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Weiblichkeit trotz BrustkrebsUnter Amazonen

Was ist weiblich: Po, Beine, Brüste? Letztere hat Uta Melle an den Krebs verloren. Fotografieren lässt sie sich trotzdem. Nackt. Als Amazone.

Weiblichkeit neu aneignen: Uta Melle ist auch ohne Brüste schön. Bild: Jackie Hardt

An einem Freitag im Frühling 2009 wird in Uta Melles linker Brust ein Knoten gefunden. Sie hatte ihn zuvor selbst ertastet. Ihre Mutter, die damals schon seit zwanzig Jahren gegen den Krebs kämpfte, hatte ihr beigebracht, wie es sich anfühlt. „Meine Mutter war für mich eine der schönsten Frauen der Welt, egal ob sie zwei, eine oder nur eine halbe Brust hatte. Hauptsache, sie lebte“, sagt sie.

Der Tag, an dem Uta Melle die Diagnose erhält, ist jener, an dem ihre Mutter den Kampf gegen den Krebs aufgibt. Sie stirbt zwei Tage später, zehn Minuten vor Mitternacht, zehn Minuten vor Melles 40. Geburtstag. Melle hatte zum ersten Mal seit Jahren wieder eine Party organisiert.

Auf keinen Fall soll die Mutter in ihren letzten Stunden von der Diagnose der Tochter erfahren. „Das hätte ihren Tod so grauenvoll gemacht. So ist sie weich eingeschlafen.“ Ein paar Tage nach der Beerdigung werden Uta Melle beide Brüste amputiert.

Ein so radikaler Eingriff ist mittlerweile selten. In achtzig Prozent der Fälle kann heute brusterhaltend operiert werden, also ohne Amputation. In Melles Fall ist das nicht möglich – ihr Busen ist zu klein. Hinzu kommt die familiäre Vorbelastung. Vorsorglich werden ihr später auch die Eierstöcke entfernt.

Drei Jahre später, Frühling 2012, Krankenhauscampus Virchow, Berlin: Uta Melle steht in einem Vorlesungssaal der Charité. Vor ihr sitzen ein paar Ärzte im Kittel, ansonsten sind nur Frauen da – Brustkrebsbetroffene wie Melle. Etwa jede Neunte erkrankt heute in Deutschland an Brustkrebs. 55.000 Neuerkrankungen sind das jährlich.

Melle ist nicht als Patientin in die Charité gekommen, sie will von ihrer Geschichte erzählen, von den Fotos. Fotos, die sie mit kahlem Kopf und nacktem Körper zeigen; die ihre Chemotherapie genauso dokumentieren wie auch die Narben, die sich quer über ihren Körper ziehen. Fotos, die, in einem Bildband zusammengefasst, nicht nur ihre Geschichte erzählen, sondern auch die von Schicksalsgefährtinnen. Die Frau mit dunklem Kurzhaarschnitt, Lederhose, engem Pulli, hohen Absätzen wirkt selbstbewusst. „Ich freue mich sehr, heute hier sein zu dürfen.“

Ziemlich viel Krankheit

Uta Melle ist in der Nähe von Kiel aufgewachsen. Seit ihrem zehnten Lebensjahr leidet sie unter einer genetischen Nierenfehlbildung. Als sie vierzehn ist, diagnostiziert man zudem Epilepsie. In ihrer Familie erkranken neben der Mutter auch der Großvater und die Großtante an Krebs. Alles in allem: ziemlich viel Krankheit.

Mit Anfang zwanzig zieht Melle nach Berlin, arbeitet als Werbekauffrau und studiert Business Administration. Und sie lernt Hendrick Melle kennen. Mit ihm fühlt sich plötzlich alles richtig an. Obwohl die Ärzte ihr raten, nicht schwanger zu werden, bekommt sie zwei Mädchen.

Wie für die meisten Patientinnen nach einer Amputation stellt sich auch für Melle irgendwann die Frage nach einem Wiederaufbau ihrer Brüste. Die Medizin nutzt dazu heute künstliche Implantate oder körpereigenes Gewebe. Genaue Zahlenangaben, wie viele Frauen tatsächlich ihre Brüste rekonstruieren lassen, gibt es nicht. Unverantwortlich findet Melle, dass manche Ärzte die Amputation und den Brustaufbau in einer Operation machen. Für sie ist das Scharlatanerie. „Erst die Heilung, dann der Brustaufbau“, fordert sie.

taz

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Und ihre Brüste? „Ich musste mir klar werden, was ich will. Kann ich der Gesellschaft ohne Busen gegenübertreten? Halte ich die Blicke aus? – Ja.“ Danach erst spricht sie mit ihrem Mann. „Brauchst du das?“, fragt sie ihn und lässt ihm Bedenkzeit.

Er braucht es nicht. Stattdessen bringt er ihr das Foto von einer Amazone, einer mythischen Kriegerin, die sich, um besser mit Pfeil und Bogen schießen zu können, eine Brust amputieren lässt. Fragt man Uta Melle, ob die Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn ihr Mann sie ohne Brüste nicht gemocht hätte, wird sie zögerlich. Vielleicht, meint sie. „Zum Glück hat er aber andere Vorlieben. Er ist eher Fußfetischist – meine Füße sind ja glücklicherweise noch da.“

„Bin ich noch sexy?“

Was schön ist, was weiblich ist – Uta Melle musste es sich nach der Operation neu aneignen. Sie schafft es über die Fotografie. Ihre Freundin, die Fotografin Jackie Hardt, hatte ihr kurz nach der Diagnose angeboten, vor der Amputation noch einmal Aktfotos von ihr zu machen. Dabei blieb es nicht – nach der Operation lässt Melle sich weiter fotografieren. „Ich wollte wissen: Wie sehe ich aus? Bin ich noch sexy?“ Sie posiert als David Bowie und Madonna, lässt sich zusammen mit ihrem Mann als John und Yoko ablichten.

Bilder scheinen einen therapeutischen Effekt zu bekommen. Während der Chemotherapie beginnt sie auf Facebook damit, jeden Tag ein Foto von sich hochzuladen, ungeschönt nackt, um zu zeigen, wie es ihr geht. Sie will dadurch nicht nur mit ihren Angehörigen kommunizieren, sie will auch andere Krebspatientinnen informieren.

Juni 2010 – ein Jahr nach der Operation: In einem Fotostudio in Berlin steht Melle wieder vor der Kamera. Diesmal ist sie nicht allein. Mit ihr am Set sind neunzehn weitere Frauen. Die meisten haben eine oder beide Brüste verloren. Melle hatte sie zuvor in Internetforen zusammengesucht und von ihrer Idee erzählt. „Amazonen“ soll das Projekt heißen, das sie mit den Fotografinnen Esther Haase und Jackie Hardt realisieren will – Bilder von Kämpferinnen.

Innerhalb von zwei Tagen entstehen unzählige Fotos. Die Frauen posieren als Kriegerinnen mit Waffen, zeigen sich mal hochgeschlossen, mal komplett nackt, mal mit Zigarette auf den Lippen, mal mit auf dem Rücken aufgemalten Brüsten. „Das ganze Projekt war besser als zwei Jahre Therapie für uns alle“, erzählt Melle.

Wenn sie heute die Bilder sieht, dann richtet sich ihr Körper auf. Sie liebt die Frauen, ihren Mut. „Ich fühle mich als vollwertige Frau, ich bin kein zartes Mädchen, das nur leidet.“ Die Fotos werden Brustkrebszentren für Ausstellungen angeboten, Melle will außerdem ein neues Shooting planen. Ihr Traum: tausend Amazonen aus allen Ländern auf einem Bild.

Die kaputte Niere, die Epilepsie und eine prognostizierte Lebenserwartung von 35 Jahren. „Jetzt hab ich noch Krebs, und bin immer noch da“. Melle sagt: „Ich hab mich nun wirklich nicht zu beschweren.“ Eigentlich.

„Natürlich kriege ich manchmal einen Anfall bei dickbusigen Frauen im Café, die ihr Dekolleté offen zeigen“, fügt sie hinzu. Und natürlich habe sie manchmal auch Tage, an denen sich alles unfair anfühlt. Aber immer jammern – nein. Für Melle ist im Grunde alles schon extra. „Ich hab 180 Prozent in meinem Leben erreicht. Ich bin wirklich in so einem richtigen Luxus, hab ich das Gefühl.“

Nadine Barth (Hg.), „Amazonen – Das Brustkrebsprojekt von Uta Melle“. Kehrer Verlag, 128 Seiten, 30 Euro.

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