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Partei der Herzen

Die Grünen sind im Moment mit sich im Reinen wie schon seit drei Jahren nicht mehr

aus Stuttgart JENS KÖNIG

Es gibt Fragen, die sind so schlicht, dass man sie irgendwie nicht beantworten kann. Nehmen wir etwa die: Was ist grün an den Grünen? Ja, was eigentlich?

Fritz Kuhn gibt die Antworten gleich dutzendweise. Grün ist Ökologie. Nachhaltigkeit. Soziale Gerechtigkeit. Wirtschaftliche Modernisierung. Grün ist Emanzipation. Bürgerrechte. Zivilgesellschaft. Grün ist Klimaschutz. Ökosteuer. Neue Landwirtschaft. Was man halt so sagt als Verantwortlicher für die Beantwortung der grünen Sinnfrage.

Als alle schon denken, dem Parteichef müssten jeden Moment die Argumente ausgehen, kommt er erst richtig in Fahrt. Grün ist Europa, sagt Kuhn. Grün ist Kampf gegen rechts. Grün ist kinderfreundliche Politik. Grün ist wertkonservativ. Grün ist nicht SPD. „Grün ist gut“, ruft er schließlich in den Saal, „und wir werden immer grüner.“ Spätestens an dieser Stelle wird man das Gefühl nicht mehr los, dass hier oben auf dem Podium einer so große Reden schwingt, weil er fürchtet, dort unten im Saal könnten sich Zweifel breit machen, ob so viele Worte zur Beantwortung einer einfachen Frage überhaupt taugen.

Ein paar Stunden später an diesem Freitagabend kann man erleben, dass diese verflixte grüne Frage gar kein Problem sein muss, wenn man sie einfach in seine Arme schließt. „Lasst uns das gute Gewissen sein“, sagt Claudia Roth am Ende ihrer Bewerbungsrede für den Parteivorsitz. Da hatte sie den Parteitag schon längst auf ihre Seite gebracht, weil sie über eine halbe Stunde die grüne Seele massierte. Die Delegierten jubeln und schreien. Claudia Roth verlässt die Bühne und umarmt am Ende der Treppe jeden, der ihr nicht aus dem Weg geht. Plötzlich sieht sie ihren kleinen Neffen etwas abseits stehen, geht zu ihm, legt den Arm um seine Schultern und führt ihn durch die große, unübersichtliche Halle zu seiner Mutter. Die Fotografen und Kameramänner, die sie dabei jeden Meter verfolgen, lässt sie gewähren, sie lächelt sogar in die Kameras.

Die Partei hat Claudia Roth verstanden, und Claudia Roth hat die Partei verstanden. Grün an den Grünen soll auch ihre Wärme sein, ihre Emotionalität, ihre Zuneigung für einander. Wenn das dann im Fernsehen auch noch für gute Bilder sorgt, umso besser. Claudia Roth kalkuliert ihre Gefühle nicht – aber sie versteht es, sie einzusetzen. Nicht umsonst hat sie früher am Theater gearbeitet. Sie weiß, dass die Politik eine große Bühne ist und sie eine Rolle spielt. Aber als Joschka Fischer Claudia Roth auf dem Parteitag umarmt, sieht man den Unterschied zwischen der kühlen, ungelenken Geste eines Staatsmanns und der ursprünglichen Freude einer frisch gewählten Parteivorsitzenden. Claudia drückt Joschka an ihre Brust, er legt seine Hand auf ihre Schulter, als wolle er verhindern, dass sie ihm zu nahe rückt.

Fast scheint es so, als hätte genau diese Emotionalität einer linken Menschenrechtsaktivistin gefehlt, um das Glück, das der Partei im letzten halben Jahr widerfahren ist, perfekt zu machen. Die Grünen sind im Moment mit sich im Reinen wie vielleicht seit drei Jahren nicht mehr. Mit der Wahl von Claudia Roth haben sie sich mit sich selbst als Regierungspartei wohl endgültig versöhnt. Mit Joschka Fischer haben sie einen respektierten Übervater. Mit Fritz Kuhn einen etwas kühl, aber strategisch denkenden Parteichef. Mit Renate Künast einen Shooting-Star. Mit BSE ein Thema, bei dem sie wieder offensiv über Ökologie reden können. Und die Angriffe auf Joschka Fischer wegen dessen militanter Vergangenheit haben die Partei wieder zusammengeschweißt.

In dieser Situation hält Claudia Roth eine fast perfekte Rede. Sie sagt genau das, was die Partei von ihr erwartet. Sie beschwört vor allem die „alten Werte“, die doch wieder „neue Werte“ seien. Sie spricht davon, dass das Regieren an sich noch keine grüne Sache sei. Sie kritisiert die Bombenangriffe auf den Irak ebenso deutlich wie die von den USA geplante Raketenabwehr. Sie plädiert für einen sehr restriktiven Umgang mit der Gentechnik. Sie fordert die Partei auf, ein Scout, ein Pfadfinder, zu sein und neue Wege auszukundschaften.

Claudia Roth gibt den Grünen das Gefühl zurück, immer noch anders, immer noch rebellisch zu sein, wenigstens ein kleines bisschen. Die Partei bedankt sich auf ihre Weise. Sie wählt Roth mit über 90 Prozent zu ihrer neuen Vorsitzenden. Das ist ein Ergebnis, das in der leidensvollen grünen Geschichte noch kein Parteichef einfahren konnte. Unmittelbar nach der Wahl erklingen über die Lautsprecher Ton Steine Scherben, eine kleine, aber nicht unwichtige Reverenz an die alten, neuen Zeiten: „Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wie, wenn ohne Liebe?“ Claudia Roth, einst Managerin der Rockband, singt den Text voll Inbrunst mit. Beim Wort „Liebe“ überschlägt sich ihre Stimme.

In diesem Moment interessiert in der Halle die wenigsten, dass gerade die großen Gefühle der neuen Vorsitzenden der Partei ein paar Probleme bescheren könnten. Ein paar Realos sprechen erst am Abend beim Bier offen darüber. Wer so oft von moralischer Politik rede wie Claudia Roth, sagen sie, der laufe Gefahr, die Grünen wieder für die besseren Menschen zu halten. Der könne manchmal nicht der Versuchung widerstehen, Dinge zu fordern, die zwar gut, schön und richtig, aber unrealistisch seien. Mal ganz zu schweigen davon, dass Gerhard Schröder sich nicht davon beeindrucken lasse, wenn Claudia Roth die Rechte der Kurden in der Türkei einklage. Für die Partei sei wichtig, dass man ihre Vorsitzenden in den Koalitionskreisen in Berlin ernst nehme. Antje Radcke und Gunda Röstel sind für Claudia Roth das abschreckende Beispiel, Fritz Kuhn und Renate Künast der Maßstab.

Dass die Partei das heute besser versteht als vor ein, zwei Jahren, beweist ihr Beschluss zu den Castor-Transporten. Dass ihr die neue Harmonie manchmal aber auch unheimlich ist, zeigen der Beschluss zum Asylrecht und die Aufforderung an die grünen Minister, künftig ihr Abgeordnetenmandat niederzulegen.

Es ist wieder einmal Joschka Fischer, der die Grünen am eindringslichsten daran erinnert, dass sie eine Regierungspartei sind. Mit Blick auf die zu erwartende harte Auseinandersetzung über die Gentechnik warnt er vor den alten grünen Reflexen. Die Partei solle nicht glauben, es reiche aus, eine Entwicklung zu verhindern, indem man sich gegen sie stelle. Wenn sie trotzdem komme, müsse man sie so gestalten, dass sie einigermaßen erträglich sei.

Für einen solchen kleinen Exkurs in Sachen Realpolitik wäre Fischer bis vor kurzem noch nicht geliebt worden. Heute jedoch liegt ihm die Partei zu Füßen. Schließlich hat ihr Joschka in den zurückliegenden Wochen stellvertretend für sie alle eine ganze Generation verteidigt. Und das grüne Herz ist mittlerweile groß. So groß, dass darin mehrere Helden Platz haben.

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