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Kommentar über BeschneidungSchimäre des Säkularen

Kommentar von Daniel Wiese

Diese Gesellschaft ist nicht so frei von Religion, wie es viele gerne hätten. Der Staat kann Einfluss darauf nehmen, wie Beschneidungen vorgenommen werden. Mehr ist nicht drin.

D ie Beschneidung aus religiösen Gründen verträgt sich schlecht mit einer säkularen Gesellschaft. Es handelt sich um einen Initiationsritus, bei dem kleine Kinder in eine Religionsgemeinschaft aufgenommen werden, von der sie nichts wissen und für die sie sich nie entschieden haben. Ähnliches gilt für die Taufe, allerdings ist diese nicht mit einem medizinischen Eingriff verbunden, der dazu noch schmerzhaft sein kann.

Ginge es darum, dass die Beschneidung medizinisch sinnvoll ist, wie manche behaupten, wäre die Diskussion eine andere. Doch es geht um religiöse Identität, genauer: um muslimische und jüdische Identität. Das macht es schwierig, denn wenn Muslime und Juden die Beschneidung als nicht verhandelbar ansehen, werden sie davon auch nicht ablassen – und wenn sie dafür zum nächsten Hinterhof-Beschneider gehen.

Vielleicht ist an der Zeit anzuerkennen, dass diese Gesellschaft nicht so säkular ist, wie es viele gerne hätten. Schließlich ist es ja auch nicht verboten, seine Kinder religiös zu indoktrinieren – das garantiert die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit.

Letztlich kann es nur noch um Schadensbegrenzung gehen: Der Staat kann Einfluss darauf nehmen, wie Beschneidungen vorgenommen werden und von wem. Mehr ist nicht drin. Eine Gesellschaft kann nur so säkular sein wie die Menschen, die in ihr leben.

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Hamburg-Redakteur
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10 Kommentare

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  • RB
    Robert Bauer

    Nach dieser Logik ist eine Gesellschaft auch so faschistisch, homophob, frauenfeindlich etc. wie sie eben ist. So eine Argumentation in der taz lesen zu müssen, erfüllt mich mit blanken Entsetzen..

  • S
    Stephan

    Könnte es sein das der Brauch der Gesetzeinhaltung sogar schon älter ist als 3000 Jahre? Wenn das Alter eines Brauches entscheidend ist, dann must das auch berücksichtigt werden.

  • KH
    kinder haben menschenrechte

    Lieber Herr Wiese

    So beliebig kann mann mit Missbrauch von Kindern nicht umgehen.

    Und noch einmal zum Mitschreiben:

    Religionsfreiheit für Kinder heist :über Religionen Jedweder art zu Informieren aber nicht zu Initiieren,oder zu Brand marken

    ( Beschneiden usw.)

    Das ist die pflicht der Eltern bis das Selbstbestimmungrecht auf das Kind übergeht( in deutschland mit18)

    Viele Glauben haben zu viele Variabelen.

    Ein Grundgesetz muss die Feste Grösse sein an die mann sich

    Hält sonst ist ein Friedliches Zusammenleben nicht möglich.

  • F
    Falmine

    @ Aylin

    Auch wenn die Wortwahl von "Tramp" nicht meine ist, drückt er doch einen wichtigen Sachverhalt aus: Religiöse Gesetze gelten nur nach innen in die Glaubensgemeinschaften hinein und dürfen nicht im Widerspruch zur geltenden Rechtslage eines Staates stehen.

    Die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer Rechtsstaat hat mit dem Grundgesetz die einzig richtige Lehre aus Nationalsozialismus und Holocaust gezogen. Das Grundgesetz gibt jedoch nicht nur Rechte, es bindet auch alle, unabhängig von ihrer Religion oder ihrem Geschlecht. Archaische religiöse Riten können in diesem Rechtsrahmen nur gefeiert werden, wenn sich Männer in freier Selbstbestimmung diesem Ritus unterziehen.

    Babys und kleine Jungen haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, und dieses individuelle Menschenrecht ist auch von gläubigen Eltern zu achten. Deshalb würde ich gern weniger Religionsgelehrte als viel mehr Verfassungsrechtler hören. Kleine Nachhilfe: http://www.zis-online.com/dat/artikel/2010_7-8_468.pdf

    Um das als Staatsbürgerin akzeptieren zu können, helfen mir Gespräche mit jüdischen oder muslimischen Familien nicht weiter. Für mich ist die körperliche Unversehrheit kleiner Jungen nicht verhandelbar!

  • A
    Aylin

    "und wenn sie dafür zum nächsten Hinterhof-Beschneider gehen" ???

     

    Ich habe diese Passage gerade 10 Mal gelesen und jedesmal stieg mir das Blut ein klein wenig mehr in den Kopf.

     

    "Wie das Gesetzesbrecher so an sich haben: Für den Dieb ist der Diebstahl nicht verhandelbar ..."??

     

    Ich bitte die Verantwortlichen um politische Korrektniss. Das ist öffentliche Diskriminierung.

    Schlag den Moslem. Egal, was er tut und wofür er steht, schlagt ihn. Das scheint ein neues Hobby zu sein.

     

    Wenn man keine Lösungen zur Integrationsdebatte beisteuern kann, ists natürlich leichter, noch etwas mehr Salz in die Wunde zu streuen.

     

    Ich möchte bitte einen beschnittenen Juden oder Moslem, einen erwachsenen Mann vor laufender Kamera sagen hören, dass das Beschneiden, ein traumatisches Erlebnis bei ihm verursacht hat und er mit 35 Jahren immer noch nicht darüber hinweg ist.

     

    Die Beschneidung ist vorallem, eine weniger religiöse , sondern eine kulturelle Sache. Das Kind hat keine bleibenden Schäden hinterher, wie es bei der Beschneidung der Frauen ist.

     

    Und ganz ehrlich, wen hat es bisher gestört??

    Es stört diejenigen, die sich mit der türkischen und jüdischen Kultur nicht auskennen, wahrscheinlich nicht mal mit Menschen aus diesen Kreisen befreundet, geschweigenden Verwandt sind.

     

    Also was ist es wofür ihr euch einsetzt???

     

    Fragt bitte einen Juden oder einen Moslem, was er von euren absurden Kommentaren hält!

  • SK
    Selma Krause

    Nein, ich fordere von keinem Politiker, dass er sich zuvor beschneiden lässt, bevor er verantwortlich die Freigabe der Beschneidung aus religiösen Gründen beschließt. Ich fordere nur, die möglichen Folgen im Auge zu haben, also hinzusehen!

     

    Immer wieder wird berichtet, dass eine Beschneidung ein traumatisches Erlebnis ist. Ich bin keine professionelle Psychotherapeutin und muss auch keine sein, um mir vorstellen zu können, dass das Urvertrauen gestört wird. Das Vertrauen z.B. in die Mutter, die doch ihr Kind vor Schmerzen und Drangsal immer schützt. Die mich jetzt allein lässt. Dieses Gefühl, von aller Welt verlassen zu sein. Als Witwe eines beschnittenen Mannes war ich jahrzehntelang damit konfrontiert. Es hat lange gedauert, bis ich diese Zusammenhänge erkannt habe und es hat meine Gefühle für ihn vertieft. Dennoch hätte ich ihm und mir diesen seelischen Kraftaufwand gern erspart.

     

    Ich zitiere mal aus Barbara Diepold "Diese Wut hört niemals auf":

    "[...]Je jünger ein Mensch von einem Trauma getroffen wird, desto gefährdeter ist die Psyche, weil das Ich seine Fähigkeiten zur Realitätsprüfung und Antizipation noch nicht ausreichend entwickelt hat und noch keine Strukturen zur Verfügung stehen,

    innerhalb derer das Trauma bearbeitet werden könnte. Das Ich, das sich innerhalb der Interaktionserfahrungen des Kindes mit seinen Pflegepersonen formt, ist nur erst rudimentär ausgebildet. Daher ist die Art und Weise der Interaktion entscheidend für die Form oder Qualität des sich entwickelnden Ich–Selbst. Die Erfahrungen innerhalb dieser Interaktionen formen die Struktur des psychischen Apparates, und diese sind als solche strukturbildend.[...]"

     

    Im Antrag, der das Gesetzgebungsverfahren jetzt durch die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten in Gang gesetzt hat, ist von "vermeidbaren Schmerzen" die Rede. Damit sind offenbar die unmittelbaren OP- und Wundheilungsschmerzen gemeint. Mit den Folgen eines kindlichen Traumas mögen sich die Bundestagsabgeordneten nicht befassen. Das finde ich oberflächlich und verantwortungslos.

  • P
    PeterWolf

    Und deshalb müssen wir jetzt auch Rassismus akzeptieren, weil die Gesellschaft ja nun mal teilweise auch aus Rassisten besteht?

     

    Langsam kommen mir Zweifel, ob die TAZ Redaktion mehrheitlIch für einen freiheitlich, demokratischen Rechtsstaat steht.

     

    Oder soll dieser Artikel nur Kommentare provozieren?

  • KH
    kinder haben meschenrechte

    ich verfolge die diskussion jetzt schon einige zeit,

    und bin entsetzt,beschämt und endtäuscht das so eine

    religions praxis von der politik verteigt wird,und nicht klar die position des zu schützenden kindes eingenommen wird. die eltern die solche vorhaben wie beschneidung ohne not duchführen wollen,müssen engmaschig vom jugendamt überwacht werden.

    gegebenenfals müssen die betroffenen kinder den eltern zum schutz vor missbrauch(den das ist beschneidung (religiöser brauch ohne einwilligung des individiums)den eltern entzogen werden bis die eltern ihr position glaubhaft geendert haben .

    gewalt gegenüber schutzbefohlenen ist das misseste was es gibt..

    alle anderen argumente sind meiner meinung nach wichtig aber zweitrangig.

  • B
    bengh

    Die Folgerung aus diesem Artikel lautet wohl: Aufhören, für eine säkulare(re)Gesellschaft, d.h. für individuelle Freiheitsrechte (Menschenrechte) zu kämpfen.

    Oh taz!!

  • T
    Tramp

    "wenn Muslime und Juden die Beschneidung als nicht verhandelbar ansehen, werden sie davon auch nicht ablassen"

    Wie das Gesetzesbrecher so an sich haben: Für den Dieb ist der Diebstahl nicht verhandelbar ...