Video der Woche: Bilderflut im Knusperhaus
Die Sphärenmusiker von Sigur Rós lassen 14 Filmemacher ihre Songs visualisieren. Das ist zwar auch Werbung, aber vor allem eine vergleichende Wahrnehmungsstudie.
Am Schluss landet man dann wie eigentlich immer in den den Armen einer Autorität. Zuerst aber ist es doch eine noch offene und auch interessante Frage, was Menschen sehen, wenn sie Musik hören. Eine Interpretationsfrage. Denn so frei will die Musik schon sein, dass sie nicht wirklich gleich mit einer ganz präzisen Bedeutung notiert ist. Und damit ist sie, die Musik, halt auch ziemlich bedeutungsoffen.
Es geht also um Ausdeutungen, und dafür haben die isländischen Sphärenmusiker von Sigur Rós mit dem „Valtari mystery film experiment“ eine Versuchsanordnung eingerichtet, die auf den ersten und recht schnöden Blick natürlich schlicht als Werbemaßnahme für ihr vor kurzem erschienenes Album Valtari gesehen werden kann.
Allemal interessanter aber ist es, dieses „Experiment“ als vergleichende Wahrnehmungsstudien zu betrachten im Feld des Seh-Hörens, am Beispiel der Arbeit von Sigur Rós, die mit ihrer Knusperknäuschen-Musik ja in so einem seltsamen Auenland wohnen, wo man von so lästigen Einrichtungen wie Hitparaden mit den normierten Songformaten einfach gar nichts wissen will.
Und wie nun diese Musik gesehen werden kann, ist eben der Untersuchungsgegenstand der noch bis November laufenden Forschungsreihe, bei der die Musik des Valtari-Albums von insgesamt 14 Filmemachern visualisiert werden soll, und zwar ohne irgendwelche Vorgaben von Seiten der Band und damit bei größtmöglicher künstlerischer Freiheit. Was bereits jetzt, nach etwa dem ersten Drittel des „Valtari mystery film experiment“, erste Vergleiche möglich macht.
Wo Ramin Bahrani zum Beispiel in seinem Beitrag zu dem „Ég Anda“-Track eine Collage mit ziemlich symbolisch aufgeladenen Bildern hörte, hat sich Ragnar Kjartansson mit genau der gleichen Musik vor Augen für ein aufrechtes Aufklärungsvideo entschieden mit den notwendigen Handgriffen zur ersten Hilfe, wenn sich der Tischnachbar mal beim Essen verschlucken solte. Und das ist schon eine recht eigenwillige Meditation über die meditative Musik von Sigur Rós.
Empfohlener externer Inhalt
Auch der Titel „Varúð“ wurde beits zweimal ausgedeutet. Inga Birgisdóttir setzte dafür geheimnisvolle Lichtzeichen in eine Postkartenberglandschaft, und bei dem frisch eingestellten Video von Ryan McGinley zu „Varúð“ sieht man zu der vor sich hinträumenden Sigur-Rós-Musik mit dem Geigenhimmel ein Mädchen mit güldenem Haar ganz entspannt durch die Straßen von New York hüpfen, was zur Erhöhung der poetischen Stimmung in Slow-Motion passiert. Jetzt nicht unbedingt die spannendste aller Geschichten. Aber unbedingt was für alle Fans von den gelben Taxis, die hier massenhaft zu sehen sind.
So lässt man seine Gedanken treiben in der Musik und auch mit den Bildern, hört da, schaut dort, weil es ja schön ist, wie weit man bei so einem Musik-Sehen herumkommen kann. Und sitzt gleich mit dem nächsten vorbeifahrenden Taxi in dem Video plötzlich in einem älteren Hit von Joni Mitchell, den die kopfeigene Assoziationskette vorbeigeschickt hat: „Big Yellow Taxi“ natürlich, was ja ein beinhartes Protestlied ist und damit bereits ziemlich weit weg von Sigur Rós.
Dass selbst das Paradies noch gepflastert wird, singt Joni Mitchell in ihrem Lied, um daraus dann einen Parkplatz zu machen. Und wenn man jetzt noch ein wenig herumstochert im halbvergessenen Musikgeschichtswissen und im Netz, weiß man schnell, dass dieses „Big Yellow Taxi“-Lied auch reihenweise gecovert wurde, von den Counting Crows etwa, von Maire Brennan.
Und nicht zuletzt von Bob Dylan. Womit man doch endlich seine Autorität gefunden hat.
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