Vorwürfe gegen Günter Wallraff: „Er wollte sein Nachfolger werden“
Helmut Richard Brox, ehemaliger Weggefährte Günter Wallraffs, hält die aktuellen Vorwürfe gegen den Journalisten für haltlos. Er vermutet andere Hintergründe.
André Fahnemann, ein ehemaliger Mitarbeiter von Günter Wallraff, fühlt sich vom Kölner Enthüllungsjournalisten ausgebeutet, er hat im Spiegel ausgepackt. Auch Sie haben mit Wallraff zusammengearbeitet. Hat Fahnemann recht?
Helmut Richard Brox: Ich kenne Herrn Fahnemann seit November 2008 persönlich, ich hatte privat und beruflich mit ihm zu tun. Wallraff hat ihn immer gut behandelt. Es war sein größter Wunsch, von Wallraff gut behandelt zu werden. Was Wallraff auch tat.
Fahnemann wirft Wallraff vor, er habe ihn ausgenutzt. Er habe Hemden bügeln müssen und E-Mails bearbeiten.
Wallraff hat Fahnemann nie als Sekretär gesehen. Sondern als Helfer, der sich um einfache Bürotätigkeiten kümmerte. Es war umgekehrt! Fahnemann wollte mehr arbeiten. Es war der ausdrückliche Wunsch von ihm, dass er auch Botengänge machen darf. So konnte er Wallraff immer näher rücken.
Wie haben Sie Wallraff kennengelernt?
Ich bin selbst obdachlos. Wallraff hat mich Ende Oktober 2008 kontaktiert. Ihm war meine Seite im Internet aufgefallen. Wallraff bereitete gerade eine Reportage über Wohnungslose vor, das ZDF zeigte sie 2009 unter dem Titel „Unter Null“. Wallraff bot mir damals an, dass ich bei ihm in seiner Kölner Wohnung kostenlos wohnen könnte. Ich nahm sein Angebot an. Bis Mitte Mai 2009 lebte ich bei ihm. Auf seine Kosten.
48, lebt auf der Straße. Er engagiert sich für andere Obdachlose. Von November 2008 bis Mai 2009 wohnte er kostenlos bei Günter Wallraff. Dort erlebte er auch den Mitarbeiter André Fahnemann, der nun schwere Vorwürfe gegen Wallraff erhebt. Helmut Richard Brox betreibt eine Internet-Seite für Wohnungslose. Er ist nominiert für den Deutschen Engagementpreis 2012.
Sie haben keinen Cent Miete gezahlt?
Nein. Gar nichts. Er wollte nichts. Ich sagte: Günter, ich geh' aufs Sozialamt und lasse mir die Miete zahlen, ich hatte eigentlich Anspruch darauf. Er wollte das nicht. Er sagte: Du bist mein Gast. Er lud mich zum Essen ein, kaufte für mich ein. Ich bin ihm sehr dankbar.
Sie haben Wallraff bei der Recherche erlebt. Wie ging er mit Informanten um?
Bei seinen Recherchen zum Film „Unter Null“ hat er alle gut und fair behandelt, ausnahmslos.
Und wie ging er mit André Fahnemann um?
Ich kann sagen, dass er ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm hatte. Er war sehr offen, in allen Punkten. Fahnemann konnte sich im Haus bewegen, wie er wollte. Er konnte an Wallraffs Geld ran. Diese Offenheit, diese Vertrautheit, brachte er auch anderen Menschen entgegen. Mir zum Beispiel.
Inwiefern?
Wallraff war manchmal tagelang weg. In dieser Zeit hatte ich freien Zugang zu seinem Haus. Ich hatte einen Schlüssel und bin ein- und ausgegangen.
Fahnemann auch?
Ja, der hatte sogar Zugang zu Wallraffs kompletten Privaträumen, auch zu seinem Schlafzimmer. Herr Wallraff war zu allen Personen in seinem Umfeld immer sehr vertrauensvoll. Sehr offen, ehrlich und korrekt. Auch Fahnemann gegenüber.
Und wie ging Fahnemann mit Wallraff um?
Am Anfang hatte ich das Gefühl er sei stolz darauf, bei Wallraff arbeiten zu dürfen. Fahnemann sagte immer, er sei „der Sekretär“. Und er werde mal Wallraffs Nachfolger. Dann gab es etwas, was mich stutzig machte. Im April 2011 war ich Gast bei Wallraff, in seinem Haus in Köln. Abends besuchte ich Fahnemann, der nur einige Häuser weiter wohnt. Er war immer gastfreundlich zu mir.
Und was machte Sie dann stutzig?
Wir hatten etwas getrunken. Da sagte Fahnemann, Wallraff verdiene so viel Geld an mir, dass ich ihn jetzt mal belangen soll. Ich solle fordern, dass ich namentlich erwähnt werde. „Nimm keine Rücksicht“, sagte er. „Greif ab, was geht! Nimm was Du kannst!“ Und dann erzählte er private Dinge.
Zum Beispiel?
Diese Dinge sind privat. Das geht niemanden etwas an. Fahnemann erzählte diese Dinge brühwarm auf dem Balkon. So, dass es jeder hören konnte.
Warum tat er das?
Er wollte mehr Geld von Wallraff. Er tat so, als mache er die ganze Arbeit. Ich sagte ihm, dass das nicht stimmt. Dass das Wallraffs Arbeit sei und er dankbar sein könne. Stellen Sie sich mal vor! Fahnemann wollte immer alles Geld bar auf die Hand. Fahnemann hat auch beim WDR gearbeitet. Er bekam Honorare. Und bezog nebenbei noch Hartz IV. In meinem Augen wirft er Wallraff jetzt etwas vor, für das er selbst verantwortlich ist.
Haben Sie jemals Geld von Wallraff bekommen?
2009 ging es darum, dass ich Geld bekommen sollte für meine Tätigkeit. Fahnemann nutzte die Situation, um zu tricksen. Er verkaufte Wallraff einen kaputten Laptop, den mir Wallraff dann schenkte. Fahnemann sagte, dass sei ein gutes Gerät. Wallraff kaufte ihn blind. Fahnemann hat die Blauäugigkeit von Wallraff schamlos ausgenützt. Er tat so, als ob er der neue Wallraff sei.
Ist Wallraff naiv?
Wallraff ist von Hause aus ein liebenswerter Mensch. Wenn ihm jemand Hilfe anbietet, dann macht er aus Dankbarkeit Luftsprünge. Das ist seine Naivität.
Sie haben also niemals Geld von Wallraff bekommen?
Nein, ich wollte kein Geld. Ich wäre mir vorgekommen wie ein Schwein. Ich konnte doch kostenlos bei ihm wohnen. Fahnemann redete eindringlich auf mich ein, ich solle unbedingt Geld annehmen und so viel wie möglich fordern. Ohne Pardon.
Haben sie dann Geld gefordert?
Nein. Wallraff kam dann von sich auf mich zu und machte mir ein Geschenk. Ein finanzielles Entgegenkommen. Tausend Euro. Hinterher war mir ganz übel.
Im Mai 2009 sind sie aus Wallraffs Wohnung ausgezogen. Hielt der Kontakt?
Ja. Wallraff bot mir eine Zwei-Zimmer-Wohnung an in einem Haus, das ihm gehört. Er stellte die halbe Miete dem Sozialamt in Rechnung. So konnte ich dort kostenlos wohnen.
Haben Sie heute noch Kontakt?
Wir telefonieren hin und wieder. Vor einigen Wochen haben wir uns in Frankfurt gesehen. Bei einer Veranstaltung vom Jüdischen Museum. Abends war ich sein Gast.
Er war also immer nett zu ihnen?
Immer. Manchmal war er schroff am Telefon, wenn er unter Zeitdruck stand. Aber das ist doch normal bei Menschen, die immer in der Öffentlichkeit stehen.
Stellen Sie sich vor, Sie treffen Herrn Fahnemann auf der Straße. Was sagen Sie ihm?
Du hast gut von ihm gelebt. Du hast alles von ihm bekommen, was Du wolltest. Er hat Dir eine Wohnung besorgt. Er hat mit dem Amt telefoniert für Dich. Und: er wollte Dich fest anstellen!
Und was sagen Sie Wallraff?
Du hast Dir jemand ins Haus geholt, der von Anfang an nicht ehrlich zu Dir war. Der an Dein Vermögen wollte. Was jetzt um Dich geschieht, das hast Du nicht verdient.
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