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Kim Il Putin lässt sich feiern

Heute vor einem Jahr wurde der russische Präsident vereidigt. Der Kult um seine Person treibt kuriose Blüten. Die Begeisterung kennt weder Grenzen noch Klassen. Aber es geht auch um Macht und Patriotismus. Und der Herrscher sieht es mit Wohlgefallen

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

„Eine wichtige Etappe im Leben unseres Landes – ein Jahr Inauguration Wladimir Putins“ steht auf den Transparenten der jungen Fans, die dem Kremlchef heute vor den Toren seiner Residenz ihre Aufwartung machen. „Aufrichtig und von ganzem Herzen“ versichern die Initiatoren der neuen Organisation „Zusammen gehen“, die sich verstärkt der sittlichen Erziehung der Jugend widmen will. Just zum Jahrestag wurde das Unternehmen aus der Taufe gehoben. Noch vor kurzem diente sein geistiger Vater in der Kanzlei des russischen Präsidenten. Reiner Zufall ? Oder offenbart sich darin die Spezifik der russischen Zivilgesellschaft?

Dem „woschd“ – Führer – zu huldigen, hat in Russland Tradition und bedient offensichtlich ein tief sitzendes Bedürfnis. Selbst leidvolle Erfahrungen haben die Untertanen nicht immunisieren können. „Wir ertragen die Erniedrigung durch den Zaren leichter als die eines leiblichen Bruders“, heißt es in einer alten Chronik, „denn er ist der Herrscher über alles.“

Auch unter Präsident W. W. Putin bleibt Moskau dieser Tradition treu. Der Personenkult steht vor einer neuen Blüte. Broschüren und Bücher, dem Präsidenten und der Jugend des kleinen „Wowa“ gewidmet, überschwemmen den Markt. Porträts sind in allen Formaten zu haben: für den Schreibtisch als Schutzengel neben der Familiengalerie, für das Wohnzimmer und für Staatsdiener in variablen Größen, je nach Rang und Bedeutung.

Neuestes Projekt: eine Bronzebüste, 8 Kilogramm schwer und 25 Zentimeter hoch, auch sie ist für den Schreibtisch gedacht. Ein Gipsmodell liegt bereits vor. Zurzeit sind die Initiatoren aus den Reihen des Petersburger Ortsvereins der Kremlpartei „Jedinstwo“ noch auf der Suche nach Financiers. Die werden sich finden. Und dann wird Putin nach Stalin der erste zu Lebzeiten in Bronze gegossene russische Herrscher sein.

Schöpfer und Bildhauer Alexander Palmin weist die sittliche Maxime, Herrscherporträts möglichst nicht größer als eine Briefmarke zu gestalten, die Literat Wladimir Nabokow einst bescheiden formulierte, mit einer missfälligen Geste zurück: „Den Präsidenten zu lieben, kann niemand verbieten.“

Die Parteifreunde in der Heimatstadt Putins fallen durch besonders kreativen Eifer auf. Jene Kinderfibel, in der der kleine Wowa Abc-Schützen ihre Rechte erklärt und als leuchtendes Vorbild durchs Leben marschiert, wurde dort vor einem Jahr ersonnen und ist längst vergriffen.

Für Groß und Klein legte die Ideenwerkstatt ein richtungsweisendes Gesellschaftsspiel vor. „Präsident – Patriot“. Die Spielparteien verteilen sich wie folgt: der „Patriot“ in rot, der „Feind“ in weiß und in den Farben der russischen Trikolore der „Präsidentenjoker“. Ziel: Neutralisierung des Feindes, der danach trachtet, Patrioten daran zu hindern, an beliebigen Orten Russland Flagge zu hissen. Die Regeln sind der Realität abgeschaut. Der Präsident genießt uneingeschränkte Macht und kann jedem Patrioten zu Hilfe eilen.

Einer von ihnen könnte der parteilose Student Michail Anitschenko aus Tscheljabinsk sein, der seinem Idol eine Ode widmete: „Sag mir Russland, antworte auf die Frage / warum nur den Präsidenten du vertraust ? / und spürst keine Tränen, wenn in die Augen ihm schaust / ist deine Seele mit ihm in leidendem Bunde? – Die Aufzeichnung der vertonten Orchesterversion bestritt der Student aus eigenen Mitteln.

Die Begeisterung kennt weder Grenzen noch Klassen. In Sibirien beantragte eine Kolchose, den Betrieb nach Putin umbenennen zu dürfen. Und auf dem Tatoo-Wettbewerb in Petersburg wurde das Konterfei Putins mit einem Sonderpreis für „Patriotismus“ ausgezeichnet.

In Pskow gelang es den Hagiografen buchstäblich, Kapital aus einem Besuch Putins zu schlagen. Sie eröffneten eine 90-Minuten-Wallfahrt: „Hier blieb er stehen, hier zog er sich einfach so das Jackett aus . . . Am Wasserfall rekapituliert eine Gedenktafel: Hier trank er Wasser . . .“ Einfach so? Russische Beamten pilgern scharenweise zum „Putin-Pfad“ nach Isborsk im Gebiet Pskow.

Und Putin scheint an diesem Kult gefallen zu finden. Sonst hätte er zumindest die Eiferer in der eigenen Partei zur Mäßigung gerufen.

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