Wowereits Buch pro Integration: Der Anti-Sarrazin haut auf die Pauke
Integration ist primär eine soziale, keine kulturelle Frage, sagt Klaus Wowereit in seinem Buch "Mut zur Integration". Die späte Abrechnung mit Thilo Sarrazin ist ein Plädoyer für die offene multikulturelle Gesellschaft.
Mit Rot-Schwarz bricht keine bleierne Zeit an, zumindest in Sachen Integration gibt es Hoffnung: So lautet die Botschaft, die enttäuschte Wähler dem neuen Buch von Klaus Wowereit entnehmen können. Zentrale These des 160-Seiten-Essays mit dem Titel "Mut zur Integration", den der Regierende Bürgermeister am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse vorstellte: Integration ist vor allem eine soziale Aufgabe. Statt bis in alle Ewigkeit zwischen "Migranten" und "Biodeutschen" zu unterscheiden, müsse man alles daran setzen, alle sozial benachteiligte Menschen in die Gesellschaft zu integrieren - eine ursozialdemokratische Aufgabe, sagt das Arbeiterkind mit Verweis auf seinen eigenen "Integrationserfolg".
Mit diesem Ansatz setzt Wowereit nicht nur einen Kontrapunkt zu den rassistischen Thesen seines ehemaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin, den er als "notorischen Polarisierer ohne Lösungswillen" und "wahren Integrationsbremser" bezeichnet. Der SPD-Bundesvizevorsitzende bezieht mit seinem Integrationsbegriff zudem eine Position, die in seiner Partei durchaus Originalitätswert hat und unter den Genossen für Debatten sorgen dürfte. So erklärte der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky gegenüber der taz, das sei eine "These, um der Diskussion über kulturgeprägtes Integrationsverhalten auszuweichen". Der SPD-Abgeordnete Raed Saleh lobte dagegen Wowereits Begriff als "Metropolen-Integration", der der sozialen Realität entspreche.
Auch die laufenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU könnten spannend werden, wenn Wowereit ernst macht mit dem, was er schreibt: denn Forderungen wie die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Abschaffung der Optionslösung - nach der "Migrantenkinder" sich mit 23 Jahren für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen - sind mögliche Themen im Bundesrat, bislang aber mit den Konservativen nicht zu haben.
Grundsätzlich ist das Büchlein mit dem Untertitel "Für ein gemeinsames Miteinander" aber kein Hinderungsgrund für ein Bündnis mit den Konservativen. Zwar geht Wowereit mit der fehlenden Integrationspolitik von CDU-Bundesregierungen vergangener Jahrzehnte hart ins Gericht. Auch verurteilt er "zahllose Konservative", die bis heute nicht wahrhaben wollten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, in dem Nicht-Biodeutsche und Islam einfach dazugehören: "Eine Verweigerungshaltung, die dem Zusammenhalt in unserem Land und unserem weltweiten Ansehen oft geschadet hat und schadet", nennt er das. Zugleich spricht er jedoch offen von Versäumnissen und Fehlern der Sozialdemokraten - etwa bei den Hartz-Reformen, deren Schlechterstellung älterer Arbeitsloser auch viele EinwanderInnen der ersten Generation betroffen habe.
Wowereits Buch ist aber vor allem deshalb auch für gemäßigte Konservative akzeptabel, weil die Schlussfolgerungen aus seiner Kern-These, so "links" diese ist, lauten: Staat und Gesellschaft müssen zwar allen Teilhabe und Chancen zum sozialen Aufstieg, das heißt Zugang zu Bildung und Arbeit, ermöglichen. Aber die Menschen müssen diese Angebote - etwa Sprachförderung von der Kita an, Ganztagsschulen, Weiterbildung und so weiter - auch annehmen. Die Politik muss sozialen Aufstiegswillen fördern - notfalls aber auch mit sanften Zwangsmitteln einfordern. Beim bekannten "Fördern und Fordern" unterscheiden sich Sozialdemokraten wie Wowereit und Konservative wie der Berliner CDU-Chef Frank Henkel nur in Nuancen.
Trotzdem ist Wowereits Grundaussage ein Meilenstein. Schließlich ist es erst ein Jahr her, dass Thilo Sarrazin mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" in erschreckend weiten Teilen der Gesellschaft - und der SPD - Zustimmung geerntet hat. Wowereit fragt zu Recht: "Wo waren damals die gesellschaftlichen Verantwortungsträger in diesem Land", die sich der Sarrazinschen Stigmatisierung bestimmter Minderheiten in den Weg gestellt hätten?
Wowereit stand damals auch nicht in vorderster Anti-Sarrazin-Front. Dafür lässt es seine jetztige Abrechnung nicht an Deutlichkeit fehlen: "Die Absicht hinter einem Konvulut falscher, halbwahrer und bewusst isoliert betrachteter Zahlen ist unschwer zu erkennten. Es geht nicht um Lösungen, sondern um Panikmache." Und: "Wer andere aufgrund ihrer Religion oder DNA zu weniger wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft erklärt, der erntet kurzfristig billigen Applaus von den Ängstlichen, säht langfristig aber Konflikte, deren Entschärfung unendlich viel Energie erfordert."
Denn eigentlich, so Wowereits optimistisches Fazit von gut 50 Jahren Einwanderungsgeschichte, ist Integration in Deutschland millionenfach gelungen. Diese Erfolge gelte es zu betonen, statt nur auf den Problemen herumzureiten. Diese seien zwar vorhanden, stellt der Regierende klar. Deswegen aber wie die Bundeskanzlerin zu erklären, Multikulti sei gescheitert, sei "Wirklichkeitsverweigerung (...) - die multikulturelle Gesellschaft ist Realität in Deutschland."
Und so gelte es zunächst, die Erfolgsgeschichten herauszustellen - als Vorbild und Ermutigung für alle, die es noch nicht geschafft haben. Für sie "verlässliche Aufstiegsmöglichkeiten zu organisieren", müsse das vorrangige Ziel sozialdemokratischer Politik sein. Armut an sich sei das kleinere Problem, sagt Wowereit - und blickt auf seine eigene Kindheit als Sohn einer Alleinerziehenden. "Wir fühlten uns ganz bestimmt nicht prekär, sondern voller Tatendrang."
Heute allerdings hätten viele das Gefühl, von vorneherein vom sozialen Aufstieg ausgeschlossen zu sein. Das gelte für "biodeutsche" Langzeitarbeitslose genauso wie für "migrantische" Jugendliche, die wegen ihres Namens keinen Ausbildungsplatz bekommen. Eine solche Exklusion von Menschen, die als "wertlos" und "rechtlos" abgestempelt werden, sei nicht nur zutiefst undemokratisch - sie trage auch dazu bei, dass sich die Ausgeschlossenen von der Mehrheitsgesellschaft abwenden. "Exklusion ist also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung mit Eskalationsgarantie", schreibt Wowereit. Die Lösung liege im Gegenteil: der Inklusion und Teilhabe aller. Dafür müsse der Staat Bildung für alle, Arbeit zu existenzsichernden Löhnen und Zukunftsperspektiven bieten. Dass dies ein ursozialdemokratischer Ansatz ist, betont Wowereit wieder und wieder - vor allem in Richtung der eigenen Genossen. Und er erinnert daran, dass es schon in den Anfängen der Sozialdemokratie um Bildung und Integration ging - erst der Arbeiter, dann der Frauen. Wie so etwas heute aussehen kann, müssen die Mühen der Ebene zeigen. Aber wo der Mann Recht hat, hat er Recht.
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