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Zentrum gegen Genitalverstümmelung„Raus aus dem Elend“

In Zehlendorf eröffnet das bundesweit erste Zentrum für Frauen mit Genitalverstümmelung. Auch in Berlin seien 5000 bis 6000 Frauen betroffen, sagt Chefarzt Roland Scherer.

Missio-Mitarbeiterin Elisabeth schaut im kenianischen Ort Gilgil auf Instrumente, mit denen Mädchen beschnitten werden. Das Foto stammt aus dem Jahr 2004. Bild: dpa
Interview von Anna Kusserow

taz: Wie kam es dazu, in Berlin ein Krankenhaus für Frauen zu gründen, denen Genitalverstümmelung widerfahren ist?

Roland Scherer: Zu einem internationalen Ärztekongress habe ich letztes Jahr die Aktivistin Waris Dirie eingeladen, die einen eindrucksvollen Vortrag gehalten hat. Seit diesem Kongress haben wir sehr guten Kontakt. Ihr ist es wichtig, politisch gegen die weibliche Beschneidung zu kämpfen, sie hatte aber bisher keinen medizinischen Partner dafür gefunden. In unserer Klinik haben wir diese Expertise: Wir sind auf typische Folgen von weiblicher Beschneidung wie Darm- und Beckenbodenverletzungen spezialisiert. Gemeinsam mit Waris Diries Engagement können wir viel bewegen.

An wen richtet sich Ihr Angebot?

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine 5.000 Jahre alte Tradition, die vor allem in Afrika verbreitet ist. Trotz Verbot wird sie aber auch in Europa noch praktiziert. Dabei gibt es sie sowohl in christlich als auch in islamisch geprägten Ländern. Für die betroffenen Frauen in Afrika ist es oft unmöglich, hierher zu reisen, viele sind Analphabetinnen. Primär werden deshalb wohl Frauen in Europa unser Angebot in Anspruch nehmen. Langfristig wollen wir aber auch ÄrztekollegInnen aus Afrika fortbilden.

Wie groß ist das Problem der weiblichen Genitalverstümmelung in Europa?

In Berlin gehen wir von 5.000 bis 6.000 Betroffenen aus, in Deutschland sind es etwa 30.000 bis 40.000 Frauen, häufig aus Einwandererfamilien aus Ostafrika. In Europa sind es schätzungsweise mehrere Millionen Frauen.

Im Interview: Roland Scherer

50, ist seit sieben Jahren Chefarzt der Abteilung Darm- und Beckenbodenchirurgie im Krankenhaus Waldfriede in Zehlendorf. Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich mit den Folgen weiblicher Genitalverstümmelung. Er rief das Zentrum für Frauen mit Genitalverstümmelung gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Krankenhauses ins Leben.

Wer sind die Betroffenen?

Meist sind die Mädchen bei dem Eingriff zwischen vier und zehn Jahren. Teils werden sie im Urlaub beschnitten, oder die Beschneiderinnen kommen hierher. Ein Problembewusstsein entsteht erst, wenn ein Loslöseprozess von der Familie stattfindet. Überhaupt sehen sich Frauen mit der Problematik oft erst konfrontiert, wenn es in einer Gesellschaft nicht der Normalfall ist – so wie in Europa.

Wie sieht Ihre Hilfe konkret aus?

Rekonstruktionsoperationen sind in den Familien oft nicht anerkannt. Wir wollen die Frauen aber nicht zu einer Operation überreden, sondern dabei begleiten, wenn sie es wollen. Die Operation ist außerdem der kleinste Teil – die Betreuung ist sehr wichtig. Dabei wollen wir niedrigschwellige Angebote: Wir arbeiten mit Selbsthilfegruppen, einer Seelsorgerin, einem Psychologen und Übersetzerinnen zusammen. Mit den Frauenärztinnen gibt es weibliche Ansprechpartnerinnen. Wir rechnen mit 50 bis 100 Patientinnen im Jahr. Ich wünsche mir, dass jede Frau, die beschließt, aus ihrem gesundheitlichen Elend herauszukommen, die Möglichkeit dazu hat.

Wer ist Teil des Zentrums?

Mit dabei sind etwa der Runde Tisch gegen weibliche Beschneidung und Mama Afrika. Die haben die besten Möglichkeiten, Frauen unser Angebot vorzustellen: Die meiste Information über das Zentrum geht wohl über Mund-zu-Mund-Propaganda.

Was kosten die Operationen?

Eine Operation kostet um die 8.000 Euro. Bei Versicherten trägt das die Krankenkasse. Wir wollen aber auch Nicht-Versicherte behandeln. Das muss dann erst mal das Krankenhaus tragen. Dafür haben wir einen Förderverein eingerichtet, der durch Spenden finanziert wird. Vielleicht werden etwa 20 bis 30 Patientinnen pro Jahr nicht krankenversichert sein. Das werden wir wohl stemmen können.

Wann kann man sagen, dass der Kampf gegen weibliche Beschneidung gewonnen ist?

Ich würde mir wünschen, dass es unser Zentrum nicht geben müsste. Aber ich bin realistisch. Unser Kampf ist nur ein kleiner Baustein. Leider beobachten wir: Genitalverstümmelung nimmt eher zu, als dass sie abnimmt.

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10 Kommentare

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  • W
    Wieso?

    Genitalverstümmelung bei Jungs ist in Deutschland ganz legal. Das feiert man als Toleranz und religiöse Vielfalt.

  • B
    Beelzebub

    @ claudi

     

    Die neugeborenen jüdischen Jungen, denen ohne jede Betäubung von einem schmutzigen alten Mann der Körperteil weggeschnitten wird, in dem die mit Abstand höchste Dichte sensorischer Nerven sitzt, können sich natürlich prima wehren, gell.

     

    Und wenn es unbedenklich ist, bei den Jungen die Vorhaut wegzuschneiden, dann müsste das zumindest für die Vorhaut, die die Klitoris umschließt, doch auch so sein. Also müßte für dich zumindest eine teilweise Beschneidung auch bei Mädchen zulässig sein. Oder etwa doch nicht?

     

     

    @ Gast

     

    Welche Frauen mit der Mädchenbeschneidung zufrieden sind?

     

    Z.B. die Frauen, die sie vornehmen. Oder die stramm islamischen Frauen, die in Fernsehinterviews sagen: "Ich will nicht, dass meine Tochter später mal herumläuft wie eine läufige Hündin."

     

     

    Im übrigen: wenn eine alte Tradition schützenswerter sein soll, als das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, dann gilt das entweder für alle oder für keine.

  • G
    Gast

    @Beelzebub:

    Die "Genitalverstümmelung" bei Jungen wäre bei Tieren nicht nur erlaubt, es wird sogar weit darüber hinaus gegangen.

     

    Kleinen männlichen Ferkel dürfen von medizinischen Laien und ohne Betäubung die Hoden herausgequetscht und abgeschnitten werden. Legal und millionenfach.

     

    Auch die meisten anderen männlichen Heim- und Nutztiere werden einfach kastriert.

     

    Ich nehme an, sie wären dann doch lieber ein Menschenjunge als ein Schweineknabe, oder?

    • I
      irmi
      @Gast:

      Dann setzen Sie sich doch dafür ein, das die Tiere, die Sie hier bedauern wenigstens eine örtliche Betäubung bekommen.

       

      Bei Hunden und Katzen ist sicher, die bekommen eine Vollnarkose.

  • G
    Gast

    Es ist einfach lächerlich, die Beschneidung von Jungen, wie sie im Islam und Judentum geübt wird, mit der Beschneidung von Mädchen zu vergleichen. Wer das tut, hat sich noch nie angeschaut, was "Beschneidung" bei Mädchen bedeutet.

    Der Vergleich ist geradezu grotesk. Viele beschnittenen Männer sind damit sehr zufrieden. Aber welche Frau mit Genitalverstümmelung?! Es gehört sehr viel Ignoranz dazu, hier Vergleiche zu ziehen!

  • N
    nihi.list

    Lese ich aus diesem Interview etwa leise Kritik an der Beschneidungspraxis an Mädchen?

    Liebe TAZ, das geht ja nun gar nicht. Das ist ja wohl voll Nazi. Wie wir seit der Beschneidungsdebatte um Jungen wissen, hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Kindes gefälligst hinter kulturellen/religiösen Interessen der Eltern zurück zu stehen.

  • K
    Katholisch

    Das ist lächerlich. In Deutschland sollen die Scäden wieder gut gemacht werden, die aus anderen Traditionen hereingekommen sind.

    Eine Verfassungsänderung muss her und zwar in dem Sinne, dass alle, die sowohl Mädchen als auch Jungen genital verstümmeln, in diesem Land nichts zu suchen haben.

    Die Debatte um die Beschneidung von Jungen hatten wir bereits, diese ist aus religiösen Gründen erlaubt. Wen wundert es da, dass Mädchen hier zu Schaden kommen? Oder auch nur im Urlaub.

    Solange im Jemen Menschenrechtsverletzungen an Kinden passieren, ist der Aufschrei in den Medien groß. Aber hier sind sofort alle Kritiker intolerant.

    Bis ein Krankenhaus eingerichtet wird.

    Na, ich wünsche allen noch, dass sie demnächst die richtige Partei wählen.

    • I
      Irmi
      @Katholisch:

      was ist daran lächerlich. Gut das es Leute gibt, die diesen Mädchen helfen.

      Wissen Sie überhaupt was den Mädchen alles weggeschnitten wird, zugenäht und dann die Infektionen ihr Leben lang, von Geburten habe ich noch nichts beschrieben.

      Die Debatte mit den Jungs ist darum so abgelaufen, weil man hier Angst vor Auseinandersetzungen hatte, unsere Regierung nicht den Mum hatte sich da durchzusetzen.

       

      Man konnte somit die Jungenbeschneidung hinter religiösen Themen begründen.

       

      Aber was mit den Mädchen passiert, das ist alles andere als hygienisch, noch viel viel schmerzhafter, der Akt allein und dann die Folgen ein ganzes Leben lang.

      Das ist bei den Jungen nicht der Fall.

  • B
    Beelzebub

    Einfach toll. Da bauen wir in Berlin ein Krankenhaus für genitalverstümmelte Frauen, das ca. 99% der betroffenen Frauen gar nichts nutzt, da die Verstümmelungen auf einem fernen Kontinent stattfinden, während zugleich hier und heute mit dem ausdrücklichen Segen des Gesetzgebers bei kleinen Jungen ohne jede Betäubung der schmerzempfindlichste Körperteil weggeschnitten werden darf, weil der Staat es zulässt, dass ein elementares Menschenrecht den perversen Obsessionen verbohrter religiöser Fanatiker geopfert wird.

     

     

    Übrigens: die Genitalverstümmelung, die bei kleinen Jungen ausdrücklich erlaubt ist, wäre nach Maßgabe des Tierschutzgesetzes bei jedem Wirbeltier verboten.

     

    Jungen gelten hierzulande mittlerweile weniger als Tiere!

    • C
      claudi
      @Beelzebub:

      Was Sie da schreiben ist ja mehr als krotesk.

      Richtig es finden die Verstümmelungen auch in fernen Kontinenten statt. Mir scheint Sie haben den Artikel nicht gelesen. Die holen dann Mädchen hierher und helfen ihnen, weil es im dortigen Land nicht möglich ist.

       

      Zweitens: Den Jungen wird ja nicht der Penis abgeschnitten sondern ein Stück der Vorhaut.

      Außerdem wurde die Beschneidung nur erlaubt, wenn es absolut hygienisch abläuft und oder in Kliniken oder Ärzten gemacht wird.

      Aber die Beschneidungen der Mädchen findet in einem Alter staat, wo sie sich nicht wehren können weil viel zu klein. Und dann noch mit Gegenständen die alles aber niemals steril sind, von den irren Schmerzen dabei abgesehen, das enfernt man nicht nur ein Stück Haut, sondern viel mehr und dann wird alles bei vollem Bewußtsein zugenäht,

       

      Bitte erst informieren, dann denken und erst dann, wenn überhaupt schreiben.