: Mehr Schutz für mehr Opfer
Justizministerin Herta Däubler-Gmelin will zehn Prozent aller Geldstrafen für die Opferhilfe einsetzen. Das könnte deren Organisationen viel Geld bringenvon CHRISTIAN RATH
Früher galt das Interesse der Politik vor allem den Tätern. Konservative drängten auf harte Strafen, Liberale auf einen fairen Prozess und wirksame Resozialisierung. Jetzt aber hat in beiden Lagern ein Umdenken eingesetzt, bei dem die Opfer von Straftaten in den Vordergrund rücken. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) plant, dass verurteilte Täter künftig zuerst Schadensersatz an die Geschädigten bezahlen und erst dann – wenn noch etwas zu holen ist – eine Geldstrafe an den Staat. Vor allem aber sollen von den Geldstrafen verurteilter Täter künftig zehn Prozent an Opferhilfseinrichtungen wie Frauenhäuser oder den Weißen Ring gehen. Akzeptanz für rechtsstaatliche Abläufe gibt es in der Öffentlichkeit eben nur noch, wenn zugleich mehr für die Opfer getan wird.
Däubler-Gmelin (SPD) bringt die politische Stimmung auf den Punkt, wenn sie im Rahmen der lange geplanten Sanktionenreform auch den Opferschutz nach vorne bringen will. Erläutern wird die Ministerin ihre Pläne morgen und übermorgen bei einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin.
Dabei ist die geplante Zehn-Prozent-Regelung nicht nur ein Symbol, es geht hier auch um viel Geld. Rund 1 Milliarde Mark nimmt der Staat pro Jahr durch Geldstrafen ein, zehn Prozent davon wären immerhin 100 Millionen Mark. Verzichten müssten auf das Geld dann die Bundesländer. Noch gibt es angesichts des populären Ziels keinen offenen Widerspruch, aber immer wieder hört man auf Länderseite die Klage, Däubler-Gmelin spiele die große Opferschützerin, und die Länder bezahlten die Rechnung.
Der Weiße Ring dagegen steht mit 65.000 Mitgliedern als wichtigste deutsche Opferschutzorganisation voll hinter dem Vorschlag. Vermutlich wäre er auch der größte Profiteur von Däubler-Gmelins Idee. Bisher speist sich der rund 25 Millionen schwere Haushalt des Vereins vor allem aus Spenden (47 Prozent), Nachlässen (17 Prozent), Geldbußen (16 Prozent) sowie Mitgliedsbeiträgen (14 Prozent). Mit dem Geld koordiniert der Weiße Ring die Beratungs- und Betreuungsarbeit von rund 2.300 Ehrenamtlichen. Er finanziert außerdem Rechtshilfe für Opfer und schließt bei wirtschaftlicher Not auch Lücken in der staatlichen Opferentschädigung, die (nur) bei schweren gesundheitlichen Folgen hilft.
Doch unter den vermeintlichen Nutznießern gibt es auch Kritik an Däubler-Gmelins Vorschlag. Die Arbeitsgemeinschaft der Opferhilfen (ADO) befürchtet für Einrichtungen, die professionelle Opfersozialarbeit betreiben, eine finanzielle Verschlechterung. „Vermutlich werden schnell Haushaltsmittel gekürzt, weil man glaubt, dass nun aus der Justiz das große Geld kommt“, argumentiert ADO-Sprecherin Renate Kirchner von der Berliner Opferhilfe. Anteile am großen Kuchen der Geldstrafen flössen aber unregelmäßig und erforderten, so Kirchner, „intensive Betreuung“ der entscheidungsbefugten Richter. Schon heute müsse sie einen Teil ihrer Arbeitszeit aufwenden, um bei der Justiz Geldbußen einzuwerben, die Täter bei Einstellung ihres Verfahrens zu zahlen haben.
Das Problem des unsteten Mittelflusses sieht auch Niedersachsens Justizminister Christian Pfeiffer (SPD). Er will eine Landesstiftung Opferschutz aufbauen, an die möglichst viele Richter den Zehn-Prozent-Anteil der von ihnen verhängten Geldstrafen überweisen sollen. Zusammen mit Landesmitteln und privaten Geldern würde das Geld an elf regionale Opferfonds verteilt und dort unter Einbeziehung aller engagierten Kräfte dezentral verwaltet.
Abgelehnt wird Christian Pfeiffers Modell aber von seinem baden-württembergischen Kollegen Ulrich Goll (FDP), der despektierlich von einer „Verstaatlichung des Opferschutzes“ spricht. Doch Goll hat gut reden. Er konnte unlängst eine viel besser dotierte Landesstiftung Opferschutz einrichten, weil er sich bei der Privatisierung des Energiekonzerns EnBW einen Kapitalstock von 50 Millionen Mark mit jährlicher Ausschüttung von 2,5 Millionen Mark sicherte. Hintergrund ist, dass der EnBW-Privatisierungserlös aus steuerlichen Gründen gemeinnützig verwendet werden muss. Immerhin sind die finanziellen Hilfsmöglichkeiten für Kriminalitätsopfer im Land nun konkurrenzlos gut.
Noch ist die Zehn-Prozent-Regelung allerdings nicht beschlossen. Neben dem Bundestag wird auch der Bundesrat zustimmen müssen. Und wegen der Einnahmeausfälle der Länder droht hier durchaus eine unliebsame Überraschung. Für Herta Däubler-Gmelin hat die Reform jedoch großes Gewicht, schon weil sie als Teil ihrer Neuordnung des Sanktionenrechts präsentiert wurde und die übrigen Vorschläge in diesem Feld – etwa eine leichte Erweiterung bei der gemeinnützigen Arbeit und beim Fahrverbot – eher enttäuschend ausgefallen sind. Die finanzielle Stärkung des Opferschutzes muss nun ein Glanzstück werden.
taz-kongress
Thema: Strafe, Sühne, Sinn.taz.mag im SalonTermin: Samstag, 28. April,12 Uhr
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