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Das große Fräuleinwunder

Netze, Schleier, Luftschlangen und die Verzögerung des Augenaufschlags: Wie keine andere verstand Marlene Dietrich die Abstraktion des Kinos. Von Josef von Sternberg hatte sie gelernt, dass das Eigentliche unabbildbar ist. Zum 100. Geburtstag einer Ikone der latenten Zweideutigkeit

Alles, was für Sternberg das Kino war, ließ sich an ihr zeigen

von FRIEDA GRAFE

Vor einem Jahrhundert wurde sie geboren. Das bringt sie ihrem Publikum erneut näher und erinnert an die Ursprünge ihres Talents – wie ihre Eigenart geformt wurde von einer Stadt, die damals die Filmemacher, Kameraleute inbegriffen, in Scharen anlockte. Dahin wollte sie zurück, als Tote, an die Seite ihrer Mutter nach Berlin-Friedenau. Sie ließ sich nicht anbeten, sich selbst kein Mythos, sie wollte auch leben. Der Wunsch, beides miteinander zu verbinden, das Bild und die Realität, brachte ihr die bittersten Enttäuschungen. Der Film „Martin Roumagnac“, den sie mit ihrem geliebten Jean Gabin drehte, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, war ein Desaster und führte sie zu der Einsicht, dass die Namen zweier Stars noch keinen Filmerfolg garantierten. Schon gar nicht in Amerika, das an seine Zahlen, an seine Dimensionen sie gewöhnt hatte.

Das Porträt, das man von ihr machen kann, kommt ihr am nächsten, wenn man es indirekt angeht, über die Person ihres Entdeckers Josef von Sternberg. Der sagte, dass alles, was später ihren Ruhm und ihren Ruf ausmachte, schon vorhanden war, als er sie zum ersten Mal auf einer Berliner Theaterbühne sah. Mit Hilfe des Kinos, der Kamera, wie nur er sie zu handhaben wusste, entwarf er die Figur, ein Zeitbild. Jannings, den er erfolgreich in dem Stummfilm „The Last Command“ geführt hatte, holte Sternberg nach Berlin. Und das Küken stahl ihm die Schau.

Sie war wissbegierig und begriff unter Sternbergs Anleitung, wie das damals neue Medium beschaffen war und wozu fähig, wie es demjenigen dankt, der sich ihm – er im Unterschied zu ihr – ganz und gar verschreibt. Alles, was für ihn das Kino war, ließ an ihr sich zeigen. In den freizügigen Dreißigerjahren machte selbst Hollywood mit. Wie die Fünfziger die amerikanischen Genres konsolidierten, waren in den Dreißigern die Fremden, vor allem die fremden Frauen des Kinos größte Attraktion.

Von der Paramount war Sternberg nach Europa gekommen, auch weil er, in Wien geboren, das Idiom verstand und bei ihm die sich durchsetzende Tonfilmtechnik in guten Händen war. Man einigte sich bei der Ufa, immer mit Jannings, schließlich auf Heinrich Manns erfolgreichen Roman „Professor Unrat“. Mann sah sich verstanden und approbierte Sternbergs Version, während deutsche Kritiker eine Kulturschande darin sahen, dass das tragische Geschick des Professors zweitrangig geworden war über dem Aufstieg der Neuen; sie meinten, das Kino hätte sich an der Literatur vergriffen, während es nur wiedergab, was Heinrich Mann heraufkommen gespürt hatte.

Möglich, dass Marlene Dietrich ihre zweite Karriere, als Diseuse, auch diesen Anfängen verdankt. Viele Hollywoodstars sind, nahe liegend, auf Las Vegas umgestiegen. Marlene Dietrich hat, ihrer Anfänge eingedenk, neu begonnen und daraus ihren Ton, ihren Akzent entwickelt. Dass ihre Distanziertheit auf der Showbühne zuweilen beklagt wurde, gibt nur zu erkennen, dass ihre Kritiker schon bei ihren Filmen nicht genau hingeschaut, jedenfalls sie schlecht verstanden hatten. Was sie von der Kinoszene auf ihre Shows übertrug, war der Anspruch, den sie bei Sternberg kennen gelernt hatte. Die Schleier und Netze und Luftschlangen, mit denen er die Zweidimensionalität der Leinwand markierte, sollten den Zuschauer wissen machen, dass er das Eigentliche, weil unabbildbar, nie zu sehen bekommt. So verstand Sternberg die Abstraktion des Kinos.

Für sie auf der Showbühne waren hauptsächlich seine Methoden hilfreich. Sie transferierte, was sie im Kino gelernt hatte, auf ihre Shows, was Sternberg im Kino mit ihr bewerkstelligte, sein Bild von ihr, auf ihre Auftritte. Sie amplifizierte in ihrem Singen sein Kino und machte es so einem anderen Publikum zugänglich. Sternberg, wie viele Regisseure der beginnenden Tonfilmzeit, ließ seine Lola singen, für die Besucher im Kabarett Der Blaue Engel, für den Professor und für das Kinopublikum. Marlene tat ihr Bestes, wobei ihr Friedrich Hollaender – der auch in den Marlene-Filmen von Billy Wilder nach dem Krieg mit dabei war – am Klavier und als Texter, aber auch die Berliner Luft jener Zeit eine große Hilfe waren.

„Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht,

Wo an der nächsten Ecke schon ein andrer steht.

Man sagt Auf Wiedersehn und denkt sich heimlich bloß:

Nun bin ich endlich wieder ein Verhältnis los.“

Diesen Berliner Gassenhauer sang sie, auf dem Klavier thronend mit baumelnden Beinen. Ihr Vortrag prädestinierte sie für die Lola Lola. Die Doppelung des Vornamens lässt sich verstehen, wenn man dazu bereit ist, als Hinweis auf etwas, das Sternberg in den Sechzigerjahren in Abwandlung des berühmten Satzes von Gustave Flaubert französischen Interviewern sagte: „Marlene, das bin ich.“ Die zweite Lola ist von Sternberg.

Heute sagt man cool, damals in Berlin war man schnodderig, was nicht das Gleiche ist.

Sternberg war beeindruckt von der Frau, die von der Vorspielsituation sich ihre Gelassenheit und ihren Gleichmut nicht rauben ließ. Auf eine solche Kaltblütigkeit, auf eine Attitüde dieser Art war er nicht gefasst – die Erklärung später, in seiner Autobiografie, ist nicht die einzig mögliche und nicht auch einzig richtig. Wer hat da was von wem abgeschaut? Verzögerung ist alles, lernte sie später bei ihm und wandte seinen Rat an auf ihre Gesten, ihre Repliken und ihren Augenaufschlag, der dadurch alles Neckische verlor.

Wo andere Stars nur ihre Großaufnahmen zählten, wusste sie, welches Licht, welche Objektive, welche Einstellungsarten ihrem Gesicht, ihrem Körper vorteilhaft waren. Sie war ein Profi, wiederholen die Regisseure, die mit ihr arbeiteten, meistens mehr verwundert als bewundernd, weil sie gewohnt waren, dass sich die Kameraleute für sie um diese Details kümmerten. Sie braucht nur einen Moment lang in ihrer Aufmerksamkeit auf diese Dinge nachzulassen – man sieht es in „Desire“, wo Frank Borzage die Regie hatte –, dann sieht sie anders aus.

Sternberg hat durch ihre Zuneigung eine Zeitlang seinen Narzissmus in Schach gehalten, was seiner Kunst, seinem Filmverständnis zugute kam. „Was bin Ich schon ohne Dich“, hat er hellsichtig vorausschauend nach „Shanghai Express“ unter ein Foto von sich für Marlene gekritzelt. Nach sieben Filmen, so sah er es, war er fertig mit Marlene („through with her“). Und sie mit ihm – das bezog sich auf seine Person, nicht auf seine Kunst. Die letzten beiden Filme waren, nachdem es zum Streit mit der Paramount gekommen und „Blonde Venus“ in Amerika ein Misserfolg geworden war, nur durch eine Klausel in ihrem Vertrag mit der Paramount entstanden. Unerträglich für ihn, von dem Star, den er gemacht hatte, abzuhängen.

Sie hat seine Kunst immer hochgehalten. Dass sie nach ihm rief, als Rouben Mamoulian 1933 „Song of Songs“ mit ihr drehte, versteht sich nicht so sehr aus ihrer schauspielerischen Unsicherheit als aus der Vorstellung, die ihr Sternberg von der Filmregie vermittelt hatte und die für sie die einzig denkbare war.

Ihr bevorzugter Film mit Sternberg ist der siebte, der letzte, „The Devil is a Woman“ – der reißerische Titel ist von der Paramount, nach Sternbergs Willen sollte er „Spanisches Capriccio“ heißen. Von ihren gemeinsamen Filmen ist er der abstrakteste und kühlste, am weitesten entfernt von dem, was Hollywood und das amerikanische Publikum erwarteten. Masken zu durchschauen, bei aller Hilfe, die das Drehbuch liefert, war ein auf Entertainment eingestelltes Publikum nie gelehrt worden.

Die spanische Regierung bestand für den Schimpf, den der Film ihrem Land angetan hatte, auf seiner Vernichtung und drohte mit dem Boykott aller amerikanischen Filme. Das Studio zerstörte das Negativ; den Kopien, die man heute sehen kann, liegt Sternbergs eigene zugrunde. Marlene, die geglaubt hatte, in amerikanischen Genres spielen zu können, sah bald ein, dass sie in Hollywood als Ausländerin reüssiert hatte und dass, um eine Westernfrau zu spielen, es nicht genügte, das Pianola vom Salon in den Saloon zu schieben.

Es geht seit langem der Streit, wer ihr zur Männerkleidung geraten und ihr die Hosen angezogen hat – als ob das bloß eine Frage der Kostümierung gewesen wäre und nicht ein Element ihrer Person, das Sternberg entwickelte, nachdem er sie auf dem Theater gesehen hatte und ihre Schauspielerei ihm wie die eines Frauendarstellers vorgekommen war.

Junge Mädchen heute in Berlin, danach befragt, was der Name Marlene Dietrich ihnen sagt, erinnern sie als die Frau, die für das weibliche Geschlecht die Hosen durchsetzte. Für Sternberg waren sie eine Form der Kinoabstraktion, ein Zeichen, ein Symbol. Sie begriff durch ihn, dass die Frau auf der Leinwand, im Unterschied zum Theater, ein Mischgebilde, eine Synthese ist. Die Technik entsprach ihrem neusachlichen Selbstbewusstsein.

Star mit Kind, allein erziehende Mutter, was Gegenstand von „Blonde Venus“ war, zu dem die Paramount Sternberg zwang, war für Maria Riva, ihre Tochter, unerträglich durch die Beschönigung der wirklichen Situation. Sie ist bis heute, nachzulesen in ihrem Buch, gezeichnet davon, Anhängsel gewesen zu sein. Ihr fehlten mütterliche Liebe und Aufmerksamkeit. Sie wurde, ohne gefragt zu werden, ein Teil von Marlenes Bild.

Gerechtigkeit weit mehr als Sex und sogar Liebe, sagte Sternberg, stehe in seiner Skala der Werte ganz obenan. Aber das war lange nach seiner Glanzzeit mit ihr – die Bitterkeit in seiner Antwort ist kaum zu überhören. Sie war generöser, bei aller Selbstbezogenheit nach außen gerichtet, dem Publikum entgegen. Sie konnte sich verhalten wie ein Mann, sie kam und ging. „Her Regiment of Lovers“ war Sternbergs sarkastischer Titel für „The Scarlet Empress“, für Katharina die Große, die Marlene zu spielen sich immer gewünscht hatte. Aber das fand die Paramount dann doch zu gewagt.

Um die Hände beim Singen wie ein Mann in die Hüften zu stemmen, braucht man welche, egal wie breit oder wie schmal. Das Skandalöse war, wie bei ihr beides zusammenging. Die latente Zweideutigkeit beunruhigte über die Maßen Männer und Frauen. Sie war beides, ein Mann-Weib – wenn bei dem Ausdruck resolut der negative Anklang weggelassen wird, der ihm von früher her noch anhaftet. Die Bewunderung, die bei latenter Angst darin mitschwingt, würde nicht aufkommen bei einem Mann, der seine weibliche Komponente mitausstellt. Das wusste sie. Sie stand auf männliche Männer und gelegentlich auf Frauen.

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