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Überleben in GriechenlandDie Freiheit, weiterzumachen

Die Belegschaft der Zeitung "Eleftherotypia" arbeitet, obwohl der Verlag nicht mehr zahlt. Jetzt wird die Tageszeitung selbstverwaltet von der Belegschaft herausgegeben.

Der Zeitungsmarkt wird ausgedünnt: Die Tageszeitung "Eleftherotypia"(2. von links) erscheint jetzt als Wochenzeitung. Bild: dapd

BERLIN taz | Griechenland, das klingt schon wie ein Synonym für die Krise. Doch mittendrin gibt es Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen. Etwa in der Redaktion von Eleftherotypia, einer Zeitung, die heute erstmals wieder erscheint. Produziert in Selbstverwaltung von der Belegschaft.

"Wir, die Beschäftigten, werden nicht zulassen, dass die Zeitung stirbt, wir starten sie heute in Eigeninitiative neu", sagt Dimitris Psarras, einer der vier neuen Chefredakteure.

Die Zeitung ist eine der größten liberalen Tageszeitungen Griechenlands. Zuletzt war sie Ende Dezember erschienen. Doch seit 45 Tagen streiken die Beschäftigten, weil sie seit August 2011 keine Gehälter mehr ausbezahlt bekommen.

Ein halbes Jahr lang hatten Journalisten, Grafiker und Drucker umsonst gearbeitet. Die engagierten Medienmacher glaubten an ihr Produkt. Doch der Geduldsfaden riss Ende des Jahres. Den Mitarbeitern war nicht mehr einsichtig, warum die Geschäftsführung nicht zahlt. Insolvent ist das Unternehmen nicht.

Der Streik war aber für die Belegschaft auf Dauer nicht ausreichend. Ab heute wird das Blatt wieder herausgebracht - diesmal in Eigenregie, ohne die Geschäftsführung. "Wir wollen den Kontakt zu unseren LeserInnen nicht verlieren. Ein Verlust der Eleftherotypia-Zeitung wird die Printlandschaft des Landes verändern."

Griechenland-Krise

Eindeutige Lage: Die Wirtschaftsleistung von Griechenland ist 2011 erneut massiv eingebrochen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging um 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück, teilte die griechische Statistikbehörde am Dienstag mit. Die griechische Zentralbank war noch vor Kurzem davon ausgegangen, dass die Wirtschaftsleistung nur um knapp vier Prozent sinken würde. Bereits 2010 war die Wirtschaft kräftig um 4,5 Prozent geschrumpft. Ursache der rasanten Talfahrt ist nach übereinstimmender Einschätzung von Finanzexperten die Sparpolitik, die die griechische Wirtschaft abwürgt.

Hohe Arbeitslosigkeit: Im Herbst 2011 waren erstmals mehr als eine Millionen Griechen offiziell arbeitslos. Die Quote lag im November bei 20,9 Prozent. Zwei Jahre zuvor waren nur 13,9 Prozent der Griechen ohne Job.

Umstrittene Rettung: Die Finanzminister der Euroländer wollen Mittwoch über das zweite Hilfspaket an Griechenland von mindestens 130 Milliarden Euro entscheiden. Das griechische Parlament hatte als Vorleistung am Sonntag starke Einsparungen beschlossen. Unter anderem sind Lohnkürzungen und Entlassungen aus dem Staatsdienst geplant. Das ist im Land heftig umstritten. Schon am Sonntag war es in Athen zu massiven Protesten und Krawallen gekommen.

Für viele Griechen ist ein Kiosk ohne die Eleftherotypia nicht vorstellbar. Auf dem deutschen Markt läge sie irgendwo zwischen der Süddeutschen Zeitung und der taz. Von der Auflage her ist sie mit dem großen Blatt aus München vergleichbar, von der Ausrichtung noch eher mit der taz. Eleftherotypia heißt übersetzt "Freie Presse".

Der Verlag gilt seit seiner Gründung im Jahr 1975 als Ausnahme, da er unabhängig von branchenfremden Kapitalgebern eine Zeitung herausgibt. Die griechische Presse gehört Reedern, Baufirmen und anderen Großunternehmern.

Zeitung ist für sie nur ein Nebenprodukt. Eleftherotypia-Redakteur Babis Argolabos betont: "Unser Hauptcharakteristikum war die Vielfalt der Meinungen, damit hatten wir es mit einer linksliberalen Zeitung geschafft, an der Spitze der Verkäufe zu stehen."

Die Spitze des Eisbergs

Doch die alles ergreifende Wirtschaftskrise lässt auch Riesen der Medienbranche nicht unberührt. Eleftherotypia ist nur die Spitze des Eisbergs. Dutzende Verlage stellen seit zwei Jahren sukzessive ihr Programm ein.

Die Zeitungen Apogevmatini und Die Welt des Investors haben dicht gemacht, die Tageszeitung To Vima erscheint nur noch wöchentlich.

Sogar das Fernsehen kränkelt: Der private Sender ALTER, vergleichbar mit dem deutschen ProSieben, hat krisenbedingt seit Anfang 2011 keine Gehälter ausgezahlt.

Die Beschäftigten des Senders sind seit November im Streik. Sie fordern, das bereits Erarbeitete bezahlt zu bekommen, um nicht ohne den Lohn eines ganzen Jahrs in die Arbeitslosigkeit zu gehen.

Vollversammlung hat gewählt

"Das ist Medienmachen im Ausnahmezustand", sagt Dimitris Psarras. Bei dem Experiment der nun gestemmten Eleftherotypia-Ausgabe sind Journalisten genauso beteiligt wie Techniker und Grafiker.

Sie repräsentieren die große Mehrheit der Belegschaft. Sie waren es, die die neue, vierköpfige Redaktion in einer Vollversammlung gewählt haben.

Damit schließt sich ein Kreis. Denn Eleftherotypia war in den 70ern aus einem großen Journalistenstreik hervorgegangen. Damals ging es um den Wiederaufbau der Gesellschaft nach der Diktatur, erzählt Psarras.

Vollwertige Wochenzeitung

Heute gehe es darum, inmitten eines durchlöcherten Alltags mit sturer Selbstaktivität die journalistische Verantwortung in die eigenen Hände zu nehmen. Daher möchte das nun in Eleftherotypia der Redakteure umgetaufte Blatt keine Streikzeitung sein. Es ist eine vollwertige Erstausgabe. Das Ziel ist klar: Es soll wenigstens eine regelmäßige Wochenzeitung geben.

Über die Finanzierung des Drucks der 56 Seiten mit einer Auflage von 40.000 Stück macht man sich keine Sorgen. Solidarische Drucker helfen aus, Fotografen und Agenturen liefern unentgeltlich. "Außerdem werden wir die komplette Auflage verkaufen", heißt es optimistisch in der Redaktion. Da die nicht auf die Infrastruktur des Unternehmens zurückgreifen kann, wird in einem improvisierten Büro produziert.

"Wir wollten beweisen, dass es in einem Printmedium die Beschäftigten sind, die den Unterschied machen", heißt es in der Presseerklärung der selbstorganisierten Blattmacher. Die Ausgabe sei den Kollegen aller Abteilungen zu verdanken, die ihre Zeit umsonst investiert haben.

Blick nach vorn

"Sie haben absolut professionell gearbeitet, ohne in einer Antihaltung zu verharren, sondern mit dem Blick nach vorne und mit produktiven Vorschlägen."

Die Geschichte der Eleftherotypia könnte symptomatisch sein für einen neuen Trend in der griechischen Zivilgesellschaft. Inmitten der zusammenbrechenden Wirtschaft wird die Flucht nach vorne zur eigenständigen Perspektive.

Die Redakteure der Eleftherotypia wissen aus ihrer eigenen Geschichte, dass das klappen kann. Denn eine ähnlich Haltung führte 1975 zu eine Zeitung, die 40 Jahre lang Bestand hatte.

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9 Kommentare

 / 
  • UN
    user name placeholder

    Wunderbar! In Griechenland keimen die ersten Ansätze zur Selbstverwaltung auf. Davon können sich alle mal ne Scheibe abschneiden.

     

    Viva la autonomia! :-)

  • M
    @Meistertroll

    In Griechenland wird in vielen Betrieben nicht bezahlt und Klagewege sind schwierig und langwierig, außerdem ist die Justiz nicht so pralle. So nützen alle schönen Reformen und neuen Gesetze gegen große Steuersünder überhaupt nichts, weil die Richter nicht mitspielen: Die werden meist weder richtig verknackt, noch kommen die U-Haft.

    Z.z. sind neben anderen Betrieben ein Krankenhaus in Chalkis und eine große Stahlfabrik in Aspropyrgos/Athen besetzt, letztere seit über 100 Tagen.

    Mehr Infos auf Contra-Info und Occupied London...

  • D
    DonQuichote

    Eine vorbildliche Initiative!

     

    Erinnert werden muss allerdings daran, dass die greichische Presse insgesamt in den letzten 12 Jahren kläglich versagte:

     

    Sie deckte nicht den zunehmenden Staatsbetrug durch Statistikfälschung über die Verschuldung auf.

    Sie erreichte jedenfalls nicht, dass die Wähler die Klientel(miss)wirtschaft aller Parteien durchschaute.

    Sie erreichte wohl nicht einmal, dass linke Griechen Hinterziehung gesetzlicher Abgaben als unsolidarischen Betrug geisseln (Sonst hätte eine griech. Redakteurin der taz in ihrem Interview einer Athener Immobilienbesitzerin nicht die Verweigerung der Immobilienabgabe mit der schändlichen Ausrede "weil ich das nicht einsehe" durchgehen lassen)

  • M
    Mario

    War vor gar nicht allzu langer Zeit mal eine Qualitätszeitung. Als ich noch in Athen gewohnt habe wars DIE griechische Zeitung die ich mir wirklich jeden Morgen geholt habe. Leider hat man sich in den letzten Jahren zu sehr in vorgefertigte Mythen geflüchtet - das Deutschen-Bashing zB hatte in letzter Zeit schon aberwitzige Züge. Und das sage ich als Nicht-Deutscher. Auch die Elefhterotypia Redaktion hat nicht zu knapp griechischen Opfermythos mitgedreht & damit am Verzögern von Reformen. Im Übrigen bekam auch diese Zeitung jahrelang staatliche Zuschüsse, so (romantisch) unabhängig wie die Belegschaft gerne darstellt war sie nie...

  • ML
    Max Lewien

    Wunderbar,dieser Ansatz zu so etwas wie einem "Belegschaftssozialismus" in der griechischen Presse- wie viele ähnliche, zeitweise erfolgreiche Versuche von so etwas wie "Arbeiterselbstverwaltung" hat es ja auch schon im nicht von brutaler Wirtschaftskrise betroffenen Phasen der neueren europäischen Geschichte gegeben.ie haben alle wenigstens eine kurze Zeit in kapitalistischem Kontext funktioniert. Dies bestärkt die Richtigkeit z w e i e r Thesen:

     

    1. Die moderne Produktion kann o h n e Kapitalisten, ohne kapitalistisches Privateigentum an den Produktionsmitteln sehr sehr gut funktionieren.-

     

    2. Ohne die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln landes-. bzw. auf genügend großem politökonomischem Territorium, hat solche lebenswerte Vorform sozialistischer Produktion auf die Dauer keine Überlebenschance.

     

    Darum kann den griechischen "Belegschaftssozialisten" bei Elefteria usw. langfristig nur geholfen werden, wenn in Griechenland, aber letztlich in der gesamten EU Sozialismusversuche auf den Weg kommen.

     

    Insoweit ist die jetzt von Attac, der Partei Die Linke u.a. kapitalismuskritischen Organisationen den von Merkel-Tuberkel mitsamt ihrer kapitalistischen Troika geqälten Griechen angebotene Hilfe für mich so etwas wie ein kleines Hoffnungszeichen für das Entstehen wenigstens von so etwas wie einer sozialen EU. ich kann nur hoffen, es bleibt da nicht bei Worten.

     

    Übrigens wurde die Meldung über die angebotene Hilfe kurzzeitig in der FR gebracht, wenige Stunden später war wie nicht mehr darin zu finden.

  • M
    Meistertroll

    Nicht ganz klar ist mir:

     

    ZITAT: „Den Mitarbeitern war nicht mehr einsichtig, warum die Geschäftsführung nicht zahlt. Insolvent ist das Unternehmen nicht.“

     

    Aha. Das Unternehmen zahlt halt nicht. Und niemand kommt auf die Idee, die Forderung einzuklagen? Oder gibt es in Griechenland keine Rechtsprechung mehr?

     

    Bessere bzw. umfangreichere Recherche vor Abdruck eines solchen Artikels würde Sinn machen.

  • M
    Meistertroll

    Nicht ganz klar ist mir:

     

    ZITAT: „Den Mitarbeitern war nicht mehr einsichtig, warum die Geschäftsführung nicht zahlt. Insolvent ist das Unternehmen nicht.“

     

    Aha. Das Unternehmen zahlt halt nicht. Und niemand kommt auf die Idee, die Forderung einzuklagen? Oder gibt es in Griechenland keine Rechtsprechung mehr?

     

    Bessere bzw. umfangreichere Recherche vor Abdruck eines solchen Artikels würde Sinn machen.

  • NP
    Nestor Perikles

    Die Zeitung hatte übrigens den bisher einzigen Brief des griechischen Ausbrecherkönigs Vassilis Palaiokostas veröffentlicht. Seine im Brief genannten, mittlerweile zu 22 Jahren verknackten Kumpels erwarteten gestern ihre Berufungsverhandlung; sie wurde aufgrund von Streik auf April verlegt.

    Wenn leider das System bis dahin durch hält, ein weiterer spannender Prozess, in dem mal wieder die Konstrukte der Justiz erledigt werden könnten, wie es so oft der Fall ist, wenn in Griechenland anarchistische Gefangene in Berufung gehen; die bekannten "Robbers In Black", die angeblich bewaffnete Gruppen mit Banküberfällen finanziert haben sollen und ihre Festnahmen immer nur mit viel Glück überlebt hatten, wurden bisher, bis auf einen noch ausstehenden Prozess, alle wieder freigesprochen:

    http://rioter.info/2010/01/31/vassilis-palaiokostas-letter-to-the-media/

    Im Gegensatz zu Jacques Mesrine würde das ein feines Drehbuch noch zu Lebzeiten geben...

  • S
    Stefan

    "Die Redakteure der Eleftherotypia wissen aus ihrer eigenen Geschichte, dass das klappen kann. Denn eine ähnlich Haltung führte 1975 zu eine Zeitung, die 40 Jahre lang Bestand hatte."

     

    1975+40=2015

     

    Das soll uns wohl sagen, daß Griechenlands Lage auf solchen Rechenfähigkeiten zurückzuführen ist?