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Video der WocheOben ohne für die Revolution

Der Dresdner Hans-Jürgen Westphal liefert seinen ganz eigenen Beitrag zur Kommunismusdebatte – unter anderem mit einem Musikvideoclip.

Dresdens bekanntester Kommunist: Hans-Jürgen Westphal. Bild: screenshot/youtube.com

Für den Kommunismus streitet er. Für den Kommunismus singt er. Für den Kommunismus zieht er auch schon mal blank. Wenn alles zusammenkommt, kommt ein bemerkenswerter Musikvideoclip dabei heraus: „DDR, wir erkämpfen unseren Staat! Wo ist die Oppositionspartei? Der Kommunismus ist unser Ziel!“, lautet der etwas sperrige Titel. Unendlich lange zwölf Minuten und 47 Sekunden dauert das Stück. Wer sich für den Kommunismus des Hans-Jürgen Westphal interessiert, muss eine gute Kondition und starke Nerven besitzen. Trotzdem ist sich der 59-jährige Dresdner sicher: "Unser Sieg wird sein!"

Der Mann mit der Halbglatze, dem weißen Vollbart und der stark behaarten Brust ist Dresdens bekanntester Kommunist. Seit mehr als zwanzig Jahren folgt der gelernte Ingenieur-Pädagoge nun schon unverdrossen der Losung der Linkspartei-Vorsitzenden Gesine Lötzsch: "Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung." Westphal hat sich auf den Weg gemacht. Das erste Mal am 3. Oktober 1990, „dem Tag, als mein Vaterland geraubt wurde“. Seit damals zieht er tagaus, tagein und bei Wind und Wetter in die Dresdner Innenstadt. Dort steht der zweifache Familienvater dann mittags für ein paar Stunden mit seiner roten Hammer-und- Sichel-Fahne auf der Prager Straße in der Höhe von Karstadt und agitiert mal alleine, mal mit Mitstreitern für den Kommunismus. Beziehungsweise das, was er sich darunter vorstellt.

Inzwischen ist Westphal die sächsische Landeshauptstadt als Aktionsfeld allerdings zu klein geworden. Es reicht ihm nicht mehr, die Passanten in der Fußgängerzone mit selbstverfassten Traktaten à la "Diktatur des Proletariats, jetzt!" zu traktieren. Er hat das Internet für sich und seine Heilsbotschaft entdeckt. Der komische Kauz, der es bitter ernst meint, lässt nichts unversucht, um seine Mitbürger – er würde einschränkend sagen: die Proletarier – auf den rechten linken Weg zu bringen. Der seit 1992 erwerbslose Westphal nutzt seine freie Zeit äußerst produktiv: Unzählige Aufsätze und Gedichte hat er für die Sache des Kommunismus geschrieben. Er produziert Broschüren, Kalender mit eigenen Bleistift- und Tuschezeichnungen, Hörspiele und inzwischen auch eine Menge Videos. Sogar ein Puppenspiel gehört zu seinem umfangreichen Œuvre. Eine eigene "kommunistische Rockband" hat er ebenfalls gegründet. VERITAS nennt sich die dreiköpfige Combo. Zwanzig CDs hat sie inzwischen herausgebracht. Westphal ist der Leadsänger, spielt E-Bass, sechsseitige und 12-seitige Gitarre, Querflöte - und schreibt die meisten Texte. "VERITAS ist lateinisch und bedeutet so viel wie Wahrheit, Wahrheitsliebe, Wirklichkeit", erläutert er. Und um die Wahrheit gehe es ihm. Seine Wahrheit.

Westphal trat acht Jahre vor Gesine Lötzsch in die SED ein. Das war 1978. Mit ihr gemeinsam machte er die Transformation der einst allmächtigen Staatspartei zur PDS mit. Doch im Gegensatz zu Lötzsch war für den ehemaligen Leitender Museumsassistenten am Museum für Geschichte der Stadt Dresden 1994 Schluss in der SED-Nachfolgepartei. Sie war ihm nicht mehr kommunistisch genug. Anders als die Junge Welt, jenes ehemalige Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend, das heute das Kampfblatt für alle kommunistischen Plattformen in und außerhalb der Linkspartei ist. In ihr veröffentlichte Lötzsch ihren umstrittenen Beitrag zur „Rosa-Luxemburg-Konferenz“. Westphal ist begeisterter Abonnent der Jungen Welt, hält sie für „die beste Tageszeitung der BRD“ – und hat ihr sogar eine eigene DVD gewidmet. Wie der Chefredakteur der Jungen Welt bis heute auf seine Spitzeldienste für die Stasi stolz ist, hält auch er den Untergang der DDR für eine "Konterrevolution". Die Bundesrepublik ist ihm ein Graus: "Wir haben hier nichts zu verlieren, in der verhassten BRD."

Westphals Weg zum Kommunismus ist ein Weg zurück: "Unser Staat, der war schon da." Er möchte seine gute, alte DDR wiederhaben. Deren Untergang betrauert er inbrünstig: „Ja, ich bin in dir geboren, meine schöne DDR", singt er mit trauriger Stimme, „und ich habe dich verloren, dieser Schmerz vergeht nie mehr". Aber kapituliert vor den herrschenden Verhältnissen hat Westphal nicht: „Unsere Tränen sind geflossen, doch wir haben uns aufgerafft. Unsere Tränen wurden Schwerter. Auch aus dem Leid erwächst uns Kraft für unseren Sieg.“ Solche Zeilen hält er für Kunst, "kommunistische Kunst". Was sonst?

Ideologische Unterstützung holt sich der glühende Marxist-Leninist dabei bisweilen vom Genossen Stalin. Auch ihn besingt er in einem seiner Musikvideos: "Schau in die Stalin-Werke und versteh!" Die Kommunismus-Äußerungen von Lötzsch in der Jungen Welt kommentierte Gregor Gysi mit den Worten: „Als Politiker muss ich berücksichtigen, dass andere unter dem Begriff Kommunismus Stalin verstehen oder an die Mauer denken.“ Hans-Jürgen Westphal ist ein Beispiel dafür, wie richtig der Linkspartei-Bundestagsfraktionschef mit seiner Einschätzung liegt - wenn auch etwas anders, als er es sich gedacht haben dürfte.

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14 Kommentare

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  • PA
    P. aus Dresden

    Der Genosse Westphal wunderte sich heute auf der Prager Straße mir gegenüber schon über die sprunghafte Aufmerksamkeit, die dieses Video in den letzten Tagen erfuhr. Jetzt wissen wir ja bescheid. taz sei Dank! Und ja auch der Gesine Lötzsch, sozusagen.

    Beim überfliegen des Artikels ist mir aber dann doch ein grober Fehler aufgefallen, den ich an dieser Stelle korrigieren will. Keinesfalls glaubt der Hans-Jürgen, man müsse wie die Frau Lötzsch sich das vorstellt, Wege zu einem Kommunismus ausprobieren, suchen, usw. Im Gegensatz zur Frau Lötzsch IST der Herr Westphal ja Kommunist. Und das heißt: Marxist-Leninist. Unterschiedliche Vorstellung vom Kommunismus und vom So- oder Sozialismus, oder doch einem anderen, haben immer nur die Nicht-Kommunisten. Das hat natürlich damit zu tun, daß der Kommunist nicht irgendwelchen Meinungen anhängt, sondern die menschliche Gesellschaft wissenschaftlich betrachtet. Und als solcher hat er natürlich auch ein klares und eindeutiges Verhältnis zum Genossen Stalin, ich verstehe gar nicht, was man sich da hier so wundert. Wer sagt, der Stalin und der Kommunismus sind zwei verschiedene Paar Schuhe, der hat beide einfach nicht verstanden. Insofern haben da die Kommunistenhasser vom konservativen Lager recht. Freilich ohne irgendetwas verstanden zu haben...

  • S
    Simon

    Eigentlich wollt ich ja nichts sagen.

    Aber bei den halbgaren Kommentaren, welche ich zum Teil lesen muss...

     

    Der Typ mag ein Spinner sein, wahrscheinlich ist er aucgh einfach einer. Wer aus Stalins Schriften lernen muss..

    Aber immerhin ist alles was er tut, vom Grundgesetz gedeckt, also hört auf zu weinen.

     

    Und was der Unterschied zwischen der Utopie Kommunismus und dem real existierenden Sozialismus ist, scheint auch nciht jedem klar zu sein.

     

    Ja, es mag sein, dass die Literatur schon alt ist. Dennoch lohnt sich die Lektüre des sozialistischen Klassiker von Marx bis Luxemburg. Danach kann man sich dann auch an Diskussionen beteiligen.

    Das Bild, das der Durchschnittsdeutsche von der Utopie Kommunismus hat, dieses so hässliche Bild ist das Ergebnis höchst wirkungsvoller kapitalistischer Propaganda aus Zeiten des kalten Kriegs...

     

    Immerhin hat die CSU inzwischen ja rausgefunden, dass die Anarchisten von den Grünen viel gefährlicher sind als die Kommunisten von der Linken.

     

    Das die Endziele von Anarchismus und Kommunismus quasi identisch sind (Überflüssigwerden des Staats) wird ja auch gern verschwiegen/übersehen.

     

     

    Langsam nervt diese halbgare Debatte echt.

  • G
    glockenpeter

    Ich könnte jetzt richtig böse werden und den Leuten, die hier DDR und Sowjetunion mit Kommunismus gleichsetzen, eine Beleidigung ins Gesicht schreiben. Aber da wir ja alle von derselben Ideologie erzogen wurden, kann ich es verstehen, dass niemand begreifen möchte, dass das zwei paar Schuhe sind.

  • PE
    Pope Epopt

    Respekt. Jenseits von Cool. Und ich meine das in bestens Sinn.

  • R
    Reginald

    @Rod: Stimme dir zu, bis auf den letzten Satz.

    Kritiker wurden nicht weggesperrt (zumindest nicht wg.Kritik), da hätte die halbe DDR weggesperrt werden müssen :-))

    Und Folter und Mord an Kritikern sind Märchen der Fr.Birthler.

  • R
    Rod

    Wenn es ihm hier nicht gefällt, soll er doch seine "verhasste BRD" verlassen! Im Gegensatz zur DDR sind die Grenzen der BRD offen und Leute, denen es in der BRD nicht gefällt können jederzeit woanders hingehen!

     

    Die DDR mußte ihre Bevölkerung einmauern und mit einem Todesstreifen in Schach halten. Weiterhin mußte die DDR ihre Bevölkerung ausspitzeln. Kritiker wurden weggesperrt, gefoltert oder ermordet.

  • H
    Harald

    Am schönsten das mit der seitigen Gitarre!

  • I
    Ingo

    Mein Kommentar wurde garnicht zugelassen, indem ich die Verharmlosung des Kommunismus kritisiert habe. Ich lese die TAZ eigentlich immer gerne mit den verschiedenen Rubriken, aber manchmal wird es mir echt unheimlich.

     

    Verharmlost den Kommunsmis bitte nicht, ich lache auch nicht darüber, das mal hier und da in einer gewissen Zeit Menschen vergast wurden und selbst wenn man es noch so lustig darstellt. Verbrechen gegen die Menschlickeit zu relativieren ist derbe asozial.

  • M
    Markus

    Ich stelle mir gerade den Artikel vor, wenn der Typ

    kein stalinistischer Vollidiot wäre, sondern ein Altnazi mit Hakenkreuzfahne.

    Ich könnte das Geschrei bis hier hören :)

  • H
    Heinz

    Wetten, dass ich bei den Grünen 100 grössere Spinner finde.

  • A
    A.W.G.

    War es bisher so, dass ich wegen solcher Artikel kein Taz-Abo mehr wollte, wird es bald schon so sein, dass ich auch "taz-online" keines Blickes mehr würdigen werde.

    Ist es denn wirklich so schwer, einen einzigen halbwegs neutralen und vor allem seriösen Artikel über die sog. K-Debatte zu schreiben? Hat sich einer mal ernsthaft mit den Zielen des Kommunismus befasst? Nein, vermutlich nicht, denn dann hätte er/sie herausgefunden, dass es auch nach Lenin und seinen Leuten Menschen gegeben hat, die sich mit der Verwirklichung des Kommunismus beschäftigt haben. Einer davon liegt seit 31 Jahren auf dem Berliner St.Annen-Kirchhof. Als ich dort neulich vorbei ging hörte ich ein lautes Weinen darüber, dass ein Blatt, dass in einer Straße ansässig ist, die nach seinem Namen benannt wurde, hetzschriften gegen Utopien verfasst.

     

    Schade Taz, aber ihr habt Rudi zum weinen gebracht! Wenn das kein Offenbarungseid mehr ist, weiß ich nicht mehr, was noch kommen soll...

  • R
    Reginald

    Die "gute, alte DDR wiederhaben"? Ich fass' es nicht.

    Gerade die Dresdner waren es, die Kohl zugejubelt haben und jedem zum Kommunisten stempelten der nur ansatzweise Bedenken an der Wiedervereinigung äußerte.

    Na ja, das ist eben das Tal der Ahnungslosen, gestern wie heute.

  • G
    gegenlinke

    Das ist in der Tat ein "bemerkenswerter Musikvideoclip". Nämlich ein bemerkenswerter dümmlicher und erschreckender Clip. Und die TAZ feier ihn. Das nennt man dann wohl sozialistische Demokratie oder demokratischen Sozialismus....

  • JS
    Johanna Schreiber

    Ich bin Dresdnerin und kenne natürlich "Den Mann mit der roten Fahne" wie wir ihn schlicht nennen. Mit 13 verbrachte ich meine meiste Zeit beim "Roten Baum" was eine Art Jugendclub der PDS hier war und ist, und abonnierte die Jungen Welt. Ich habe also meine eigene "kommunistische" Vergangenheit. Ich bin über diese Phase hinweg gekommen, schlicht deswegen weil ich viele Dinge nicht mehr ignorieren konnte auch Dinge die in der DDR geschahen. Trotzdem hasse ich den Komunismus nicht und denke, wie vielleicht manch anderer auch, dass der Grundgedanke ehrenwert ist, nur die Komponente Mensch bei der Entwicklung dieser Theorie ausgeklammert wurde, deswegen in der Realität nicht umsetzbar ist. Und obwohl ich rein gar nicht mit den Aussagen von Westphal übereinstimme, habe ich den größten Respekt für seinen starken Willen. Bei Wind und Wetter sieht man diesen älteren Herren mit seiner roten Fahne und seinem Fahrrad in der Stadt. Er ist mittlerweile genau so ein Teil Dresdens wie der Zwinger oder der Goldene Reiter.