Ökoprodukte mit Chemikalie belastet: Desinfektionsmittel im Salat
Der Wirkstoff DDAC ist in Nahrungsmitteln verboten. Er stammt aus einem Pflanzenstärkungsmittel, das von konventionellen und Biobauern verwendet wird.
BERLIN taz | Es war eine Entdeckung mit weitreichenden Folgen: Als ein niedersächsischer Ökobauer bei einer Eigenkontrolle seines Betriebs auf seinen Kräutern und dem Rucola-Salat Spuren des Desinfektionsmittelwirkstoffs DDAC (Didecyldimethylammoniumchlorid) findet, glaubt er zunächst an einen von ihm begangenen Fehler bei der Reinigung seines Betriebs. Bei umfangreichen Proben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stellte sich jedoch heraus, dass die Rückstände nicht aus Putzmitteln stammen, sondern im Pflanzenstärkungsmittel Vi-Care enthalten waren.
Vi-Care kam bisher nicht nur in der konventionellen Landwirtschaft, sondern auch bei Biobauern präventiv zum Einsatz. Nach Angaben des Herstellers Citrex mit Sitz in Miami, der den Wirkstoff unter verschiedenen Produktnamen auf der ganzen Welt verkauft, basiert es auf einer ökologisch unbedenklichen Zitrusessenz.
Doch der nun in dem Produkt entdeckte Wirkstoff DDAC ist in Nahrungspflanzen nicht erlaubt, daher ließ das BVL den Vertrieb und die Verwendung von Vi-Care einstellen. Mangels toxikologischer Bewertung gilt für DDAC der Rückstandshöchstgehalt von 0,01 Milligramm pro Kilogramm. Auch wenn das Bundesamt für Risikoforschung sowohl akute als auch langfristige Gesundheitsgefahren für VerbraucherInnen ausschließt, dürfen Produkte mit einer höheren Belastung nicht in den Handel gelangen.
Für die betroffenen Landwirte bedeutet das, dass sie unter Umständen ihre gesamte Ernte vernichten müssen. Wie viele Landwirte davon betroffen sind, ist noch unklar. Die Firma MBM in Nettetal, die Vi-Care seit 2009 auf dem deutschen Markt vertreibt, erklärte auf Anfrage der taz, dass hierzulande seit Juni letzten Jahres etwa 3.000 Liter von Vi-Care an etwa 30 bis 40 Betriebe geliefert worden seien.
Weitere DDAC-Funde wahrscheinlich
Nach der nun gestarteten Rückrufaktion gehe man jedoch davon aus, dass noch über 2.500 Liter nicht verbraucht seien. Doch Vi-Care könnte nur die Spitze des Eisbergs sein - in der Branche vermutet man, dass in den nächsten Wochen noch mehr Fälle belasteter Ware aus anderen Ländern auftreten. Schon jetzt ist bekannt, dass aus der Dominikanischen Republik importierte Bananen belastet sein sollen. Ob deren Einfuhr letztlich erlaubt wurde, blieb gestern unklar.
Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) , sieht jedenfalls zahlreiche Betriebe in einer existenzbedrohlichen Lage. Im Einzelfall könne der Schaden bis zu 160.000 Euro betragen, je nachdem wie sehr sich die Betriebe spezialisiert hätten. Der Verband prüft zurzeit eine Sammelklage gegen den Produzenten in den USA. "Allein der Biobranche droht ein Schaden in Millionenhöhe", schätzt Löwenstein.
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