Volkswagen zu Strafe verurteilt: Leiharbeit bei VW do Brasil
VW beschäftigt in Brasilien Leiharbeiter und verstößt damit gegen das Arbeitsrecht. Ein Gericht hat den Konzern nun verurteilt, aber die Gesetzeslage ist undurchsichtig.
PORTO ALEGRE taz (Aktualisierung Reaktion VW, 22 Uhr) | In Brasilien ist Volkswagen wegen der Beschäftigung von Leiharbeitern in der Endproduktion zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ein Arbeitsgericht im Bundesstaat São Paulo verhängte letzte Woche gegen VW do Brasil eine Strafe von umgerechnet 440.000 Euro.
Die Konzerntochter in Brasilien wollte zu dem erstinstanzlichen Urteil öffentlich nicht Stellung nehmen, ein VW-Sprecher in Wolfsburg erklärte hingegen am Mittwochabend gegenüber taz.de: "Es besteht in diesem Zusammenhang kein Vertrag zur Arbeitnehmerüberlassung. Somit handelt es sich nicht um Leiharbeit, sondern um eine logistische Dienstleistung."
Richter Adenilson Brito Fernandes aus São Carlos, 230 Kilometer nordwestlich von São Paulo, sieht das anders. VW verstoße gegen mehrere Punkte der brasilianischen Arbeitsgesetzgebung, heißt es in seinem Urteil, das der taz vorliegt. In der VW-Motorenfabrik von São Carlos verrichteteten Leiharbeiter Tätigkeiten, die zur Endproduktion gehörten.
Eine logistische Dienstleistung müsse sich auf die Lieferung der Waren bis zu einem Lager des Kunden beschränken. Allerdings trügen die gut 200 Angestellten der Drittfirma SG Logística Motorenteile bis zu 60 Zentimeter an die Montagelinie heran. Damit seien sie Teil der Produktion, allerdings "ohne den nötigen arbeitsrechtlichen Schutz".
Obwohl sie "Schulter an Schulter" mit den VW-Arbeitern tätig seien, verdienten die Leiharbeiter nur halb so viel wie die Festangestellten und hätten auch weniger Zusatzvergünstigungen und Rechte, sagte Staatsanwalt Rafael de Araújo Gomes der taz. Seine Vorgänger hatten den Prozess 2009 angestrengt.
Löchriges Justizsystem
Innerhalb von zwei Monaten muss Volkswagen den Vertrag mit der Drittfirma SG Logística auflösen, ordnete das Gericht an. Außerdem wurde der Multi darauf verpflichtet, allen Arbeitern die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen zu gewähren.
"Die Lage im Betrieb ist kompliziert", sagt VWler Erick Silva, zugleich Chef der Metallgewerkschaft in São Carlos. Die prekär beschäftigen Kollegen seien bestenfalls in der konservativen Konkurrenzgewerkschaft Força Sindical organisiert, berichtet der Metaller, eine Zusammenarbeit sei jeoch unmöglich. Zudem gebe es bei den Leiharbeitern, die gut ein Fünftel der Gesamtbelegschaft ausmachten, eine hohe Fluktuation.
Er habe die Leiharbeitsthematik letztes Jahr auf einem Treffen in Wolfsburg angesprochen, berichtet Silva, bislang ohne Erfolg. Der Fall sei durchaus typisch für ganz Brasilien, meint der Gewerkschafter: "Die Firmen machen, was sie wollen". VW do Brasil geht in die Revision, Brasiliens Justizsystem bietet viele Schlupflöcher. Silva: "Bis zu einer endgültigen Entscheidung können noch viele Jahre vergehen."
Dennoch ist das jetzige Urteil über den Fall VW hinaus ein wichtiges Signal für die brasilianische Debatte über Leiharbeit. Die juristische Lage ist unübersichtlich, das Gericht von São Carlos bezog sich auf die immer noch gültigen Arbeitergesetze aus den 1940er Jahren. Seit der neoliberalen Phase der Flexibilisierung in den Neunzigern orientieren sich die Richter an wenigen Grundsatzurteilen der obersten Arbeitsgerichte.
Archaische Arbeitsbeziehungen
Im Kongess von Brasília drängt die Unternehmerlobby auf eine radikale Liberalisierung. "Demnach müssten Firmen wie VW überhaupt keine eigenen Leute mehr anstellen", sagt Staatsanwalt Gomes, "sie könnten alle arbeitsrechtlichen Verpflichtungen abgeben".
Die Chancen für einen Gegenentwurf des Gewerkschaftsdachverbands CUT stehen schlecht, bestenfalls bleibt es beim Patt. "Die Leiharbeit hat nicht wie behauptet die Modernität gebracht, sondern sie führt zu archaischen Arbeitsbeziehungen und verletzt die Prinzipien der Gleichheit", heißt es in einem CUT-Grundsatzpapier.
"Die Regierung hält sich heraus, und selbst die meisten Parlamentarier ihrer breiten Koalition sind für die Präkarisierung der Arbeiterrechte", sagt Rafael Gomes, der eine "Offensive der Rechten im Kongress" diagnostiziert. Dabei sei die Lage schon jetzt besorgniserregend: "Beim Ölmulti Petrobras sind in den letzten 16 Jahren über 300 Leute bei Arbeitsunfällen umgekommen, 80 Prozent davon waren für Drittfirmen tätig".
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