Ver.di-Flashmob bei Edeka und Netto: Protest zwischen Obst und Gemüse
Bei einem Reisebus-Flashmob demonstrieren GewerkschafterInnen für Arbeitsplatzgarantien und Tarifverträge. Sie fürchten nach der Privatisierung der Edeka-Märkte schlechtere Arbeitsbedingungen.
GÖTTINGEN taz | Trommel-Lärm und die schrillen Töne eines Saxophons schallen plötzlich durch das Edeka-Center in Bad Gandersheim. "Kaum ein Danke, wir sind bedient. Haben den Tarifvertrag verdient", singen rund 70 GewerkschafterInnen. "Capitalisms not funny!" steht auf einem der Transparente, das die AktivistInnen durch den Supermarkt vor sich her tragen.
Die Belegschaft des Edeka-Marktes ist gespalten, manche stellen sich hinter ihren Chef und schimpfen über die ArbeitskämpferInnen. Viele sagen lieber gar nichts, lächeln den AktivistInnen aber entgegen, singen mit. "Ich zahle doch Tarif", sagt der Marktleiter, als ihm Forderungen der Gewerkschaft übergeben werden. "Was wollen Sie denn noch?"
Die Edeka-Filiale ist wie viele andere privatisiert worden, ausgehandelte Tarifverträge gelten hier nicht mehr. Garantien für die MitarbeiterInnen gibt es nur bis Ende 2012. "Wir möchten sicher sein, dass bei Edeka nicht irgendwann die Netto-Verhältnisse einkehren", erklärt Betriebsrätin Bärbel Thamhayn die Aktion. Die Gewerkschaft Ver.di fordert, dass die Tarifverträge auch verbindlich in den privatisierten Filialen gelten.
Nachdem die früheren Plus-Filialen von der Edeka-Tochter Netto übernommen wurden, klagt Ver.di über zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen.
Eine lange Liste der Kritik hatte Ver.di Südniedersachsen im Mai vorgelegt: unbezahlte Überstunden, keine Pausen, systematische Schikane, Verstöße gegen Arbeitsschutzgesetze, Unterbezahlung, Überlastung der Angestellten seien gang und gäbe.
Göttinger Politiker hatten daraufhin Patenschaften für die Netto-MitarbeiterInnen übernommen, darunter Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD) und mehrere Landtagsabgeordnete
Erste Erfolge gibt es auch: MitarbeiterInnen berichten, nach Protesten wochenlang Überstunden abgefeiert zu haben.
Netto bestreitet die Probleme. Kritikpunkte seien in Treffen mit der Gewerkschaft analysiert und "auch behoben" worden.
Der Edeka-Markt ist die erste Station der "Mutmach-Tour" von Ver.di in Südniedersachsen. 53 GewerkschaftsaktivistInnen, von der Ver.di-Jugend bis zu den SeniorInnen, hatten sich am Vormittag in Göttingen in einen Reisebus gequetscht. Neben dem Edeka-Markt standen fünf Märkte der Netto-Kette auf dem Fahrplan, in denen die AktivistInnen Flashmobs inszenieren wollten. Die Arbeitsbedingungen bei der Edeka-Tochter bemängelt Ver.di schon seit mehreren Monaten.
"Unsere Forderungen nach Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze und der Tariftreue werden nicht flächendeckend umgesetzt", sagt die Göttinger Ver.di-Sekretärin Katharina Wesenick. Die Proteste, die sie seit dem Frühjahr organisiert, zeigen erste Erfolge. In den Filialen, in denen sich Widerstand rege, gebe es Verbesserungen. "Da wo die Kolleginnen und Kollegen sich nicht trauen, wird allerdings durchregiert", sagt Wesenick. Den MitarbeiterInnen der besuchten Märkte soll deswegen heute "Mut gemacht" werden, sich gewerkschaftlich zu organisieren.
Vor dem Netto-Supermarkt in Einbeck, den der Bus als nächstes ansteuert, wartet bereits ein Verkaufsleiter zusammen mit polizeilicher Verstärkung. "Wir machen von unserem Hausrecht Gebrauch", sagt er und erteilt der Gruppe Hausverbot. Ansonsten: kein Kommentar. Die GewerkschafterInnen sehen darin einen Eingriff in das Streikrecht und verweisen auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Trotzdem fährt der AktivistInnenbus weiter, der Netto-Markt in Northeim wird entgegen der Planungen nicht angefahren.
In Göttingen versuchen einige der AktivistInnen erneut, einen Flashmob abzuhalten. Hier wartet noch keine Polizei vor der Tür des Netto-Marktes und einige betreten die Filiale, während sich andere auf dem Parkplatz des Supermarktes zu einer Kundgebung aufbauen. Drinnen werden Flugblätter an die Kunden und Geschenke an die Angestellten verteilt. "Gib gefälligst das Geschenk zurück", fährt ein Vorgesetzter barsch eine junge Angestellte an. "Alle Gewerkschaftsmitglieder" hätten nun Hausverbot.
Vor der Tür nimmt die Polizei Personalien auf, auch von Journalisten. Es bestehe der Verdacht eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, heißt es. Die Beamten setzen das ausgesprochene Hausverbot durch und vertreiben die GewerkschafterInnen vom Firmengelände. "Skandalös" findet das Linken-Landtagsabgeordneter Patrick Humke, der zur Unterstützung herbeigeeilt ist. Und auch Ver.di-Sekretärin Wesenick ist erzürnt. "Die Polizei hat sich bei der Abwägung zwischen Streik- und Eigentumsrecht sofort auf die Seite des Eigentumsrechts gestellt", sagt sie. "Das wird ein Nachspiel haben!"
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