DREI MONATE AFGHANISTANKRIEG: DIE USA HABEN DIE WARLORDS GESTÄRKT: Gelungenes Outsourcing
Seit drei Monaten führen die USA Krieg in Afghanistan. Aus Kabul haben sich die Taliban vor zwei Monaten zurückgezogen und damit ein Gemetzel in der Hauptstadt verhindert. Doch Afghanistan ist größer als Kabul – auch wenn die europäischen Regierungen, die gerade ihren Militäreinsatz dort vorbereiten, den Eindruck vermitteln möchten, es ginge nur noch darum, einen erfolgreich herbeigebombten Frieden zu verwalten. Das sieht selbst das offizielle Washington anders: Für US-Präsident George W. Bush ist der Afghanistankrieg derzeit in einer „gefährlichen Phase“. Zu Deutsch: Ein Ende ist nicht in Sicht.
Nach wie vor weigert sich die US-Regierung zu definieren, an welchem Punkt sie ihren Auftrag in Afghanistan für beendet betrachtet. Fernsehbilder der Leiche Ussama Bin Ladens würden sicher als großer Erfolg präsentiert. Doch selbst dann wäre aus Sicht der US-Regierung das erklärte Kriegsziel – die Zerstörung oder zumindest Schwächung der al-Qaida und anderer Terrorgruppen – nicht erreicht. Vor allem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld weist immer wieder darauf hin: Die Operation „Dauerhafte Freiheit“ geht weiter, und zwar nicht nur auf den kommenden Schlachtfeldern in Somalia und Irak, sondern auch in Afghanistan.
In seiner Kriegserklärung vor dem US-Kongress, neun Tage nach den Anschlägen vom 11. September, beschrieb Bush die al-Qaida als eine „lose Koalition“ und verglich die Organisation ausdrücklich mit der Mafia. Das ist möglicherweise eine treffende Analyse. Umso mehr muss verwundern, dass Bush dieses dezentral organisierte Gewaltunternehmen durch einen Krieg zerstören will. Niemand würde ernsthaft vorschlagen, die organisierte Kriminalität in Italien durch Luftangriffe auf ihre Hochburgen in Sizilien zu zerschlagen. Noch abwegiger wäre der Plan, die Macht der ehrenwerten Gesellschaft durch finanzielle, materielle und logistische Unterstützung ihrer neapolitanischen Konkurrenten von der Camorra zu schwächen.
In Afghanistan haben die USA aber nicht viel anderes als das getan: Die einen Gewaltunternehmer wurden geschwächt, indem die anderen gestärkt wurden. Ein Unternehmensberater würde diese Strategie wohl als gelungenes Outsourcing beschreiben: Das Pentagon beschränkt sich auf seine Kernkompetenzen Logistik und Bombenkrieg, während Subunternehmern die personalintensiven Aufgaben der Bodenkämpfe übertragen wurden. Die Anmietung lokaler Warlords durch Belieferung mit Waffen, Material und Nahrung war für Washington nicht nur wirtschaftlich günstiger – es überließ auch das Sterben weitgehend den Angestellten der Subunternehmer. Ein eleganter Weg, die Zahl der in amerikanische Flaggen eingehüllten Zinksärge zu vermindern.
Den meisten Warlords, auch den von den Taliban abgeworbenen, geht es jetzt wahrscheinlich besser als vor Beginn der US-Intervention. Sie konnten ihren Fuhrpark erneuern, und ihre leitenden Angestellten haben gerade eine Fortbildung bei dem weltweiten Branchenprimus CIA hinter sich. Anstatt gegen die Entstaatlichung der Gewalt vorzugehen, hat die Kriegsführung der USA bislang eher zum Gegenteil beigetragen: zur Stärkung der privaten Gewaltunternehmer. Was dies für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung außerhalb der Städte bedeutet, wird sich erst noch zeigen. In Kabul und anderen Zentren hat sich die Situation der Menschen verbessert. Wie es der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land geht, wie die erstarkten Warlords dort herrschen – wir wissen es nicht. Ausländische Journalisten und Hilfsorganisation kommen nur unter größten Schwierigkeiten dorthin.
Washington wird derweil seine Kontakte zu lokalen Warlords wohl ausbauen und bei Bedarf unauffällig agierende Spezialeinheiten einsetzen. Lesen und hören werden wir darüber möglicherweise kaum etwas. Und selbst wenn die US-Basis in Kandahar in den nächsten Monaten aufgegeben wird – ihren neuen Stützpunkt in Usbekistan werden die US-Streitkräfte so schnell nicht mehr verlassen. Damit sind die Vereinigten Staaten auf Dauer in Zentralasien militärisch präsent. Nach dem Ausbau der Militärbasen im Mittleren Osten während und nach dem Golfkrieg vor zehn Jahren folgen jetzt Stützpunkte in einer weiteren Ölregion. Das vermindert zwar nicht die Möglichkeit neuer Terroranschläge in den USA oder Europa – dem vorgeblichen Ziel des Krieges wird man so kaum näher kommen. Aber die US-Militärplaner werden sich dennoch über die neuen Außenposten ihres Empire freuen. Das ist ja auch Ergebnis, das sich sehen lässt. ERIC CHAUVISTRÉ
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