: Einmaligkeit als Problem
■ Radio Eins wollte Quote ohne Gedudel. Doch mangels Hörern taucht es in der heute veröffentlichten Mediaanalyse nicht mal auf
Wenn die Intendanten Horst Schättle und Hans-Jürgen Rosenbauer beim Berliner SFB und beim Potsdamer ORB heute die jüngste Mediaanlyse (MA) studieren, wird eines ihrer Sorgenkinder nicht dabeisein: Radio Eins hat wie letztes Jahr wieder nicht den Sprung in die MA geschafft.
Das ist schlecht, denn die MA ist für Radiomacher die wichtigste Marktforschungsstudie. Wer darin nicht einmal auftaucht, spielt praktisch keine Rolle auf dem Markt. Für Radio Eins heißt das, daß wahrscheinlich weniger als 20.000 Berliner und Brandenburger pro Stunde das Kooperationsprogramm von SFB und ORB hören. Und das sind zu wenige, um das getrübte Verhältnis der beiden Sendeanstalten aufzulockern. Für SFB-Intendant Schättle war das sogar Anlaß genug, die Zukunft des etwas anderen Radioprogramms ganz in Frage zu stellen.
Dabei sollte Radio Eins ursprünglich etwas ganz Besonderes werden: Im August 1997 war der federführende ORB mit dem Anspruch auf Sendung gegangen, ein sogenanntes „High-Quality-Radio“ für 25- bis 45jährige zu machen. Als Antwort auf die zunehmende Verflachung dieses Mediums, in dem es nur so vor Gewinnspielen, Mega-Hits und kreischenden Moderatoren wimmelte, wollte Radio Eins mit Qualität die Masse zurückgewinnen: ein intelligentes Vollprogramm für ein erwachsenes, urbanes Publikum, eine kleine Sensation. Einen Angriff auf die Privatsender versprachen ORB-Chef Rosenbauer und sein Radiomann Helmut Lehnert damals, daß mindestens 100.000 Hörer erreicht würden.
Aber heute, zwei Jahre später, will anscheinend immer noch kaum jemand in der riesigen Hauptstadtregion das so vollmundig angekündigte Programm hören. War alles nur ein schöner Radiotraum? „Seine Einmaligkeit ist das Problem von Radio Eins“, glaubt Chefredakteur Helmut Lehnert heute. Vielen gilt der 49jährige als einer der kreativsten Radiomacher Deutschlands, weil ihm die ARD das Konzept der erfolgreichen Jugendwellen verdankt, die er sich mit der Berlin-Brandenburger Station Fritz als einer der ersten ausgedacht hatte.
Nun erzählt Lehnert von den Wirren des Anfangs bei Radio Eins und wie die Hörfunkreform von SFB und ORB für diese Mission die Redaktion des kaputtreformierten B Zwei (ehemals der erfolgreiche SFB 2) mit der des beliebten Kultursenders Radio Brandenburg zusammenwarf. Doch das klappte gar nicht, weswegen eine Schar Individualisten von einem widerwillig akzeptierten Idealisten auf gemeinsame Expedition ins radiophone Niemandsland geschickt werden sollte. Und das auf dem überfülltesten Radiomarkt Europas mit einem Programm.
Wenn man Helmut Lehnert glaubt, hing an diesem abenteuerlichen Vorhaben sogar die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Radios. In Berlin und Brandenburg würden die Privatradios schon 85 Prozent aller Hörer auf sich vereinigen, klagt er: „Das muß von uns geknackt werden.“
Radio Eins sollte zwischen Spartenprogramm und den Dudelfunkkopien des Formatradios ein Angebot für diejenigen sein, für die Pop in den letzten 40 Jahren mehr als nur Musik war. Vor allem sollte aber so ein Programm die erwachsen gewordenen Hörer binden, die mit den neuen, öffentlich-rechtlichen Jugendwellen Fritz (ORB), EinsLive (WDR) oder N-Joy (NDR) aufgewachsen sind. Lehnert verordnete – gegen das „Meerschweinchentheater“, wie er den Moderationsstil der privaten Konkurrenz nennt – Kultur- und Hintergrundberichterstattung. Am Wochenende gibt's sogar eigene Film-, Literatur-, Computer- und Medienmagazinen. Doch die eigentliche Stärke von Radio Eins sollte die Musikauswahl sein: Hinter ihr sollte wieder Journalismus statt Hot-Rotation walten: tagsüber eine handverlesene Mischung von Greatful Dead bis GusGus, die allabendlich von drei Music-Specials ergänzt wird, die von German Beats über die Radiolegende John Peel bis Rock alle Stilrichtungen abdecken.
Nun scheint dem Radiochef ausgerechnet sein anspruchsvolles U-Kultur-Konzept im Weg zu stehen: Vielleicht ist den Massen, die Lehnert erreichen wollte, ebendies viel zu viel. Lehnert: „Mich ärgert bloß, daß die Ärzte und Lehrer, also Leute, die in dieser Gesellschaft etwas bewegen, daß die 100,6 und RTL hören. Die sollen gefälligst Radio Eins hören.“
Das Programm versteht sich als Mehrheitsangebot, denn Rundfunkgebühren, sagt Lehnert, müßten schließlich alle zahlen, also müßten die Öffentlich-Rechtlichen auch ein Angebot an alle machen. Da Radio Eins das einzige Mehrheitsangebot von ORB und SFB ist, hat ORB-Intendant Rosenbauer dem Programm rasch seine Unterstützung zugesagt.
Nun hat sich Radio Eins das Quotenschlamassel sicherlich auch selbst zuzuschreiben, indem es so hohe Ansprüche formulierte, bevor es überhaupt laufen konnte. Allein die wichtigste Sendezeit, das Morgenmagazin, wurde in den zwei Jahren mindestens dreimal reformiert, weil man sich ja erst beim Senden darüber klar wurde, was Radio Eins will und kann. So was schreckt ab. Und vielleicht wußten die Lehrer und Ärzte ja auch einfach nicht von der Existenz dieses Senders, der viel zu wenig Geld hat, um im Werbekrieg der Privatsender mitzuhalten: Erst 1998 machte Radio Eins mit seiner „Hören Sie orange“-Kampagne ein wenig auf sich aufmerksam.
Der Berliner Medienwissenschaftler und Radiospezialist Klaus Goldhammer sieht das Problem aber vor allem in der Situation des Berliner Radiomarktes: „Die private Konkurrenz ist in den letzten zehn Jahren einfach sehr gut geworden. Da kann man nicht etwas völliges Neues einführen und sofort Erfolg erwarten. Dann könnte man öffentlich-rechtliches Radio auch gleich bleiben lassen.“ Das hat Helmut Lehnert aber auf keinen Fall vor: „Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß Radio Eins funktioniert.“ Man müsse ihm nur Zeit lassen. Fritz, inzwischen längst Aushängeschild des ORB, habe auch erst nach vier Jahren sein Ziel erreicht. Und mit Fritz war Lehnert bereits gelungen, wovon er jetzt immer noch redet: den Radiomarkt zu verändern. Ania Mauruschat
„Ärzte und Lehrer, also Leute, die in dieser Gesellschaft etwas bewegen, sollen gefälligst Radio Eins hören“, klagt Lehnert
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