Video der Woche: Schwarzer Teufel und weiße Heilige
Die US-Kampagne Invisible Children bläst per Video zur Jagd auf Joseph Kony. „Kony 2012“ stellt den Chef der brutalen ugandischen LRA-Miliz neben Hitler und Bin Laden.
Es ist der Renner auf Facebook, Twitter, YouTube, Vimeo: „Kony 2012“ – das neue Video der US-Organisation Invisible Children. Ein Versuch, den brutalen Führer der ugandischen LRA (Widerstandsarmee des Herrn), Joseph Kony, so berühmt zu machen wie Osama bin Laden und Adolf Hitler. Das ist gelungen: Über 52 Millionen Klicks hat der Clip in wenigen Tagen eingespielt.
Das Video ist der zweite Teil des Originalfilms „Invisible Children“, der 2006 von drei US-Highschool-Kids in Norduganda gedreht wurde. Fast zufällig trafen sie damals in der Stadt Gulu auf Kinder, die sich nachts in Kellerräumen versteckten, damit die LRA sie nicht findet.
Über diese Entdeckung näherten sich die jungen Filmemacher und Ad-hoc-Aktivisten der Rebellenarmee sowie ihrem Anführer Joseph Kony an, auf den ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs ausgeschrieben ist.
Unumstritten: Die LRA ist eine der brutalsten Milizen Afrikas. In den Jahrzehnten ihres Krieges in Uganda entführten Konys Kämpfer systematisch Kinder, trainierten Jungen zu Kindersoldaten, missbrauchten Mädchen als Sexsklavinnen. Extrem brutalisiert und traumatisiert, wurden diese Kindersoldaten dann losgeschickt, um ihre eigenen Eltern und Verwandten zu töten, Dörfer auszuräuchern, Leuten Lippen, Nase und Ohren abzuschneiden. Die Highschool-Kids gründeten die Organisation Invisible Children, um auf diese Verbrechen aufmerksam zu machen, und davon handelt der Film „Kony 2012“.
Die Lord's Resistance Army (LRA) entstand 1986 als "Holy Spirit Movement" (Bewegung des Heiligen Geistes) im Norden Ugandas. Als die Acholi-Priesterin Alice Lakwena von Präsident Yoweri Museveni geschlagen wurde, übernahm der Priester Joseph Kony die Kontrolle über die Rebellion und machte daraus die LRA.
Konys Kämpfer kontrollierten nie Städte. Sie verübten Überfälle und Massaker, entführten und zwangsrekrutierten Kinder und Frauen. Damit trieben sie bis zu zwei Millionen Menschen in die Flucht. Waffen erhielt die LRA aus Sudan. Frieden kehrte erst ein, nachdem im Januar 2005 Sudans Regierung Frieden mit den Rebellen Südsudans schloss und im Oktober 2005 der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl gegen Joseph Kony und vier seiner Kommandanten erließ. So verlor die LRA im Sudan ihre Basen und in Uganda ihre Kämpfer. Seit 2006 ist Norduganda friedlich und die Kriegsvertriebenen gehen nach Hause.
Der Krieg der LRA geht jedoch in den Nachbarländern weiter - ihr harter Kern zog sich 2006 in die benachbarte Demokratische Republik Kongo zurück und marodiert dort sowie in angrenzenden Gebieten weiter. Der letzte Versuch eines Friedensabkommens scheiterte 2008. (dj)
Brutale Kindersoldaten
Filmemacher Jason Russell ist mittlerweile Vater. Er erzählt seinem kleinen Sohn vor der Kamera von „Bösewicht“ Kony, der „unsichtbar“ sei und den man „stoppen“ muss. „Wir werden ihn stoppen“, verspricht der Vater.
Wie das funktionieren soll? Ganz einfach: Man nehme die ausgefeiltesten Marketingstrategien, mobilisiere Hollywoodgrößen, Profisportler und die Jugend, alle ausgestattet mit Kony-T-Shirts, -Plakaten und -Aufklebern, um „Kony berühmt zu machen“ und Politiker in den USA unter Druck zu setzen.
Schon 2010 unterschrieb Präsident Barack Obama ein Gesetz, das die USA verpflichtet, bei der Jagd auf Kony zu helfen. Im Oktober 2011 kamen die ersten 100 „Militärberater“ nach Uganda – US-Elitesoldaten in voller Kampfuniform. Sie sollen Ugandas Truppen dabei „beraten“, Kony zu fassen. Invisible Children schlägt nun vor, „basierend auf einer Armee junger Leute“ in Kony-T-Shirts, einen „Krieg zu kämpfen“ – gemeint ist ein Propagandakrieg gegen den ultimativen Bösewicht Kony, um ihn in der ganzen Welt bekannt zu machen. Eine Negativimagekampagne als Feldzug gegen die LRA. Das Schlachtfeld: das Internet.
Und auch die US-Öffentlichkeit, die dieses Jahr überall Konys Gesicht sehen soll, zum Beispiel auf feuerroten Plakaten mit dem Dreigespann Hitler, bin Laden und Kony, die ausgerechnet ab 20. April 2012 hunderttausendfach Wände in den USA bepflastern sollen. Invisible Children will den Dämon Kony auch auf Hunderttausende T-Shirts drucken, die wohl als Altkleiderspenden in Afrika enden werden.
Empfohlener externer Inhalt
Der Film ist in Uganda nicht unbemerkt geblieben. Es hagelt Kritik: Die Kampagne sei „ein Teil der Karikatur, die Norduganda mittlerweile geworden ist, schlichtweg Gewaltpornografie“, twittert der Publizist und LRA-Kenner Angelo Izama. „Das Muster Gut gegen Böse, wobei Gut offensichtlich weiß/westlich und Böse schwarz/afrikanisch ist, erinnert an die schlimmsten Zeiten der Kolonialära“, schreibt er.
Verärgert ist auch Ugandas berühmteste Bloggerin Rosebell Kagumire: „Das Video klammert alle Friedensbemühungen aus und simplifiziert den Krieg gegen Joseph Kony – einen durchgeknallten Teufel. Dieser Krieg ist mehr als nur Joseph Kony, und es werden nicht die Amerikaner sein, die ihn beenden.“ Invisible Children rechtfertigt sich seit Donnerstag auf seiner Website dafür, dass sich die drei Filmemacher mit Kalaschnikow in den Händen fotografieren lassen.
Kony hat nur begrenzt Kontrolle
Schon die Fakten in dem Film stimmen nicht: Die LRA ist bereits seit 2005 aus Uganda geflüchtet und treibt seitdem in Teilen der Demokratischen Republik Kongo, Südsudans und der Zentralafrikanischen Republik ihr Unwesen. Uganda ist friedlich. Im Film wird behauptet, die LRA habe keine Unterstützung. Doch Präsident Omar al-Bashir in Sudan hat die Miliz regelmäßig mit Waffen und Geld ausgestattet. Die regionale Dimension des Konflikts wird ausgeblendet und damit auch die regionale Dimension einer Lösung.
Die im Film genannte Kampfkraft von 30.000 Kindersoldaten ist komplett übertrieben. Heute ist die LRA gerade mal noch ein paar hundert Mann stark und kämpft um ihr Überleben, weit weg von Uganda. Seit Ugandas Luftwaffe 2008 das LRA-Hauptquartier im Kongo bombardierte, ist die Miliz in Kleingruppen im Busch zersplittert, die nicht mehr wie früher via Satellitentelefon, sondern nur noch über Botengänger kommunizieren. Kony hat nur noch begrenzt Befehlskontrolle, sagen Experten. Dass die LRA ohne ihn zusammenbricht, ist nicht garantiert.
Diese Woche schlug die UNO Alarm: Nach einer Zeit relativer Ruhe verübe die LRA wieder verstärkt Angriffe. 20 Dörfer im Nordosten des Kongo seien seit Jahresbeginn überfallen worden. Die Bilanz: 1 Toter, 17 Verschleppte, 3.000 Vertriebene. Die Angriffe seien „der letzte Seufzer einer sterbenden Organisation“, so UN-Sprecher Mounoubai Madnodje in Kinshasa. Je näher das Ende der Miliz heranrückt, so Beobachter, desto brutaler geht sie vor – wie ein Raubtier, das noch einmal um sich schlägt, aber immer schwächer wird. Oft töten die Kämpfer aus Hunger.
Desertierte LRA-Kämpfer erklären der taz, Kony benutze Gräueltaten wie das berühmte „Weihnachtsmassaker“ von 2008, als hunderte kongolesische Dorfbewohner beim Festschmaus abgeschlachtet wurden, um Propaganda zu machen: Je brutaler die Miliz, desto größer ihr politisches Gewicht. Invisible Children ist genau auf diese Logik angesprungen.
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