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Gedichte im Pflaumenbaum

NEED EDEN? Botanische statt konkrete Poesie in der Gärtnerei Hofgrün am Kreuzberg

Ein romantisches Unterfangen: Auf dem Gelände der alternativen Gärtnerei Hofgrün in Kreuzberg organisierte der Zeichner, Gärtner und Herausgeber Hartmut Andryczuk eine Gruppenausstellung unter dem Titel „Lebendige Archive – Hybride Gärten“. Die Ausstellung, als „Begegnung von Konzeptkunst und Garten, botanischer Poesie und lebendiger Skulptur“ gemeint, versammelt Arbeiten von siebzehn Künstlern, die vorwiegend aus dem Bereich der Buchkunst kommen. Dass sich hier nun Akteure der konkreten und der visuellen Poesie dem Garten zuwenden, hat durchaus seine Logik.

Wie Randbemerkungen, Kommentare und Fußnoten verstecken sich die Werke im üppig wuchernden Grün der Gärtnerei – teils muss man sie suchen, teils sind sie schon nicht mehr zu finden. Auf Recherche hat sich Gerhild Ebel begeben, die mit „Missing“ ein Gräberfeld für im Raum Brandenburg nicht mehr in freier Wildbahn vorkommende Pflanzenarten eingerichtet hat. Überwiegend jedoch sind es assoziative Arbeiten, die sich dem Umfeld dekorativ einfügen. Spielzeug-Prismen baumeln über den Beeten, bunte Buchstaben schaukeln als „Windgedicht“ im Pflaumenbaum, kleine Buchstaben (aus der Tütensuppe), zwischen die Rebstöcke gestreut, sind aufgeweicht und schon von den Vögeln weggepickt. Mit Lackstift bemalte CDs, die, mit Wäscheknöpfen an Bambusstäben befestigt, entlang des Weges als „Elektroblüten“ firmieren, oder mit dem Bunsenbrenner verformte, auf Eisenstäbe geschraubte LPs („Mutationsständer“) vermitteln sich eher als subkulturelle Accessoires einer Kreuzberger Gärtnerei denn als subversive Eingriffe in den Natur- oder Kunst-Raum.

Die unter freiem Himmel befindlichen Objekte sind der Witterung, dem Getier und dem Gärtnereibetrieb ausgesetzt. Jene Arbeiten, die bewusst mit diesem Faktor arbeiten, bringen den Zeitaspekt ins Spiel. Auf dem hauseigenen Kompost gammelt, schon überwuchert und fast begraben, ein aus alten Kleidern zusammengenähter Hybrid aus Gartenzwerg und Vogelscheuche vor sich hin. Ungekehrt gilt aber auch die Frage: Wenn man Papierpacken in Obstkisten pflanzt, „viel gießen“ lässt, und der Schimmel über das Papier wuchert – entsteht dann visuelle Poesie?

Den Besucher erwartet keine Pleinair-Ausstellung von Skulpturen im öffentlichen Raum, sondern ein Projekt, das sich die Abgeschiedenheit einer Gärtnerei gesucht hat. Die Sehnsucht nach einem begrenzten, wunschgemäßen Ort, die auch den Kleingärtner beflügeln mag, nennt sich noch immer Poesie. Aber dass Paradiese nur räumlich und temporär begrenzt und künstlich sein können, wussten bereits die Romantiker. So fragt denn folgerichtig eine Arbeit mit dem auf Schildchen gemalten, an verschiedenen Stellen der Gärtnerei hängenden Anagramm: NEED EDEN?

CAROLINE WESENBERG

Bis 22. 7., bei hofgrün berlin, Methfesselstraße 10–12 (am Kreuzberg); Di – Fr 14 – 18, Sa 10 – 13 Uhr

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