhard Rürup, sagt. Aber erklärt die Scheu vor einem solchen Museum in Deutschland auch, warum es bisher höchstens kleine Ausstellungen zur Schoah gab? Warum wurde diese Schau jetzt doch gewagt? Warum jetzt?

Der Kurator der Ausstellung, Burkhard Asmuss, vom DHM gibt dafür folgende Begründung: Nach der Welle rechtsradikaler Übergriffe im Sommers 2000 und dem „Aufstand der Anständigen“, der offiziösen Massendemonstration gegen Intoleranz am 9. November des gleichen Jahres am Brandenburger Tor, sei unter Museumsmachern der Hauptstadt die Idee entstanden, dem Thema Schoah eine umfassende Ausstellung zu widmen. Dafür arbeitete das DHM mit der „Topographie“, der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“, dem Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst und der Gedenkstätte des KZ Sachsenhausen zusammen. Auch international fand das Projekt Unterstützung durch die wohl wichtigsten Schoah-Gedenkstätten außerhalb Deutschlands: dem Museum Auschwitz-Birkenau in Polen, Yad Vashem in Israel und dem „Holocaust“-Museum im amerikanischen Washington. Ein Großunternehmen also, pünktlich zum 60. Jahrestag der „Wannseekonferenz“ am 20. Januar 1942.

Spät kommt die Ausstellung – „besser spät als gar nicht“, meint Rürup von der „Topographie“. Die ersten Adressen der Holocaust-Gedenkstätten arbeiten für sie zusammen, der Zeitpunkt ist stimmig. Auch Intention und Impuls, aus dem sie entstand, sind zu begrüßen. Trotz der relativ kurzen Vorbereitungszeit von nur etwa anderthalb Jahren: Kann da noch etwas schief gehen?

Um es vorweg zu nehmen: Trotz der grundsätzlichen Probleme, die Schoah überhaupt museal darzustellen, ist die Ausstellung zumindest nicht gescheitert. Die Schau kommt nicht besonders originell daher, „bewußt lapidar gestaltet“, so beschreibt sie DHM-Chef Ottomeyer zurecht. Etwa 1.200 Exponate von 100 Leihgebern sind klassisch zwischen und an Stellwänden im barocken Prunkbau auf zwei Etagen untergebracht. Während im unteren Stockwerk der Verfolgungs- und Vernichtungsprozess sowie ein wenig seine Vorgeschichte erzählt werden, widmet sich die Etage darüber den „Motiven der Erinnerung“, also dem Umgang mit der Vergangenheit vor allem in Deutschland.

Der zweite Teil ist der neuere Zugang zum Thema Schoah, kann aber nicht so überzeugen wie die Darstellung des Massenmords und seiner Vorbereitung im Stockwerk darunter. Auch wenn wohl einiges an Vorwissen für die Ausstellung vorausgesetzt wird und die doch recht vielen Exponate in Textform gerade für jüngere Besucher der Schau nicht so leicht zugänglich sein werden: die Beschreibung der Verfolgung und Ermordung der Juden Europas wird mit eindrucksvollen Exponaten versucht – und gelingt manches Mal.

Da ist das Florett der Silbermedaillen-Gewinnerin bei der Olympiade 1936 in Berlin, Helene Mayer, die als blonde Halbjüdin starten durfte und bei der Siegerehrung den Nazi- (und angeblich auch olympischen) Gruß zeigte. Zu sehen ist der abgeblätterte Napf eines Auschwitzhäftlings, die Geige eines jungen jüdischen Partisans, eine leere Dose Zyklon B und der Koffer des KZ-Häftlings Else Ury. Viele bekannte Bilder sind im Original zu betrachten, wie etwa spektakuläre Farbfotos aus dem Getto Lodz oder die Aufnahmen Wiener Juden, die nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 gezwungen wurden, zur öffentlichen Belustigung die Straßen der Stadt zu schrubben. Auch die bewegenden Gemälde Felix Nussbaums gehören zu den Höhepunkten der Ausstellung.

Enttäuschend jedoch ist, dass die angestrebte internationale Pespektive der Schoah zu kurz kommt: Die Gedenkstätten Yad Vashem, Auschwitz-Birkenau und das Holocaust-Museum in Washington können sich in einem eigenen Raum vorstellen – erhellend aber ist das für die Besucher kaum. Da spürt man den guten Willen der Ausstellungsmacher, aber gut gewollt ist eben noch lange nicht gut gemacht.

Lohnt sich also eine Reise nach Berlin, um diese Ausstellung zu besuchen? Wer viel Bekanntes, oft Gesehenes und womöglich Vergessenes wiedersehen möchte, und das im Original (etwa 90 Prozent der Exponate sind Originale), dem sei die Fahrt in die Hauptstadt für diese Ausstellung angeraten. Wer Überraschendes, Spektakuläres, gar eine neue Perspektive wie etwa bei der ersten Wehrmachtsausstellung erhofft, wird jedoch enttäuscht sein. Den Machern ist, passend zum Impuls für die Schau, eine „anständige“ Ausstellung gelungen. Solide ist sie, mehr nicht. Aber das Wagnis, etwas darzustellen, was sich einer Darstellung entzieht, bleibt zu loben. Und vielleicht werden Historiker später über diese Schau schreiben, dass mit ihr die Historisierung der Schoah im Land der Täter begann.

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