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Untersuchungsbericht zu FukushimaEine Katastrophe „made in Japan“

Ein Untersuchungsbericht enthüllt das Totalversagen von Regierung und Atomindustrie. Und macht die Kungelei der beiden für den Unfall in Fuskushima verantwortlich.

Ist wieder hochgefahren: AKW Ohi Reaktor Nr.3 (rechts). Bild: dapd

TOKIO taz | Die Atomkatastrophe von Fukushima war „vorhersehbar und vermeidbar“ und daher „von Menschen gemacht“. Zu diesem Urteil kommt eine Untersuchungskommission des japanischen Parlaments nach der Befragung von knapp 1.200 Zeugen.

In ihrem Abschlussbericht macht die Kommission Kungeleien zwischen der Regierung, der Atomaufsicht und dem Fukushima-Betreiber Tepco für den Unfall verantwortlich. „Auch wenn dieses Geständnis sehr schmerzhaft ist – dieses Desaster ist ’made in Japan‘“, sagte der Vorsitzende der zehnköpfigen Kommission, der langjährige Regierungsberater Kiyoshi Kurokawa.

In der ganzen Nuklearindustrie habe man „unverzeihliche Arroganz und Ignoranz“ vorgefunden. Zudem griff die Kommission den letzten Mythos von Japans Atomindustrie an, dass die Kraftwerke zumindest erdbebensicher seien. Tepco habe „zu schnell“ geurteilt, dass allein der Tsunami das Unglück verursacht habe, heißt es in dem Bericht. Einige Schäden in Reaktor 1 seien durch das Erdbeben bedingt. Kühlflüssigkeit sei ausgetreten, ein Sicherheitsventil habe nicht funktioniert.

In ihren Empfehlungen verlangen die Experten eine umfassende Reform der Atomaufsicht und eine kontinuierliche Überwachung der Nuklearindustrie durch das Parlament. Die Behörden müssten ihre insulare Sichtweise aufgegeben und die weltweiten Standards von Sicherheit, Gesundheit und Wohlfahrt erreichen. Die derzeitigen Gesetze dienten der Förderung der Atomkraft und nicht der öffentlichen Sicherheit.

Erdbebengefahr heruntergespielt

Dessen ungeachtet ging am Donnerstag der erste von 50 abgeschalteten Atomreaktoren wieder in Betrieb. Nach zwei Monaten ganz ohne Atomstrom wurde das Kraftwerk 3 in der westjapanischen Atomanlage Oi mit dem Netz verbunden. Als zweites Kraftwerk wird der Oi-Reaktor 4 am 18. Juli hochgefahren. Dabei spielt der Betreiber Kansai Electric Power nach Ansicht von zwei prominenten Seismologen die Erdbebengefahr in der Region herunter.

Vor einer Woche hatten 150.000 Menschen vor dem Tokioter Amtssitz von Premierminister Yoshihiko Noda gegen die AKW-Neustarts protestiert. Noda hatte seine Entscheidung mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet und vor Stromausfällen in der wichtigen Industrieregion Osaka gewarnt. Die Protestrufe vor seinem Haus tat der Regierungschef als „großes Geräusch“ ab.

Seitdem werfen liberale Medien Noda vor, Volkes Stimme zu missachten. Laut Umfragen sind 70 Prozent der Japaner gegen die Wiederinbetriebnahme der Atomanlagen. Nach dem unerwartet kritischen Untersuchungsbericht dürfte es Noda schwer fallen, den Neustart weiterer Reaktoren schnell zu genehmigen. Vermutlich muss er diese Entscheidungen der neuen Atomaufsichtsbehörde überlassen, die bis zum Herbst aus der Taufe gehoben wird.

Die Worte der Kommission haben Gewicht, da ihre Einsetzung eine Parlamentspremiere war und erstmals zahlreiche Mitarbeiter und Manager von Tepco befragt wurden. Ihr gehören mehrere prominente Atomkritiker an.

Zentraler Systemfehler

Im Bericht wird das Verhältnis zwischen Atomaufsicht und Stromversorgern als zentraler Systemfehler der Atomindustrie identifiziert. „Die Regulierungsbehörde wurde von der Industrie, die sie regulieren sollte, gefangen genommen“, heißt es wörtlich. So machte die Atomaufsicht dem Betreiber Tepco Vorschläge, wie das Unternehmen Sicherheitsmaßnahmen vermeiden könne.

Der Verband der Stromversorger hätte die Aufsichtsbehörden entweder zur Lockerung oder zur Verschiebung von neuen Auflagen gezwungen. Die Atombehörden haben die „nukleare Sicherheit weder beobachtet noch beaufsichtigt“. Ihr Mangel an Expertise führte de facto dazu, dass es gar keine Atomaufsicht in Japan gab. Dabei hätte sich der Unfall vermeiden lassen, wenn Japan Sicherheitsvorschriften für Atomkraftwerke übernommen hätte, die in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 umgesetzt wurden.

Weitere Vorwürfe galten der Regierung: Der damalige Premiermininister Naoto Kan hätte sich direkt in die Rettungsarbeiten in der Atomanlage einschaltet und dadurch die vorgesehene Befehlskette zerstört. Nach Einschätzung der Kommission hat der Premier damit allerdings nur auf die Unfähigkeit von Tepco reagiert, die notwendigen Informationen zeitnah bereitzustellen.

Darüber hinaus habe die Zentralregierung die lokalen Behörden nicht ausreichend über den Unfall informiert. Viele Anwohner wurden so in höher verstrahlte Gebiete evakuiert. Die Kommission forderte die Regierung auf, sich mehr um die Opfer der Katastrophe zu kümmern. Immer noch würden ihr Schutz und Gesundheit der Opfer nicht genug am Herzen liegen.

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12 Kommentare

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  • F
    Flüssigsalzreaktor

    @ lef:

    Nee, klar, das ist dann ABSOLUT sicher...

     

    Im Ernst: Die Sache selbst natürlich auch niemals,

     

    dazu, daß Fabriken wie La Hague und Windscale/ Sellafield zwingend für den Betrieb notwendig sind.

     

    Die größte Verseuchung im Normalbetrieb gibt es eben um diese sogenannten Wiederaufbereitungsanlagen.

     

    Dort fallen auch Unmengen Atommmüll an, die hunderttausende Jahre Strahlen.

     

    Also: Schnapsidee!

  • A
    antares56

    Es ist wie immer. Einem guten Untersuchungsbericht folgt ein wenig Palaver und dann wird wie früher weitergemacht! Es wird sich nichts ändern.

  • S
    Student77

    Zu „Fukushimas Reaktorunfall war Menschliches Versagen“

     

    „Nachher ist man immer klüger!“ Das Leben, und dazu gehört das Wetter, die Tektonischen Verschiebungen mit ihren Erdbeben und die Wirtschaft sind nicht sicher im Voraus berechenbar! Wettermodelle sind z.Z. die aufwendigste wissenschaftliche Methode, etwas seriös voraus zu sagen. Schon für 6 Tage erreichen die Modelle den Grad der Beliebigkeit – es könnte also so oder so werden. (Voraussagen der empirischen Wirtschaftsinstitute sind dagegen reiner Wuduzauber – sie schreiben die Tendenz der Vergangenheit einfach weiter…

    Es ist, als würden die Wettermoderatoren ernsthaft sagen: „Weil es gestern zunehmend geregnet hat, wird es heute stark regnen.“)

    Jahrzehnte ging die Messskala, die Richterskala, für Erdbeben bis Stufe 6, weil Herr Richter und seine Kollegen kein stärkeres Beben kannten. Heute kennen wir Beben der Stufe 9 nach der Richterskala. Sicher berechnet werden kann nur das Bekannte – die Vergangenheit – aber niemand weiss langfristig (also über 3 Tage beim Wetter, 3 Monate bei der Börse, oder 3 Jahre bei Erdbeben) , was die Zukunft bringt!

     

    Es gab ‚undenkbare’ Ereignisse: Erdbeben jenseits der Richterskala, steile 30-m-Monsterwellen, Kernschmelzen und sogar 2 Supergaus! Was ist mit den ‚undenkbaren’ Ereignissen? Sie lassen sich nur ausschliessen, wenn man sie unmöglich macht!

     

    Bei der Atomenergie geht es um die restlose Vermeidung des Supergaus. Man müsste also eine Technik haben, die jedes denkbare Risiko ausschliesst. Es geht um die Herstellung eines notwendig ‚Sicheren Ereignisses’. Das die bestehenden Atomanlagen das nicht sind, haben ‚Tschenobyl’ und ‚Fukushima’ bewiesen! Alle Anlagen dieser Bautypen dürfen m.E. in dem Erbeben-gefährdeten Japan, an Erbenspalten und Tsunami-gefährdeten Küsten nicht betrieben werden!

    Die japanische Regierung lenkt mit dem Hinweis auf menschliches Versagen nur vom wirklichen Dilemma ab – in Japan hätten nie Atommeiler gebaut werden dürfen!

     

    Es wird Zeit, dass wir uns, besonders Journalisten, Politiker und Ökonomen, in Risikoforschung bilden, z.B. bei Gerd Gigerenzer und in den Grenzen der Logik. Denn was logisch ist, ist noch lange nicht wahr, wie Matthias Kreck und Peter Janisch wissen. ;-)

  • K
    Krümmel
  • BH
    Balte Haak

    Naja neu ist das alles nicht, trotzdem schöner Bericht - allerdings so zu tun, als wäre das anderswo besser, insbesondere die USA als positives Gegenbeispiel anzuführen ist schon reichlich bizarr, die Kraftwerke in den USA sind in erbärmlichen Zustand und auch dort arbeiten Kraftwerksbetreiber und Behörde "Hand in Hand". Man sieht, auch im Fall Fukushima ist es gelungen, die Geschehnisse den örtlichen Gegenbenheiten in die Schuhe zu schieben, hätte nicht gedacht dass das genauso einfach wäre wie damals in der bösen UDSSR. Bleibt zu hoffen dass uns der Beweis das Gegenteils in unserem Land erspart bleibt.

  • AS
    Auch schön:

    http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2012/04/41951/

     

     

    Und dabei ist es nur eines von weltweit hunderten, nach nur 70 Jahren, die es solche Dinge gibt, und bei Millionen Jahren, die es sie noch geben wird.

  • V
    vic

    "Kungeleien zwischen der Regierung, der Atomaufsicht und dem Fukushima-Betreiber ***"

    Das kommt mr bekannt vor...

    Äußerst bedenklich, dass Japan trotzdem zur Atomkraft zurückkehrt. Was muss noch passieren?

  • L
    lef

    Richtig ist wohl, dass die AKW in Japan erdbebengefährdet waren und immer noch sind.

    Der Tsunami war dann in Fukushima ebenso zerstörend - beides zusammen ergab den GAU.

    Erstaunlicherweise gibt es auch in Japan zwar Vorschriften für erdbebengefährdete Bauwerke, aber immer noch keine für tsunamigefährdete.

     

    Richtig ist aber auch, dass dieses Unglück dank günstiger Winnde dann relativ glimpflich ablief - es gibt keine direkten Opfer wie in Tschernobyl, Spätfolgen sind sehr spekulativ.

     

    Richtig ist aber auch, dass alle AKW in Japan bauartbedingt sehr gefährlich sind - der Protest gegen sie ist nachvollziehbar.

    Es sind gebremste Atombomben - mehr nicht. Solche (nach Bauplänen der USA+UDSSR) sind auch in Europa verteten. Diese sollten schnellstmöglich abgeschaltet werden - nicht nur in Japan!

     

    Richtig ist aber auch, dass es eine andere AKW-Bauform gibt, die wirklich absolut ungefährlich ist.

    Es ist der "Flüssigsalzreaktor" - siehe Wikipedia.

     

    Nur muss dieser Reaktortyp erst noch entwickelt werden - das dauert 20 Jahre.

    Dazu braucht es aber eine Übergangslösung für Energieherstellung - die EE: sind es nicht.

  • HS
    Hannes Schinder

    (Komischer) weise sehe ich da einen anderen Fehler. Nämlich die "ANEYOSHI" Steine, Steine der Samurai,aus den vorigen Jahrhunderten, die da überall rumstehen, auf denen geschrieben steht, dass man unterhalb "dieser" Steine nicht Bauen soll, so zusagen ein Tsunami-Schutz der gänzlich in den Wind geschlagen wurde aus Geldgier (riesiges Atomkraftwerk) in einem Erdbeben und Tuznami Gebiet, alles andere ist Augenwischerei und Verdummung (technischer Firrlefanz)

  • J
    Jonesmann

    Der Bericht soll wohl sugerieren, es hätte diese Katastrophe verhindert werden können, wenn Sicherheitsbehörde und Tepco nicht so eng zusammengearbeitet hätten, wenn die Sicherheitsvorkehrungen der USA gegen Terroranschläge in Japan übernommen worden wären, wenn es kein menschliches Versagen gegeben hätte.

    Das ist meiner Meinung nach Irreführung!

    Naturkatastrophen wie das Beben und der Tsunami vor Japan sind unberechenbar und unvorhersehbar, auch in ihrem Ausmaß. Da kann keine Sicherheitsvorkehrung der Welt Sicherheit 100 prozentig garantieren. Und menschliches Versagen wird es immer geben.

    Sichere Automenergie ist nicht möglich!

  • M
    Manfred

    Die Katastrophe wäre NICHT vermeidbar gewesen, sie ist - wie man so schön sagt - systemimmanent. Die Entfesselung der Atomenergie, auch die kontrollierte, beinhaltet stets das unkalkulierbare Risiko der Zerstörung mindestens organischen Lebens. Das ganze Weltall besteht soweit man weiß aus extrem lebensfeindlicher radioaktiver Strahlung. Da, wo sie verschwindend gering ist, wie beispielsweise auf der Erde, entsteht Leben. Das kleine Fleckchen Lebensidylle sollte keinesfalls geopfert werden, solange eine Sonne üppig Energie liefert. So dumm kann kein Mensch sein, das nicht zu erkennen. Der Untersuchungsbericht täuscht aber darüber hinweg. Er suggeriert: Atomkraft ist beherrschbar. Es geht nicht mit ein bischen mehr Sicherheit, ein bischen mehr Kontrolle ein bischen mehr Qualität. Leben geht nur ohne unkalkulierbar entfesselte Radioaktivität.

  • P
    Physiker

    Jede technische Ursache ist in Wirklichkeit eine menschliche- schließlich wird die technik vom Menschen entwickelt, gebaut und gewartet.

    Von dieser Spitzfindigkeit, die aber manches Mal doch betont werden muß, abgesehen:

     

    bei Youtube eingeben:

    Französische Atomkraftbetreiber beschäftigen Leiharbeiter in AKWs

    oder: Atomnomaden (Der sehr gute Arte- Film dazu ist nicht mehr aufzutreiben)

     

     

    oder:

    (1-10) ARTE Albtraum Atommüll

     

     

    Nicht anders sieht es in Deutschland aus.

     

     

    Soviel zu:

     

    "technisches Versagen"

     

    oder "menschliches Versagen"

     

     

    Tüv- Prüfer, die Mängel nicht übersehen wollen, werden gechasst, d.h., es wird ein anderer Prüfer herangezogen, der die Anlage trotz Mangel abnimmt.

     

    Der erste Prüfer, der Verantwortungsvolle, bekommt nie wieder einen Auftrag.

     

     

    SO sieht in Deutschland regelmäßig die "unabhängige" Sicherheitsüberprüfung aus.

     

     

    Da braucht man kein weiteres menschliches Versagen, die Profitgier reicht.