schwarze taz: Bei Cornelia Arnhold sind nur Pitbulls sympathisch
Ein Kampfhund namens Hasi
Der Berliner Ostbahnhof wird umgebaut, nichts ist fertig, nur die Penner, die sich dort rumtreiben und sich gelegentliche Scharmützel mit den herumlungernden Neonazis liefern. Die Jungs mit dem Stoppelhaarschnitt haben in der einen Hand eine Bierdose, in der anderen die Leine ihres Kampfhunds und sind Stammgäste beim Dönerstand, der von einem Türken mit deutschem Pass betrieben wird, der besser Deutsch kann als sie, aber kein besserer Mensch ist: Berliner Idylle irgendwann um die Jahrtausendwende.
Was kann da schon passieren? Höchstens nimmt der eine Asoziale dem anderen die Dose weg. Oder fackelt ihn ab. Genau das ist der Fall: Ein Penner wird, während er schläft, mit einem Zweitakter-Benzingemisch übergossen und angezündet. Das Leben der Herumlungernden wird dadurch anscheinend wenig beeinflusst. Nur „Apostel“, der Penner mit dem religiösen Wahn, zetert etwas lauter, und die stumme Maria malt jetzt keine Bilder mehr mit Mond und Auto, sondern mit Sonne und Fahrrad. Ansonsten ist Trauerarbeit in diesen Kreisen nicht angesagt, das nächste Bier ist wichtiger.
Ziemlich unkorrekt benehmen sich auch die Hauptfiguren in Cornelia Arnholds zweitem Kriminalroman „Pitbull-Ballade“: Jana Rudolph, Hundeführerin der Berliner Diensthundestaffel, geht auf Streife rund um den Ostbahnhof und scheint sich selbst nicht ganz im Griff zu haben. Es muss wohl damit zu tun haben, dass sie einst als Lockvogel in den Hinterhalt eines brutalen Vergewaltigers geriet. Warum ihre ehemalige Kollegin, Kriminalkommissarin a. D. Freya Beckstein, allerdings so schlimm saufen muss, bleibt ihr Geheimnis. Sie hat doch einen properen Sohn und ihre Pension! Den beiden genügen die Ermittlungen der Kripo nicht. Sie mischen sich ein. Freya, weil sie sich in ihrem Selbstzerstörungstrieb schon mal mit den Pennern zum gemeinsamen Saufen zusammengetan hat. Und Jana, weil sie eine Pflegetochter hat, die sich den Ostbahnhof zur zweiten Heimat erkor.
Ihre Heldinnen hat Cornelia Arnhold schön gegen den Strich gebürstet. Auch mit dem restlichen Personal geht sie souverän um: Janas Pflegetochter Meltem ist halb türkisch, halb deutsch und hat sich in einen Pitbull namens Hasi verliebt. Weil sie der Ansicht ist, dass Pitbulls wegen ihrer Rasse verfolgt werden, hängt sie ihm einen Davidstern um den Hals.
Dies hindert sie jedoch nicht daran, sich außer für den Hund auch noch für den Neonazi Heiko zu begeistern, der wiederum nichts so sehr liebt wie seinen Tyson, ebenfalls einen Pitbull. Einer romantischen Beziehung zwischen den beiden steht nichts im Wege außer Heikos Freunde, vor denen er nicht als Schwächling dastehen will, und der Tatsache, dass sie allesamt verdächtigt werden, den Penner angezündet zu haben.
Mit großen erzählerischen Schritten durchmisst Cornelia Arnhold ein (noch) desolates Gebiet im Berliner Osten, angesiedelt in dem Dreieck zwischen Ostbahnhof, Warschauer Brücke und Oberbaumbrücke. Mit dicken Strichen zeichnet sie das Bild einer deutschen Groteske: Ob Bürger oder Penner, Türke oder Neonazi, alle hängen nur rum und nehmen achselzuckend zur Kenntnis, dass Menschen auf perverse Art umgebracht werden. Asozial sind sie alle, und wenn nicht, dann haben sei eine Macke.
Letzteres gilt auch für die beiden Polizistinnen, die im Bodensatz des neuen Deutschland herumstochern und sich dabei selbst dreckig machen. Dass sich am Schluss ausgerechnet die Person als Täter entpuppt, von der man es die ganze Zeit dachte, schadet diesem ruppigen Berliner Roman noir kaum. Immerhin hat es Cornelia Arnhold geschafft, im Leser eine Zuneigung zu Pitbulls zu erwecken. Keine schlechte Leistung.
ROBERT BRACK
Cornelia Arnhold: „Pitbull-Ballade“, Rotbuch-Krimi, 180 Seiten, 19,90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen