: Umzug ohne Erlaubnis vom Staat
Das sowjetische Meldesystem, die Propiska, ist jetzt in der Ukraine abgeschafft. Künftig soll ein Zentralregister die wichtigsten Personendaten speichern. Kritiker befürchten chaotische Zustände, vor allem bei den Parlamentswahlen im kommenden März
von BARBARA OERTEL
Eine der letzten Bastionen sowjetischer Zwangskontrolle ist in der Ukraine zehn Jahre nach der Unabhängigkeit gefallen: Unlängst erklärte das Verfassungsgericht das Meldesystem, die Propiska, für verfassungswidrig. Zur Begründung hieß es, dadurch werde das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit verletzt.
Die Propiska – ein Stempel im Ausweis von der zuständigen Meldestelle – war zu Sowjetzeiten eingeführt worden, um den Bürger total zu überwachen, nach dem Motto: Von der Wiege bis zur Bahre festgenagelt an einem Ort. Ein Umzug war, wenn überhaupt, nur nach vorheriger staatlicher Genehmigung möglich. Die Folge: Scheinehen in großer Zahl, um über den Partner an die ersehnte Propiska für eine Großstadt heranzukommen. Schätzungsweise leben derzeit mehrere Millionen Ukrainer, nicht zuletzt aus beruflichen Gründen, als Illegale an Orten, wo sie nicht gemeldet sind. Wer erwischt wurde, musste bislang mit hohen Geldstrafen rechnen.
Doch trotz aller Erleichterung darüber, dass der rigide „Meldeknast“ jetzt der Vergangenheit angehört, bleibt die Frage, was die Propiska ersetzen soll. Ein Gesetz, das dem Parlament vorliegt, sieht unter anderem ein Zentralregister vor, das die wichtigsten Daten über eine Person unter einer Steuerkennziffer speichert. Wechselt jemand seinen Wohnort, meldet er das der Datenbank. Die Regierung erhofft sich von diesem Rücklauf Aufschluss über den Bedarf an öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser.
Dass es einige Zeit dauern könnte, bis das neue System einsatzbereit ist, wäre an sich nicht so schlimm. Das Dumme ist nur, dass am 31. März kommenden Jahres in der Ukraine ein neues Parlament gewählt wird. Bis zum 15. Januar müssen die Wählerlisten erstellt sein. Bislang diente den Wahlkommissionen in den Distrikten die Propiska als einzige Grundlage zur Erstellung der Listen. Überdies sieht das neue Wahlgesetz von diesem Jahr vor, dass ein Wähler seine Stimme dort abgibt, wo er lebt.
Kritiker sehen bereits chaotische Zustände heraufziehen. „Was hält mich davon ab, in Rivna, wo ich gemeldet bin, zu wählen und gleichzeitig auch in Kiew, wo ich jetzt lebe“, fragte süffisant der Sprecher der Ukrainischen Sozialistischen Partei, Juri Lutsenko. Die Sprecherin der Kommunistischen Partei, Alla Kranyakova, sieht ein gigantisches Bevölkerungswachstum für den Wahltag voraus. „Da werden wir herausfinden, dass die Bevölkerung der Ukraine 60 und nicht 49 Millionen zählt.“
Alexander Tschernenko vom Komitee der Wähler in der Ukraine hegt noch ganz andere Befürchtungen. Das Wahlgesetz sehe auch vor, dass jemand in einem anderen Distrikt abstimmen könne, aber nachweisen müsse, in seinem Heimatdistrikt von der Liste gestrichen worden zu sein. In Wahlkreisen mit Mehrheitswahlrecht böte das den Kandidaten ein ideales Einfallstor für Wahlbetrug. „Sie lassen einfach 600 Studenten in ihren Wahlkreis karren“, sagte Tschernenko. „Und die lassen Sie dann für sich abstimmen.“
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