Zwangseinweisungen in die Psychiatrie: Weniger Freiheit im Westen
In Ostdeutschland ist das Risiko, in die Psychiatrie zwangseingewiesen zu werden, deutlich niedriger als in Westdeutschland. Warum, ist unklar.
BERLIN taz | Wer in Westdeutschland wohnt, hat ein höheres Risiko, in eine Psychiatrie zwangseingewiesen zu werden, als Bürger in Ostdeutschland. Das geht aus einer Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung hervor, die der taz vorliegt.
So lag Bremen 2011 mit 205 öffentlich-rechtlichen Zwangseinweisungen auf 100.000 Einwohnern an der Spitze, gefolgt von Schleswig-Holstein (179) und Hessen (175). Der Osten ist hingegen deutlich zurückhaltender beim Freiheitsentzug: Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen bilden mit jeweils 32, 27 und 22 Zwangseinweisungen auf 100.000 Einwohner das Schlusslicht.
Eine öffentlich-rechtliche Zwangsunterbringung ist per Gerichtsbeschluss und nach Ländergesetzen möglich, wenn der Betroffene psychisch schwer krank ist und die öffentliche Sicherheit gefährdet. Es gibt daneben auch zivilrechtliche Unterbringungen. Ein Betreuer kann sie bei Gericht auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches erwirken, wenn der Betreute psychisch erkrankt oder behindert ist und sich selbst gefährdet oder wenn nur durch eine Unterbringung eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff vorgenommen werden kann.
Auch bei den zivilrechtlichen Zwangseinweisungen zeigt sich der Westen deutlich rigider als der Osten. So fiel 2011 beispielsweise mit 134 Fällen auf 100.000 Einwohner die Wahrscheinlichkeit, in Bayern eingewiesen zu werden, rund elfmal höher aus in Thüringen (12 Fälle).
Ursache der Unterschiede unklar
Die Linke ist alarmiert. Lasse man Berlin außen vor, sei die Wahrscheinlichkeit, im Westen zwangseingewiesen zu werden, etwa zweieinhalb mal so hoch wie im Osten, sagt Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Auch der deutliche Anstieg der Zwangseinweisungen – 2000 gab es 92.162 insgesamt, 2011 bereits 135.263 – zeige: „Das gesamte System gehört auf den Prüfstand.“
Doch es ist unklar, woher die Unterschiede rühren. „Es könnte sein, dass im Westen kürzer, dafür aber dieselbe Person häufiger eingewiesen wird“, sagt der Berliner Psychiater Tom Bschor. Auch liberalere Traditionen im Osten oder eine Ballung psychischer Erkrankungen in dichter besiedelten Regionen des Westens könnten eine Erklärung sein, sagt Bschor. „Wir wissen noch zu wenig.“
Peter Falkai, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, weist zudem auf die unterschiedlichen Ländergesetze hin. „Die sollten vereinheitlicht werden.“ Doch dazu sei der Bund nicht befugt, sagt die Bundesregierung.
In der Frage von Zwangsmedikationen tut sich jedoch etwas. Bund und etliche Länder überarbeiten derzeit ihre Normen. Denn der Bundesgerichtshofs (BGH) urteilte im Juli, dass die rechtliche Grundlage für eine Zwangsmedikation betreuter psychisch Kranker in geschlossenen Einrichtungen derzeit nicht ausreiche. Es fehle unter anderem eine ausdrückliche richterliche Genehmigung, so der BGH. Psychisch Kranke seien gegen ihren Willen nicht zu behandeln, bis ein neues Gesetz vorliege.
„Wir dürfen die Leute nur noch wegsperren, aber nicht behandeln. Das ist mit ärztlicher Ethik nicht vertretbar. Also haben wir Patienten entlassen, die dringend Hilfe benötigen“, sagt Bschor, der die psychiatrische Abteilung der Berliner Schlosspark-Klinik leitet. Er befürwortet die Stärkung der Patientenrechte. „Aber ein Gesetz dazu muss so schnell wie möglich kommen.“
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