Unzureichende Hilfe für Pakistan: Die "nie da gewesene" Flut
Die pakistanische Regierung und die Vereinten Nationen stehen der Flutkatastrophe bislang beide machtlos gegenüber. Nur langsam erreicht die Hilfe die Betroffenen.
Am Sonntag hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Pakistan von einer "nie zuvor da gewesenen Flut" gesprochen, die eine "nie da gewesene Antwort erfordert". Was genau das Neue an dieser Flut ist, weiß niemand so gut wie Ahmed Kamal. Der oberster Wasserbauingenieur des Landes zeichnet seit 1997 für die nationalen Flutbekämpfungspläne verantwortlich und gehört der Leitung der Katastrophenschutzbehörde NDMA an.
Sein tadellos aufgeräumtes Büro mit lederbezogenem Schreibtisch befindet sich im mit vielen Türmen verzierten Regierungspalast des Premierministers in Islamabad. Kamal zeigt auf seiner Karte auf zwei große Ströme im Fünfstromland Punjab, Pakistans größter Provinz. "Beide Ströme sind bisher nicht geflutet", sagt Kamal. Doch er warnt: " Wir erwarten starke Regenfälle in Kaschmir, die eine Flutwelle auch im Osten Punjabs auslösen könnten."
Auf der Karte sind alle großen Flutbefestigungen eingetragen. Kamal deutet auf einen langen Damm entlang des Mittellaufs des Indus. Er glaubt, dass der Damm, der hunderttausende Menschen beschützt, noch wochenlang gefährdet ist und einbrechen könnte. Viele weitere Dämme, auf die er zeigt, sind ebenfalls bedroht. Er hat all diese Dämme in den letzten 13 Jahren verwaltet, einige davon ausbauen oder reparieren lassen. Doch nun steht er vor einem Desaster.
"Wir waren auf diese Flut nicht vorbereitet", gibt er zu. Bis 2007 seien die Vorsorgepläne erfüllt worden. Man sei auf dem richtigen Weg gewesen. Doch dann hätten weitere Mittel gefehlt. "Für Pflege und Reparatur der Dämme wären in den letzten Jahren fünf Milliarden Rupien nötig gewesen, doch wir bekamen nur hundert Millionen", sagt Kamal. Doch selbst wenn alle Pläne erfüllt worden wären, hätte seine Behörde die Katastrophe nicht verhindern können.
Die NDMA registrierte beim höchsten Stand der Flut in der Nordprovinz Kyber Pakhtunkhwa ein Wasseraufkommen von rund 11.000 Kubikmetern. Die Dämme und Befestigungen aber waren für knapp 5.000 Kubikmeter pro Sekunde ausgelegt. "Seit 1929 haben wir keine solche Flut erlebt", sagt Kamal.
Er will damit für Verständnis werben. Dabei weiß er um den Ruf der pakistanischen Regierung, die als korrupt oder unfähig gilt. Seine Antwort darauf: "Wenn Sie nicht an unsere Regierung spenden wollen, dann spenden Sie an die UN oder an Nichtregierungsorganisationen, die jetzt nach Pakistan kommen, um zu helfen."
Dann will er ein Wort an die Deutschen richten, die bisher 380.000 Dollar Spendengelder zugesagt haben und damit nicht eben zu den Großzügigen zählen. "Ich verlange, dass ein so starkes Land wie Deutschland jetzt hervortritt und in großem Stil hilft", sagt Kamal. Man spürt, wie ungern er seine eigene Machtlosigkeit gegenüber den Fluten einräumt.
Genauso machtlos wie die pakistanische Regierung sind bisher die Vereinten Nationen, deren Hilfe nur langsam Pakistan erreicht und hinter den Bedürfnissen weit zurückbleibt. Ein Beispiel: 60.000 Zelte haben die verschiedenen UN-Organisationen bisher an die Flutopfer verteilt. "Weitere 70.000 Zelte sind auf dem Weg", sagt UN-Sprecher Maurizio Guiliano in seinem noch notdürftig eingerichteten Büro in einem Hotel in Islamabad. Tatsächlich gebraucht würden aber 1,2 Millionen Zelte.
Er ist Sprecher des UN-Koordinators für humanitäre Angelegenheiten in Islamabad. Dabei unterstützt die UN offiziell nur die Maßnahmen der pakistanischen Regierung. Guliano lobt deshalb in höchsten Tönen die Rettungs- und Hilfsleistungen der Regierung.
Unter den Pakistanern hingegen ist deren Arbeit sehr umstritten. Die unabhängigen Medien werfen der Regierung vor, komplett zu versagen. Schon seit drei Wochen berichten sie täglich aus immer neuen Überschwemmungsgebieten, in denen die Menschen obdachlos sind, kein Essen mehr haben und jede Hilfe fehlt.
Auf 8 Millionen beziffert Guiliano die Zahl der Pakistaner, deren Leben derzeit bedroht ist und die dringend Hilfe benötigten. Er selbst kennt in der Geschichte keine Flutkatastrophe ähnlichen Ausmaßes. Die Worte des UN-Generalsekretärs - "nie da gewesen" - seien nicht auf Pakistan beschränkt gewesen. Sie gelten weltweit, sagt Guiliano.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos