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Wohnen in BremenDer Wandel eines Ghettos

Osterholz-Tenever genießt bis heute keinen guten Ruf. Dabei hat sich das Quartier durch Sanierung und Abriss zu einem (fast) normalen Wohngebiet gemausert.

Die Beton-Balustraden mussten weichen: Seit der Sanierung 2003 gibt es in Tenever mehr Licht und Grün. Bild: Simone Schnase

BREMEN taz | Die Mieten steigen, günstige Wohnungen werden knapp. Das Viertel kämpft gegen die Stadtaufwertung, Tenever dafür. Wohnungsbündnisse werden geschmiedet, zugleich Luxuswohnungen gebaut. Wie leben die Menschen in armen und reichen Vierteln? Die taz.bremen beleuchtet in loser Folge, wie BremerInnen wohnen und sich der urbane Raum verändert.

Wer mit Joachim Barloschky einen Spaziergang durch die Hochhaussiedlung von Tenever unternehmen will, sollte Zeit mitbringen. Er spricht jeden an, fragt, wie’s geht, ob die Wohnung in Ordnung ist, was der Job oder die Schule macht, ob’s was Neues gibt im Quartier. Barlo, so nennen ihn alle, hat zehn Jahre lang hier gewohnt und weitere zwanzig Jahre als Quartiersmanager für Tenever gearbeitet. Und er hat nicht nur die größte Veränderung des Viertels erlebt, sondern sie aktiv mitgestaltet.

Aber von vorn. Falsche Planung und fehlende Infrastruktur machten die in den frühen 70er-Jahren gebauten Hochhäuser schon nach kurzer Zeit zum Problemviertel, Immobilienspekulanten ließen Häuser verkommen, die Bauweise tat ihr Übriges: Durch doppelte Eingangsbereiche, einmal ebenerdig und einmal im Hochparterre, abgehend von Beton-Balustraden, die alle Häuser umspannten, entstanden sogenannte „Angsträume“ mit dunklen Ecken und unübersichtlichen Zuwegen. Freiflächen bestanden aus Parkplätzen, Zufahrten und der Tiefgarage. Im Inneren waren die Hochhäuser immer dunkel, denn sie standen sich in geschlossenen Blöcken gegenüber. Vandalismus, sagt Barlo, sei damals an der Tagesordnung gewesen.

Sanierung und Abriss

Dabei sind lange nicht so viele Wohnungen gebaut worden wie geplant, ursprünglich sollten es nämlich knapp 4.500 werden. Aber selbst die umgesetzten 2.650 „Wohneinheiten“ hatten mit Leerstand und Wegzug zu kämpfen. Keiner wollte dorthin, die BewohnerInnen wurden als „asozial“ stigmatisiert.

In den 80er-Jahren erkannte man die Probleme der „Großwohnsiedlungen“, und Tenever wurde in ein Programm zur Nachbesserung selbiger aufgenommen. Das war genau in der Zeit, als Barlo dorthin zog. Er setzte sich als „Bewohner-Aktivist“ ein, bevor er sein Engagement zum Beruf machte und Quartiersmanager wurde. Er hat erlebt, wie die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewoba die Häuser nach und nach aufkaufte, um sie im Rahmen des bundesweiten Modellprojekts „Stadtumbau West“ 2003 vom Ghetto in ein lebenswertes Viertel zu verwandeln.

Hochhausgebiet Tenever

Unter dem Leitbild "Urbanität durch Dichte" haben das Wohnungsunternehmen "Neue Heimat Bremen", die "Nordwestdeutsche Siedlungsgesellschaft" und das "Städtebau-Institut Nürnberg" in Osterholz-Tenever die 60er-Jahre-Vision städtebaulichen Fortschritts umgesetzt.

Nach der Idee der "Funktionstrennung" sollten die Arbeitsplätze der Menschen in der Stadt, ihre Wohnbereiche im Randbezirk liegen.

Das dezentrale Hochhausgebiet Tenever entstand so, mit Wohnraum für ein Bevölkerungswachstum, das genauso ausblieb wie zu Ende geführte Bauarbeiten.

Dafür wurde Tenever nicht nur saniert, sondern zum Teil abgerissen: „Die meisten Häuser waren so marode, dass eine Sanierung teurer geworden wäre als ihr Abriss“, sagt Barlo. Trotzdem: „Wir haben immer ein Auge darauf gehabt.“ Die Gewoba habe zum Beispiel ein Haus abreißen wollen, das in Ordnung gewesen sei, im Gegenzug aber eines sanieren, bei dem sich der Aufwand nicht mehr gelohnt hätte, und das eine oder andere Haus hätten die Stadtteil-AktivistInnen auch gern behalten, „aber man muss insgesamt schon sagen, dass die Zusammenarbeit mit der Gewoba sehr gut war“.

Knapp 950 Wohnungen hat Tenever durch die Sanierung eingebüßt, ungefähr so viele standen auch leer. Seither gibt es Licht und Grün: Die 10.000 BewohnerInnen schauen nicht mehr auf Fassaden, sondern auf Freiflächen. Die wurden begrünt und mit Spiel- und Bolzplätzen und Sitzgelegenheiten versehen. Die Beton-Balustraden wichen großen Eingangsbereichen. Da hinein haben die Sanierungs-Architekten Glasboxen gebaut, in denen Concierges sitzen.

„Die haben auch Briefmarken da und nehmen Post oder Pakete an“, sagt Peter Hallamoder, der in dem mit 21 Stockwerken höchsten Haus Tenevers wohnt. „Gerade für ältere Leute ist der Concierge toll, denn er nimmt ihnen nicht nur einiges ab, sondern er redet auch mit ihnen.“ Die Concierges sind Angestellte eines Beschäftigungsträgers, der sich um Langzeitarbeitslose kümmert und dürfen nicht in Konkurrenz zum sogenannten „ersten Arbeitsmarkt“ treten. Wo es Hausmeister und Sicherheitsdienste gibt, darf der Concierge nicht einspringen.

Dass Sicherheitsleute ihre Runden drehen, wäre ohnehin seltener nötig, sagt Barlo: „Die Kriminalität ist hier maximal durchschnittlich hoch.“ Seit der Sanierung sei sie stark zurückgegangen, selbst nach Graffiti müsse man hier suchen: „Die Menschen respektieren und mögen das neue Tenever.“ Das mache sich auch in der Bewohnerstrukur bemerkbar: Während die meisten, die schon lange in Tenever leben, arbeitslos seien oder aufstockend Hartz IV bekämen, würden rund 70 Prozent der Menschen, die nach der Sanierung hergezogen seien, ihre Wohnungen ohne Hilfe vom Jobcenter oder Wohngeldamt bezahlen.

Das liegt aber nicht nur an den optischen Veränderungen: Barlo hat mit den AnwohnerInnen mehrere hundert Projekte gestartet und dafür gesorgt, dass es einen Kinderbauernhof, Skater-Anlagen und eine „Halle für Bewegung“ gibt, dass die Schwimmhalle nicht abgerissen wurde, Mütter und Arbeitslose Anlaufstellen haben, dass die Bewohner, von denen rund 75 Prozent einen Migrationshintergrund haben, Sprach- und Alphabetisierungskurse machen können. Die Mieten, die nach der Sanierung auf 4,50 Euro pro Quadratmeter gestiegen sind, hält er für moderat.

Zwei große Probleme hat Tenever allerdings noch immer, und die heißen: Neuwieder Straße 1 und 3. Diese Häuser gehören nicht der Gewoba, sondern „Heuschreckeninvestoren“, wie die Leute sie nennen: Als reine Spekulationsobjekte wechseln sie immer wieder die Besitzer. Um die Häuser kümmert sich niemand, die Keller sind aufgebrochen und voller Unrat, die Wohnungen verschimmelt, die Fahrstühle kaputt. „Hier herrscht“, sagt Barlo, „ein Leerstand von 20 Prozent.“ Ein Anwohner erzählt, dass dort viele Menschen ohne Mietvertrag hausen würden, „auch im Keller“. Die Gewoba würde diese Häuser gerne kaufen, kommt aber nur schwer an die Eigentümer heran.

Not in ganz Bremen

Abgesehen von diesen beiden Häusern ist Tenever voll, die Gewoba hat Wartelisten von Miet-Interessenten. Ist vielleicht doch zu viel abgerissen worden? „Nein“, sagt Barlo. „Es fehlt vor allem an sehr großen und sehr kleinen Wohnungen, und die gab es vorher auch nicht.“

Das Grundproblem sei die Wohnungsnot in ganz Bremen: „Meiner Meinung nach sollten alle Bauherren dazu verpflichtet werden, 25 Prozent ihrer Wohnungen als sozialen Wohnbau auszuweisen.“ Dann entstünden nicht solche Neubaugebiete wie in der Überseestadt, „wo sich nur die Reichen eine Wohnung leisten können“. Auch ärmeren Menschen müsse im gesamten Stadtgebiet Wohnraum zur Verfügung stehen: „Ein neues Tenever kann ja wohl nicht das Ziel sein!“

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