Vermisster türkischer Kampfjet: Ankara mobilisiert die Nato
Laut Regierung wurde das von Syrien abgeschossene Flugzeug im internationalen Luftraum getroffen. Der Militärjet war auf einem Testflug – doch was hat er getestet?
ISANBUL taz | Der Abschuß eines türkischen Militärjets durch Syrien am Freitagnachmittag hat die Spannungen in der Region schlagartig auf eine neue, gefährliche Ebene gebracht.
Vom deutschen Außenminister Guido Westerwelle, über UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, bis hin zu einem Sprecher der iranischen Regierung warnen alle vor einer weiteren Eskalation. „Niemand will einen Krieg“ titelte gestern die türkische Zeitung Radikal. Doch die Angst, in einen Krieg mit Syrien verwickelt zu sein, zieht sich seit Freitagnacht durch alle Diskussionsrunden in türkischen Fernsehsendern.
„Hat nun ein Angriff stattgefunden oder nicht?“ Nach langen Ausführungen im staatlichen Fernsehsender TRT hatte der Interviewer den türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu immer noch nicht verstanden. Der wiederholte noch einmal, was er der Öffentlichkeit am Sonntagmorgen mitteilen wollte: „Ein unbewaffnetes türkisches Ausbildungsflugzeug wurde im internationalen Luftraum abgeschossen. Das ist, auch wenn der türkische Jet zuvor unbeabsichtigt den syrischen Luftraum verletzt hat, ein nicht akzeptabler aggressiver Akt“. Drohend fügte er hinzu: „Keiner darf die Sicherheit der Türkei bedrohen“.
Nachdem der türkische Militärjet „F-4 Phantom“ am Freitagnachmittag von den Radarschirmen verschwunden war, brauchte die Regierung fast zwei Tage, um sich auf eine Sprachregelung festzulegen. Davutoglu sagte in der TRT-Sendung, die F-4 „war nicht in geheimer Mission unterwegs. Die Piloten sollten das türkische Radarsystem testen. Als sie merkten, dass sie versehendlich in den syrischen Luftraum eingedrungen waren, sind sie sofort umgekehrt. Als sie bereits wieder internationalen Luftraum erreicht hatten, wurden sie abgeschossen“.
Andere Version
Die syrische Version hört sich natürlich anders an. Die Flugabwehr habe ein unidentifiziertes Flugobjekt, das mit hoher Geschwindigkeit in den syrischen Luftraum eingedrungen ist, abgeschossen. Erst danach habe man festgestellt, dass es sich um ein türkisches Flugzeug gehandelt habe. Der Abschuss sei ein Versehen gewesen.
Damit will die türkische Regierung sich jedoch nicht zufrieden geben. Am Sonntagnachmittag versammelte Ministerpräsident Tayip Erdogan die Vorsitzenden der anderen drei im Parlament vertretenen Parteien, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Nach Meldungen von TRT wird die Regierung Syrien eine Protestnote übergeben und eine Sitzung des Nato-Rates am Dienstag beantragen, wo über Beistand gemäß Artikel 4 gesprochen werden soll, wenn ein Land bedroht wird. „Wir machen keine Alleingänge“, so Davutoglu, „seit Ausbruch der Krise in Syrien handeln wir im regionalen und internationalen Verbund“.
Politische Beobachter halten weder die türkische noch die syrische Version des Vorfalls für glaubhaft. Der Außenpolitikexperte Hasan Köni, vermutete in einem Gespräch mit dem TV-Sender NTV, dass es sich bei dem Flug der F-4 tatsächlich um einen Test gehandelt haben könnte, aber nicht des türkischen Radarsystems sondern der Reaktionsgeschwindigkeit der syrischen Abwehr.
Die syrische Flugabwehr ist, seit vor wenigen Tagen ein syrischer Pilot mit seinem Jet nach Jordanien desertierte, in höchster Alarmbereitschaft. Nach Informationen der israelischen Debka soll die Türkei bei dieser Flucht geholfen haben. Saudi-Arabien hat Prämien für syrische Überläufer ausgelobt, und die CIA ist nach einem Bericht der New York Times in der Türkei engagiert, um Waffenlieferungen an die syrische Opposition zu koordinieren.
Darüberhinaus soll die türkische Regierung nach einem Bericht des Guardian zugestimmt haben, an der Grenze ein Zentrum zur Koordination der „Free Syrian Army“ zu errichten. Es ist folglich kein Wunder, dass das Assad-Regime die Türkei mittlerweile als Drehscheibe von Geheimoperationen sieht, die auf einen Regimewechsel in Damaskus abzielen.
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