piwik no script img

WOHNEN IDraufzahlen oder einpacken

Sozialsenator Czaja (CDU) will die Mietzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger neu regeln - Aktivisten befürchten trotzdem mehr Zwangsumzüge.

Noch im Budget? Plattenbau am Alex. Bild: dpa

In Berlin gibt es fast 100.000 Haushalte von Hartz-IV-Empfängern, deren Wohnungen mehr kosten, als das Jobcenter zahlt. Das hat eine Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus ergeben. „Das zeigt, wie dringend eine Neufestlegung der Kosten für die Unterkunft ist“, sagt die wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion, Katrin Lompscher. Andernfalls droht den Betroffenen der Zwangsumzug.

Tatsächlich ist das Land Berlin schon seit Herbst 2010 zu einer Neuberechnung der Mietzuschüsse verpflichtet – nun soll sie kommen. Einen entsprechenden Entwurf stimmt Sozialsenator Mario Czaja (CDU) derzeit im Senat ab. Vor eineinhalb Jahren hatte das Bundessozialgericht die bisherige Regelung gekippt – die entsprechende Verordnung beruhe nicht auf einem schlüssigen Konzept und sei intransparent. Trotzdem wird sie bis heute angewendet, denn der rot-rote Senat hatte es bis zu seiner Abwahl nicht geschafft, einen Neuentwurf vorzulegen.

Die Höchstgrenze für einen Ein-Personen-Haushalt liegt in Berlin bei 378 Euro warm, bei zwei Menschen sind es 444 Euro. „Dafür gibt es aber gerade in den innerstädtischen Bezirken kaum noch Wohnungen“, kritisiert Eva Willig von der „Kampagne gegen Zwangsumzüge“, die sich dafür engagiert, dass Hartz-IV-Empfänger in ihren Wohnungen bleiben können. Viele der Betroffenen müssten den zusätzlichen Betrag aus ihrem Regelsatz zahlen, wenn sie ihre Wohnung nicht verlieren wollen.

Günstig nur noch am Rand

Friedrichshain-Kreuzberg ist bei Neuvermietungen inzwischen der teuerste Bezirk - ein Ergebnis des Wohnungsmarktreportes, den das Immobilienunternehmen GSW gestern veröffentlichte. 8,02 Euro Miete pro Quadratmeter kostet dort im Schnitt eine Wohnung, 11 Prozent mehr als im Vorjahr. In der Innenstadt entstehen zwar die meisten Wohnungen - 80 Prozent sind jedoch Eigentumswohnungen, und die Preise für Neuvermietungen sind fast überall zweistellig gestiegen. Günstige Wohnungen gibt es in Berlin laut GSW weiterhin - allerdings eher in den Außenbezirken. Außerhalb des S-Bahn-Rings sind die Mieten "nur" um 2,1 bis 6,4 Prozent gestiegen. JS

Aktuelle Zahlen der Senatssozialverwaltung bestätigen diesen Eindruck: Immer mehr Menschen versuchen, durch eigene Zuzahlung oder Untervermietung der Aufforderung zur Senkung der Mietkosten nachzukommen. Ganz vorn liegt mit 4.187 Fällen Neukölln – hier steigen die Mieten derzeit besonders stark.

Karin Baumert, ebenfalls von der „Kampagne gegen Zwangsumzüge“, fordert deshalb eine differenziertere Berechnung: „Die Mietzuschüsse müssen für jeden Bezirk einzeln ermittelt werden, weil das Mietniveau in der Stadt sehr unterschiedlich ist.“ Nur so könne die Verdrängung in die Außenbezirke gestoppt werden.

Czaja sieht das anders: „Eine Untergliederung in Innenstadt- und Stadtrandbezirke würde eine Verdrängung noch beschleunigen.“ Die Vergangenheit habe gezeigt: „Wenn die öffentliche Hand die Zuschüsse erhöht, ziehen die Vermieter sofort mit.“ Fertig sei man mit dem Thema noch nicht.

Dass eine Anhebung der Mietzuschüsse Probleme mit sich bringen könnte, räumt auch Baumert ein. Aber sie zieht daraus einen anderen Schluss: „Niedrige Mietzuschüsse führen nicht zu niedrigen Mieten, sondern zur Verdrängung derjenigen, die sich die Mieten dann nicht mehr leisten können.“ Die Richtwerte niedrig zu halten, sei daher keine Lösung.

Die steigende Zahl der Umzüge aus der Innenstadt in Randbezirke wie Marzahn oder Spandau gehe nicht nur die Betroffenen an, sondern gefährde zudem den sozialen Frieden in der Stadt. „Wachsende Ghettoisierung fördert die soziale Polarisierung Berlins. Wenn sich nichts ändert, kann das bald richtig brenzlig werden.“

Der Staatssekretär für Soziales, Michael Büge (CDU), versprach vor wenigen Tagen im Sozialausschuss: „Bis Mai wollen wir etwas Vernünftiges auf den Weg gebracht haben.“ Wie die Neuregelung der Mietzuschüsse aussehen wird und ob die Richtwerte damit steigen, ist bisher noch völlig unklar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • OH
    Oma Herrmann

    Was sagt denn die nach eigenen Aussagen "stärkste Oppoitionspartei", BÜNDNIS 90/Die Grünen, zu dem Thema Zwangsumzüge???

  • S
    Schneider

    Der Senat hat leider in den letzten Jahren nichts gegen die steigenden Mieten unternommen. Stattdessen sei z. B. die Howoge die teuerste Wohnungsbaugesellschaft.

     

    Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften von Berlin müssen den ersten Schritt machen und mit der Anwendung der Mietobergrenzen, aufhören und die Mieten absenken. Die Gewinnerwartung des Senates muß eben korrigiert werden.

  • F
    Friederike

    Das ist nicht nur in Berlin so, auch in NRW ist das so. Das Problem ist, das man keine preiswerten Wohnungen bekommt, die Kautionen werden nicht übernommen und die Umzüge meistens nicht bezahlt.Hinzu kommen die Makler-ohne ist schon kaum was zu finden und wenn- sind es Bruchbuden.

     

    Irgendwann haben wir Ghettos und noch mehr Nachtjackenviertel. Extrem schlimm sind alleinstehende dran und auch arme Rentner, die niemanden mehr haben. Man hätte nicht mal Geld, sich gegenseitig zu helfen.

     

    Mit dem WBS (Wohnberechtigungsschein) kann man sich die Wand tapezieren. Trotz WBS sind die Vermieter Hartz IV-Bezhiehern nicht gewogen und es gibt auch kaum kleine Wohnungen.

     

    Die Probleme werden von der Politik gar nicht angefasst.

    Die Menschen werden weggedrängt aus ihrer gewohnten Gegend -und wie sie überleben, kratzt in Deutschland niemanden.

     

    Bei der nächsten Nebenkostenabrechnung stehen wieder tausende verzweifelte Bürger da und wissen nicht weiter.

    Heizt man nicht, schimmelt die Bude- heizt man- fliegt man raus.

     

    Armes Deutschland.