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Urteil gegen Genua-DemonstrantenUnglaubliche Strafen

Fünf Demonstranten von den Protesten gegen den G8-Gipfel 2001 drakonische Strafen erhalten. Obwohl sie nur Gewalt gegen Sachen verübten, kannte das Gericht kein Erbarmen.

Bis zu 14 Jahre sitzen: Für den Protest in Genua gab es harte Strafen. Bild: dapd

ROM taz | Äußerst drakonische Strafen hat der Kassationsgerichtshof in Rom für fünf Demonstranten verhängt, die wegen Protesten auf dem G-8-Gipfel von Genua im Juli 2001 angeklagt waren. Ein Angeklagter muss für 14 Jahre in Haft, drei weitere erhielten Strafen zwischen zehn und zwölfeinhalb Jahren wegen Beteiligung an den Ausschreitungen, eine junge Frau, gerade Mutter geworden, erhielt sechseinhalb Jahre.

Für fünf weitere Angeklagte, die vom Appellationsgericht Genua mit sieben bis zehn Jahren Haft belegt worden waren, dagegen verfügte der Kassationshof eine Neufestsetzung des Strafmaßes unter Berücksichtigung mildernder Umstände.

Keinem Einzigen der jetzt verurteilten Randalierer wurde direkte Gewalt etwa gegen Polizisten vorgeworfen. Die durchweg italienischen Angeklagten waren durch akribische Auswertung von Foto- und Filmmaterial identifiziert worden; ihnen wurde zur Last gelegt, dass sie dabei waren, als während der Gipfelkrawalle ein Supermarkt geplündert, ein Geldautomat zerstört, ein Molotowcocktail in ein Fenster des örtlichen Gefängnisses geworfen wurde.

Doch statt zum Beispiel wegen Sachbeschädigung erfolgte eine Anklage wegen „Verwüstung und Plünderung“ – ein Paragraf aus der Mussolini-Zeit, der Haftstrafen bis zu 15 Jahren vorsieht. Auf dieser Grundlage waren in Genua zunächst in erster Instanz 25 Protestierer im Dezember 2007 abgeurteilt worden. In der Berufung vor dem Appellationsgericht erfolgte im Jahr 2009 ein Freispruch für jene 15 Angeklagten, die an den Ausschreitungen rund um die Demonstration der Tute bianche – der „Weißen Overalls“ – teilgenommen hatten.

Das Gericht nämlich sah als erwiesen an, dass jene genehmigte Demonstration völlig widerrechtlich von Carabinieri-Einheiten brutal attackiert wurde. Die Auseinandersetzungen rund um diese Demonstration, die in dem polizeilichen Todesschuss auf Carlo Giuliani gipfelten, waren deshalb in den Augen der Richter vonseiten der Demonstranten legitime Widerstandshandlungen.

Die volle Härte des Gesetzes trifft dagegen diejenigen, die gefilmt wurden, wie sie einen Stein warfen oder mit einem Schinken unterm Arm aus dem gestürmten Supermarkt herausmarschierten. Hinter ihnen haben sich jetzt die Gefängnistore definitiv geschlossen. Sie werden auf Jahre in Haft bleiben. Die linke Tageszeitung Il Manifesto rechnet vor, dass schwerer Raub, Erpressung oder Mitgliedschaft in der Mafia mit geringeren Strafen geahndet werden als die Gewaltakte der Demonstranten in Genua – Gewaltakte ausschließlich gegen Sachen, bei denen keine einzige Person zu Schaden kam.

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19 Kommentare

 / 
  • DB
    Der Belgarath

    Ein hervorragendes Urteil des italienischen Kassationsgerichts, welches europaweit Schule machen sollte.

     

    Anders ist dem militanten Pöbel nicht Herr zu werden, insbesondere nicht dadurch, daß man sie in stillschweigender Kumpanei immer wieder mit Samthandschuhen anfasst.

  • T
    theo

    Plünderung von Sacheigentum ist schlimm,

    Mord, Vergewaltigung, Verstümmelung, Menschenhandel,

    illegale Verklappung von Giftmüll,

    und Drogenhandel zur Ausbeutung von Fixern ist

    wesentlich schlimmer.

    Italien ist ein Unrechtsstaat.

    Eine gestohlene Salami- schlimmer als Verstümmelung,

    Italien hat sich zum Satellitenstaat und

    Vasallenstaat der Mafia destruiert.

    Deutschland, ich bete für Deine Freiheit und

    Losgelöstheit von diesem EU-Sauhaufen!!!

     

    Das Urteil ist eine Schande für Italien.

    Jeder Fussballkrawall in Italien ist unmoralischer,

    als die Demonstrationen in Genua bei der G8 2001.

    Es ist überhaupt ein Skandal, dass die

    Idioten erst elf Jahre später zu Gerichtsurteilen

    für Vandalismus finden.

    Und weiterhin darf man auch nur Menschen verurteilen,

    wenn Sie selbst irgendetwas auch wirklich verbrochen

    haben. Was können denn Passanten dafür, wenn

    sie zufällig Zeuge eines Verbrechens werden?

    So eine Justiz ist widerwärtig!

    Deutschland trete aus der EU aus!!!

  • L
    Lutz

    Ehrlich gesagt hält sich mein Mitleid in sehr engen Grenzen.

    Keiner hat sie gezwungen bei dem "Verwüstungszug" (denn eine Demo läuft anders ab) mitzumachen. Keiner hat sie gezwungen andere Menschen Eigentum zu zerstören. Nein, schlicht und ergreifend selber schuld. Sie hätten sich wirklich ein Beispiel an Ghandi nehmen sollen.

  • H
    Hoschi

    So geht's wenn die herrschende Klasse Angst vorm eigenen Volke bekommt. Schaut doch einfach mal nach Madrid wie dort gegen Demonstranten vorgegangen wird. Man schiesst sie einfach zusammen.

    Leider werden solche Urteile und ein solches Vorgehen ihnen nicht helfen, denn anstatt abzuschrecken wird es hoffentlich viel mehr Menschen ermutigen gegen diesen korrupten Sumpf von Ausbeutern und unterdrückern von Freiheit und Menschenrechten aufzustehen und die Faust zu heben und "Nein" zu all der Scheisse sagen die gerade passiert.

    Glücklicher weise ist die Europäische Verfassung nicht umgesetzt worden sonst hätten wir schon überall in Europa Militär auf den Strassen das die Waffen gegen das eigene Volk erhebt.

    Der Demonstarnt der einen Schinken klaut bekommt 14 Jahre, der Banker und Finanz- Premierminister der die Weltwirtschaft zugrunde richtet zig Millionen Euro als Boni. Willkommen in der Feudalistischen Diktatur des Kapitals im 21. Jahrhundert ... Wozu gabs die Aufklärung und die Franz. Revolution wenn deren Grundsätze heute mit Gewalt und Gier zerstört werden? - Merkt ihr alle nicht langsam das da was schief läuft?

  • M
    Mao

    Bestrafe einen, diszipliniere Hunderte.

  • GL
    Genau lesen

    Meines Erachtens gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen einer politischen Demonstration und primitiven Straftaten wie Brandanschlägen, Plünderungen und purer Gewaltlust.

    Und manche derjenigen, sich hier so ereifern, wären vermutlich selbst die ersten, die nach drakonischen Strafen riefen, wären ihre eigenen Wohnungen von einem primitiven und brutalen Mob geplündert worden.

  • W
    Wiebitte

    Für das willkürliche und brutale Übergreifen seitens der Polizei gibt es keine Haftstrafen die angetreten werden müssen, aber für Sachbeschädigung 14 Jahre?

     

    "Zwar wird aufgrund von in den letzten Jahren ausgesprochenen Strafnachlässen für vor 2006 begangene Verbrechen niemand die Haftstrafe antreten müssen."

     

    http://www.taz.de/!96850/

  • O
    Oliver

    Wäre die Demo nach Schema Ghandi abgelaufen könnten wir uns immer noch über die Polizei aufregen die im Vergleich sehr milde bestraft wurde.

     

    Und was Plünderei angeht die Wahrscheinlichkeit ist größer das bei mir eingebrochen wird oder ich als Ladenbesitzer Schutzgeld zahlen darf. Was meinst wohl wie das bestraft wird? Schlimmer da organisiert? Ähm nein natürlich nicht.

  • R
    Roland_09

    Allerdings, einen Brandsatz in ein Gefängnis zu werfen halte ich für ziemlich schlimm. Sassen da Leute drin, zu dem Zeitpunkt?

  • C
    Comp1337

    Wieviele Jahre Gefängniss hat doch gleich der Polizist bekommen, der dort einen Demonstranten erschossen hat?

  • H
    Hans

    @Benz

    Ich kann Ihre Empörung verstehen. Gleiche Behandlung für alle Diktaturen.

     

    Dementsprechend pflichte ich bei, Italien ab sofort als (technokratische) Diktatur zu bezeichnen.

     

    Man kann sich auch drum streiten, ob Russland eine Diktatur ist, oder demokratisch-verklärte Despotie ^_^

  • RW
    Relative Wahrheiten

    Hmm... is ja alles ganz, ganz schlimm...

    Wäre diese Demonstration nach dem Schema Ghandi

    abgelaufen, wäre hier jeder Kommentar überflüssig...

    aber von Ghandi hat man in Italien wohl noch nie was gehört... ( oder vielleicht nur bei den Gipfelgegnern? )

    Der Brandsatzwerfer sollte mal ne Zeitlang in den Knast, den er versucht hat anzuzünden...

    Plünderer wurden schon immer hart bestraft,wenn sie gefasst wurden, Weltweit... gut so, das ist einfach nur Einbruchdiebstahl...

    Denkt mal darüber nach, wie es wäre, wenn solche "Friedliebenden Demonstranten" bei euch durchziehen würden, mit dem gleichen Ergebnis bei euch zu Hause...

    Dann würde ich zu gerne eure Kommentare lesen.

  • B
    Benz

    14 Jahre Haft für die Teilnahme an einer illegalen Demo in Italien! 14 Jahre!

     

    Ich glaube mich zu entsinnen, dass nahezu die gesamte EU-Elite empört war und Russland lautstark vorwarf, eine Diktatur zu sein, als RU kürzlich die russische Höchstrafe für dasselbe Delikt auf 9000.- Euro Geldstrafe festsetzte.

     

    Man vergleiche: 14 Jahre hier, 9000.- Euro da. Wo ist jetzt die Diktatur?

  • R
    revoloser

    freut euch auf die zukunft. jeder, der aufmuggt, wird drakonisch mit langen gefängnisstrafen belegt. und keiner wird sich dagegen beschweren, da er angst hat selber in die mühlen des staates zu kommen. ihr werdet es erleben. schon heute hält die mehrheit nur noch die klappe und duckt sich weg. prima aussichten. danke, volk.

  • K
    katze

    ...alles andere als gerecht. Schade, das Menschen so wenig wertvoll vor dem Gesetz sind und das die Gesetze Dinge höher schätzen als Menschen...verrückt nur das Menschen solche Gesetze gemacht haben.

  • T
    Torsten

    "Keinem Einzigen der jetzt verurteilten Randalierer wurde direkte Gewalt etwa gegen Polizisten vorgeworfen."

     

    Einen Molotov-Cocktail durch ein Fenster eines Gefängnisses zu werfen -- einem Ort, wo sich viele Menschen aufhalten, die nicht einfach aus dem Zimmer laufen können -- klingt doch nach einem anderen Kaliber als einen Schinken aus einem Supermarkt zu tragen.

     

    War möglich eines der Urteile gerechtfertigt?

  • F
    flipper

    Bleibt nur zu hoffen, dass Deutschland diesen Faschisten-Staat nicht auch noch per Rettungsschirm vor der Pleite bewahren muss!

  • EG
    Es geht bergab..

    Was soll man da noch sagen?

    Gewalt gegen Dinge wird halt immer noch haerter bestraft, als Gewalt gegen Personen. Vergleiche auch die Urteile gegen die Polizisten, die die Schule damals in Genua stuermten.

    Traurige Welt!

  • R
    Realist

    Willkür Justiz. Das zeigt wohin der Weg unserer Scheindemokratien geht!